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Autobiographie eines Wiederholungstäters

Liebhaber von Kriminalromanen werden den griechischen Autor Petros Markaris kennen - und vor allem dessen Held, den Leiter des Athener Morddezernats, Kommissar Kostas Charitos mit seinen charakteristischen Macken. Wer mehr über Markaris selbst erfahren möchte, kann in der gerade erschienenen Autobiographie fündig werden.

Von Agnes Hüfner | 12.06.2008
    Die Autobiographie beginnt mit einem Gedicht von Bertolt Brecht. Brecht war die große Entdeckung, für Markaris und zeitweise, wie er schreibt, sogar sein "geheimes Evangelium". Er übersetzte Gedichte von Brecht, Stücke, Schriften zum Theater und war der vielleicht wichtigste Wegbereiter einer Anfang der siebziger Jahre rasant einsetzenden Brecht-Rezeption. Es war die Zeit, als in Griechenland die Militärs herrschten.

    "Die griechische Militärdiktatur oder die siebenjährige Junta, wie wir sie nennen, war eigentlich zum Teil ein Witz, und zwar, sie wollten zwar Diktatoren sein, sie wollten aber auch Europa nicht befremden. Das hieß, dass der politisch Diskurs zwar verboten war, aber, sagen wir, der literarische offen, bis zu einem gewissen Punkt offen. Sie wissen, wenn man Widerstand leistet, dann ist man natürlich, sagen wir, witzig und schlau, und man bedient sich von allen Mitteln, und ein Mittel war Brecht."

    Jahrzehntelang behielt Petros Markaris die Arbeit als Übersetzer vor allem deutscher Theaterautoren bei. Die letzte große Übertragung war Goethes "Faust". Fünf Jahre hat er darauf verwandt.

    "Man kann die Sprache, die Sprachkenntnisse, die Sprachtechnik, Sprachreichtum eines Autors durch die Übersetzung enorm bereichern. Ich meine, es ist ja so, dass ein Romancier oder ein Erzähler mit einer Sprache sich durchsetzen, immer weiter arbeiten kann. Wogegen man, wenn man übersetzt, eigentlich viele Sprachen beherrschen muss, sagen wir, viele Etappen der Sprache und viele Sprachvariationen beherrschen muss, und das ist an sich ein großer Aufwand für den Übersetzer. Man muss damit umgehen, frei umgehen können, sonst schafft man die Übersetzung nicht. Es sei denn, man beschränkt sich zu einer Art von Sprache, sagen wir die bürgerliche Sprache des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts. Aber wenn man Faust übersetzt, dann Brecht und dann Kroetz - das ist total anders."

    Ähnlich spät wie Theodor Fontane, im Alter von 58 Jahren begann der Autor mit dem Schreiben von Romanen. "Beschreibungen und lange Erzählungen zu produzieren", heißt es in der Autobiographie, "langweilen mich". Jeder seiner vier ins Deutsche übersetzen Romane ist allerdings um die 500 Seiten lang. Ein Paradox?
    "Wahr ist, dass ich mich sehr schnell langweile, und zwar auch professionell. Ich könnte kaum zwei Romane hintereinander schreiben. Das geht nicht. Dann wäre ich in der Mitte des zweiten Romans so gelangweilt, dass ich den Roman einfach liegen lasse. Ich weiß schon, ich kenne meine Natur; ich bin ja schon ziemlich alt jetzt. Andererseits aber ist es auch ein Zufall, dass ich durch Charitos eine Erzählweise erfunden habe, die zu mir passt. Es ist eine Erzählung, die immer und öfter durch Kommentare und Aphorismen, Ironie unterbrochen ist - einerseits. Andererseits habe ich durch Charitos und die Ermittlungen eines Polizisten noch etwas dazu gewonnen, das war die Stadt. Ich empfinde eine große Lust, wenn ich eine Stadt beschreiben kann. Es ist schön, eine Stadt zu beschreiben, vielleicht, weil ich Städte so inständig liebe. Ich bin ein Stadtmensch, und ich bin sogar ein Innenstadtmensch. Ich bin kein Mensch der Natur."

