
"Meine Mutter hat eine Zeitleiste für die erste Lebenshälfte erstellt, und mein Manager eine für die zweite. Dadurch habe ich erst erfahren, dass ich sechs Monate lang auf Hawaii gelebt habe, 1973, als ich acht war."
Stephin Merritt kommt 1965 auf die Welt. Seine Mutter ist, wie er selbst sagt, ein Hippie, und zieht ständig mit ihm von einem Ort zum nächsten. Davon singt Merritt, dieser kleine runde Mann mit der Schiebermütze, auf dem neuen Album "50 Song Memoir". Genauso von durchtanzten Nächten oder verflossenen Liebhabern. Jedem Ereignis seiner 50 Lebensjahre, das ihm wichtig genug war, widmet er einen Song. Also auch dem Album "69 Love Songs", 1999 unter dem Pseudonym The Magnetic Fields veröffentlicht.
Musikalisch perfektioniert
69 kluge und berührende Lieder über die Liebe befinden sich auf dem Album, inzwischen ist es ein Klassiker der alternativen Popmusik. Daran will Merritt mit "50 Song Memoir" anknüpfen. Wäre es nach seiner Mutter gegangen – so weit wäre es nie gekommen.
"Als ich 14 war, musste ich meiner Mutter hoch und heilig versprechen, bloß kein Profi-Musiker zu werden. Das habe ich auch gemacht. Heute mache ich mit ihr Witze darüber, dass ich so professionell ja auch nicht bin."
Stephin Merritt untertreibt. Klar, er macht Lo-Fi-Musik, am liebsten mit Ukulele und billigen Synthesizern. Aber das hat er perfektioniert. Und der Humor ist typisch für ihn. Er zieht sich durch das ganze Album. Trotzdem scheint Merritt aber auch einen Hang zur Schwermut zu haben, manchmal auch zum Sarkasmus. Das jedenfalls ist das Bild, das er auf dem Album von sich zeichnet.
Später Kontakt zum Vater
Wenn Musiker auf ihren Alben besonders viel über sich preisgeben, wird das im englischsprachigen Raum oft als confessional bezeichnet, als Beichte. Davon ist Stephin Merritt aber weit entfernt. Zum einen, weil er nicht den Eindruck macht, sich für irgendetwas zu schämen. Zum anderen, weil er doch nur so viel von sich erzählt, wie er möchte. Erst mit Mitte 30 nimmt er Kontakt zu seinem Vater auf. "No need for fathers", singt er im entsprechenden Song, während die traurige Musik etwas ganz anderes ausdrückt. Wenn man ihn fragt, weshalb es bis zum Kennenlernen so lange gedauert hat, sagt er nur:
"I think I should keep this private."
Bewährtes Vorgehen
"50 Song Memoir" ist eine Musikerbiografie in Songform, die trotz zweieinhalb Stunden Spielzeit kaum Längen hat. Leider sind die Lieder nicht so weise, nicht so allgemeingültig wie auf "69 Love Songs". Man muss sich schon für Merritt interessieren, sich auf seine trockenen und nicht immer stringenten Beschreibungen einlassen. Aber musikalisch sind die Songs dem Klassikeralbum absolut ebenbürtig. Entstanden sind viele der Stücke nach bewährtem Vorgehen: In den Gay Bars, die Merritt besucht.
"Beim Songschreiben sitze ich nicht an einem Instrument, weil ich glaube, dass man sich sonst schnell wiederholt. Wenn man stattdessen dabei nur einen Stift in der Hand hat, steht einem die ganze Welt offen. Aber meine Musik schreibe ich nie auf, nur die Texte. Ich halte mich an das, was ich von Abba gelernt habe: Wenn dir die Melodie nicht im Kopf bleibt, wird sie auch anderen nicht im Kopf bleiben."