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Automatischer Stromzähler für Zellen

Technik. – Vor 20 Jahren entwickelten die beiden deutschen Forscher Erwin Neher und Bert Sakmann ein Verfahren, mit dem ein entscheidender Einblick in das physiologische Geschehen in Zellen gelang: das so genannte ''Patch-Clamp''-Verfahren ermöglichte erstmals, den Stromfluss über wenige Ionenkanäle in der Zellwand zu messen. Die Methode gewann so große Bedeutung in Biologie und Medizin, dass Neher und Sakmann 1991 dafür mit dem Nobelpreis für Medizin ausgezeichnet wurden. Jetzt gelang Wissenschaftlern aus München, das Verfahren wesentlich zu automatisieren und so industriell nutzbar zu machen.

    Als Erwin Neher vom Max-Planck-Institut für Biophysikalische Chemie in Göttingen und Bert Sakmann vom Max-Planck-Institut für medizinische Forschung in Heidelberg 1991 für die Entwicklung des "Patch-Clamp"-Verfahrens mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurden, hatte Niels Fertig gerade sein Abitur in der Tasche und dürfte kaum geahnt haben, dass ihn die Methode zur Messung von Ionenströmen durch einzelne Membrankanäle später noch ganz in Anspruch nehmen würde. Heute ist der Wissenschaftler Geschäftsführer der Nanion Technologies GmbH, die der Messmethode von Neher und Sakmann zu einem weiteren Quantensprung verholfen hat. "Die Patch-Clamp-Technik basiert auf einer feinen Glaspipette, die auf eine Zellmembran aufgesetzt wird und anschließend die Ströme misst, die durch die Porenproteine der Zelle an dieser Stelle fließen", erklärt Fertig. Dabei sind die Schleusen der Zellhülle außerordentlich wählerisch: jedes einzelne Tor lässt nahezu nur eine einzige Ionensorte wie Chlor, Kalium oder Natrium passieren.

    Der Chor aller dieser zahllosen einzelnen Kanäle und ihrer winzigen Stromflüsse entscheidet wesentlich über die Aktion der gesamten Zelle. So feuert eine Nervenzelle ein Signal nur dann, wenn genügend Strom durch ihre Außenhaut fließt. "Daher sind Ionenkanäle der Zelle mitverantwortlich für viele Erkrankungen im Herzkreislaufsystem sowie im Nervensystem. Rund ein Drittel aller heute erhältlichen Medikamente beeinflussen Ionenkanäle direkt oder indirekt", so Niels Fertig. Grund genug also, um die Wirkung neuer potentieller Wirkstoffe mittels Patch-Clamp direkt am Wirkort – den Kanälen – zu beobachten. Allerdings ist die Methode zu aufwändig und daher für den Serieneinsatz ungeeignet. Niels Fertig und sein Team von Nanion Technologies entwickelten daher eine praktischere Alternative, die Zellen quasi automatisch zum Messfühler saugt. Herzstück der Apparatur ist ein hauchdünnes Glasplättchen, in das winzige Löcher mit einem Durchmesser von gerade einem Mikrometer geätzt wurden. Jetzt wird auf die Oberseite dieses Chips eine Lösung mit den zu untersuchenden Zellen aufgetragen, während auf der gegenüberliegenden Seite ein Unterdruck erzeugt wird. "So werden die Zellen exakt auf einer Öffnung positioniert. Um den Chip herum sind Elektroden angebracht, die eine elektrische Kontaktierung der Zellen erlauben und mit denen dann der Stromfluss durch die Zellmembran gemessen werden kann."

    Doch ganz so einfach ist es dann doch nicht, denn jede Zelle enthält auf ihrer Oberfläche bunt gemischt zahllose Kanäle für ganz unterschiedliche Ionensorten, von denen aber jeweils meist nur ein einziger Kanaltyp exakt ausgemessen werden soll. "Dies erreichen wir dadurch, dass wir die anderen Kanäle gezielt deaktivieren und nur noch der Zielkanal arbeitet." Den Münchner Filigran-Experten gelang es sogar bereits, den Strom eines einzelnen Ionentunnels zu bestimmen. Dabei kommt es nicht nur darauf an, eben einen Kanal anzuvisieren, sondern überdies muss das äußerst schwache Signal kompliziert verstärkt werden. Die Pharmaindustrie verfolgt das Unternehmen aufmerksam, denn das Verfahren könnte bald die Wirkstofferprobung drastisch vereinfachen. Zwar liegen derzeit auf einem Chip derzeit nur 16 Messplätze für Zellen und derzeit müsse noch eine Person die Tischgeräte bedienen, doch, so Niels Fertig, sei es durchaus denkbar, Patch-Clamp-Automaten für typische Screening-Straßen der Industrie herzustellen.

    [Quelle: Hellmuth Nordwig]