    Die meisten Griechen, heißt es in der Autobiographie, lesen nach wie vor am liebsten Agatha Christie, Detektivgeschichten, in denen es um die Aufklärung rätselhafter Mordfälle geht. Für Markaris aber ist der moderne Kriminalroman ein Gesellschaftsroman.

    "Agatha Christie hat Glück gehabt. Sie hat in einer wunderschönen Zeit gelebt, wo kein organisiertes Verbrechen existierte, wo Mafia eigentlich ein amerikanisches und teilweise italienisches Phänomen war, und ansonsten war die Gesellschaft und zwar vor und nach dem 2. Weltkrieg fast idyllisch. Das gibt's nicht mehr. Die Natur der Verbrechen hat sich so krass geändert, dass auch der Kriminalroman irgendwie nachfolgen musste. Wir haben das organisierte Verbrechen, wir haben mafiose Strukturen in der Gesellschaft, und es ist auch so, dass ein großer Teil von diesen mafiosen Strukturen und von den Erträgen aus dem organisierten Verbrechen die Gesellschaft lebt. Die werden gewaschen, sie kommen ganz normal und legal in den Fluss der Finanzen, und wir profitieren davon. Das ist schrecklich, aber es ist wahr. Und natürlich musste ja der Roman sich damit befassen, was, sagen wir, für Folgen für die Gesellschaft diese neue Situation mit sich brachte. Das ist ja eigentlich das Thema des Romans einerseits. Andererseits, weil das organisierte Verbrechen nicht in einem Schloss irgendwo in der Provinz stattfinden kann, sondern mitten in der Stadt, so ist es dazu gekommen, dass der Kriminalroman eigentlich ein Großstadtroman geworden ist. Und die Beschreibungen, die können auch sehr detailliert und lebendig sein. Die Stadt ist kein Milieu mehr, die Stadt ist Mitspieler, die Stadt ist einer der Protagonisten des Romans."

    In seinem jüngsten Roman "Der Großaktionär" schildert der Autor unterschiedliche Fälle von Erpressung. Einen von Rechtsextremen verübten terroristischen Anschlag wehrt der Staat erfolgreich ab. Im Fall der Werbeagenturen, die die Privatsender erpressen und dabei mehrere Morde in Kauf nehmen, erweist der Staat sich jedoch als handlungsunfähig. Kostas Charitos - ein Einzelkämpfer gegen das Kapital?

    "Ich würde es nicht so formulieren. Aber ich würde sagen, was wir heute alles über Terrorismus hören und erleben müssen, diesen ganz radikalen Schnitt in der Privatsphäre der Individuen, auch in den
    Menschenrechten und in den ganzen Bürgerrechten, in dem das, was wir erleben, eigentlich mit dem zu tun hat, dass der Staat den Terrorismus bekämpft und dadurch stärker wird. Während der Staat die Wirtschaft nicht bekämpfen kann und gegenüber der Wirtschaft machtlos ist. Ich meine, Wirtschaft, Staat und Regierung, das ist doch eine Partnerschaft. Und ich meine das nicht unbedingt negativ. Auch im positiven Sinn ist es eine Partnerschaft. Also ist es viel schwieriger, den eigenen Partner zu bekämpfen, den Feind kann man leicht bekämpfen. Das ist ja der Unterschied."

    Der nächste Roman von Petros Markaris wird in Istanbul, der Stadt seiner Kindheit und Jugend, spielen.

    "Ich habe das soweit hinaus gezogen wie möglich und zwar, weil ich eine stark emotionale Beziehung zu Istanbul habe. Ich besuche Istanbul von Zeit zu Zeit, was heißt zwei bis dreimal im Jahr. Da kommen alle Memoiren, alle Erfahrungen, sagen wir, meine Kindheits- und Jugendjahre zum Vorschein. Und das ist schlecht für den Autor. Denn der ist dann so leidenschaftlich, so emotional verbunden, dass er den klaren Kopf nicht mehr hat."

    Petros Markaris: Wiederholungstäter. Ein Leben zwischen Istanbul, Wien und Athen.
    Diogenes Verlag, Zürich 2008, 190 Seiten.