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Autofahrer testen mit dem "ViewCar"

Technik. - Zu den größten Rätseln der Verkehrsforschung zählt der Autofahrer! Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt will diesem Rätsel nun mit Hilfe seines "ViewCar" auf den Grund gehen: einem Mittelklassewagen, der ein hoch technisiertes Beobachtungslabor beherbergt.

Von Mirko Smiljanic |
    Von weitem sieht der Audi A6 wenig spektakulär aus: Ein dunkelblauer Kombi mit Alufelgen, kein Schnickschnack wie getönte Scheiben oder Metalliclackierung. Wer näher kommt, sieht aber erste Unterschiede: Im Kofferraum sind drei Computer untergebracht, hinterm Beifahrersitz klemmt ein 17-Zoll-Flachbildschirm, daneben steht ein Laptop. Auf dem Armaturenbrett und unterm Himmel schließlich wird es ganz wild: 13 Kameras zeigen in alle in alle nur denkbare Richtungen und an der Stoßstange schließlich rotiert ein Laserscanner. Der Audi A6 heißt ViewCar und ist genau genommen ein fahrbarer Beobachtungs-Computer. Und beobachtet - beim Fahren - wird heute Katja Rosenau, eine angehende Lehrerin, die beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt als Testfahrerin angeheuert hat. Was auch bedeutet, dass an Kopf und Oberkörper knapp 15 Sensoren kleben. Wie sich die so verkabelt fühlt?

    " Och, eigentlich ganz gut muss ich sagen, es stört so ein bisschen am Anfang, aber man gewöhnt sich dann schnell an die Kabelage."

    Das sollte sie auch, denn jeder noch so winzige Unachtsamkeit wird auf der nun folgenden Fahrt gnadenlos enttarnt. Katja Rosenau zählt zu den best beobachteten Autofahrerern Europas. Auf geht's!

    " Gut, dann machen wir das."

    Langsam fährt der Wagen vom Gelände des DLR Richtung Braunschweig. Jede Bewegung, jeder Blick kontrolliert von Kameras, jedes Schalten, Gasgeben und Bremsen zeichnen Computer im Kofferraum auf, ebenso ihre mentale und körperliche Verfassung.

    " Wir haben mehrere unterschiedliche Sensoren: einmal welche, die die Muskelspannung registriere. Die Hautleitfähigkeit wird entsprechend aufgezeichnet. Sogar die Stimmfrequenz und Stimmlage vom Fahrer, wenn er denn spricht, werden hier zeitsynchron zu allen anderen Daten im Fahrzeug mit aufgezeichnet."

    Professor Carsten Lemmer - Leiter des Institutes für Verkehrsführung und Fahrzeugsteuerung im DLR - sitzt hinter seiner Probandin am Laptop und schaut sich einige Parameter aus dem endlosen Datenstrom an. Zu dem übrigens auch zählt, was außerhalb des Auto geschieht.

    " Wir haben einmal die Möglichkeit, die gesamte Umgebung zu detektieren, also alles was der Fahrer sieht. Wir folgen jetzt der Umleitungsstrecke hier. Wir kriegen aber auch mit, was kriegt der Fahrer davon überhaupt mit, wo hat der Fahrer hingeschaut, den Wagen rechts neben ihn, hat er ihn registriert oder hat er ihn nicht registriert. "

    Und zwar zentimetergenau, ein GPS-System sorgt für die entsprechende Präzision: Die Schrecksekunde, wenn plötzlich ein anderes Auto aus dem toten Winkel auftaucht, registrieren die Sensoren in Gesicht und Nacken natürlich ebenfalls.

    " Uns interessiert zum einen einmal der Rohdatensatz: Was macht der Fahrer eigentlich beim Autofahren? Beschleunigt er? in welchen Situationen guckt er wie lange wohin? Und dort kann man dann einzelne Fragen stellen, das heißt, man kann sich ganz spezifische Situationen anschauen - jetzt bitte links - , wie zum Beispiel ein Abbiegevorgang, wie ein Einfädeln auf der Autobahn, Spurhaltung. Was sind Situationen, in denen sich der Fahrer besonders belastet fühlt? Das merken wir an Veränderungen der physiologischen Parameter."

    Genau da liegt das eigentliche Ziel von Carsten Lemmer: Sind die fahrerischen Defizite erst einmal bekannt, entwickeln er und seine Kollegen Fahrerassistenzsysteme, elektronische Helfer für alltägliche Probleme: Ein Kurzbereichsradar registriert Autos oder Personen im toten Winkel, wer die Spur verlässt, bekommt Warnhinweise und so weiter. Bis die Systeme in die Autos eingebaut werden, fahren Probanden aber noch viele 1000 Kilometer mit ViewCar über Deutschlands Straßen. Und Carsten Lemmer muss Gigabyte um Gigabyte Daten auswerten, was mittlerweile ein echtes Problem ist:

    "Die Vielzahl der Daten automatisiert auswerten zu können, ist eigentlich eine Fragestellung, die für uns sehr wichtig ist. Insbesondere die Videodaten, die Bilddaten automatisiert zu untersuchen, weil es doch ein erheblicher Aufwand ist, die gesammelten Informationen dann auch entsprechend zu untersuchen."

    Rosenau:

    " Soll ich jetzt wieder aufs Gelände des DLR fahren? "

    Lemmer:

    " Ja, fahren Sie bitte geradeaus weiter, wenn die Straße frei ist."

    Zurück auf dem Parkplatz des DLR, vier Stunden Dauerbeobachtung und mehrere Meter Kabel in Gesicht und auf dem Oberkörper - das reicht! Unzufrieden wirkt Katja Rosenau trotzdem nicht.

    " Ja, hat Spaß gemacht!"