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Autonomes Fahren
Fahrschule für Autopiloten

Auf die Autobahn auffahren, Hände vom Lenkrad nehmen und entspannt Emails checken - in ein paar Jahren könnte diese Vision Wirklichkeit werden, erklärt Thomas Form von VW. Jetzt haben Forscher standardisierte Sicherheitschecks für solche Autopiloten entwickelt.

Thomas Form im Gespräch mit Ralf Krauter | 17.05.2019
Ein mit Bosch-Technik ausgestattetes Fahrzeugdes Typs Jeep Cherokee steuert am 07.01.2015 in Las Vegas, USA, im Rahmen der CES (Consumer Electronics Show) selbstständig über den Las Vegas Strip während der Fahrer die Hände vom Lenkrad nimmt. Die Messe läuft offiziell vom 6. bis 9.01.2015. Foto: Britta Pedersen/dpa | Verwendung weltweit
Auf der Autobahn entspannt die Hände vom Lenkrad nehmen? Noch ist das in Deutschland verboten. In den nächsten fünf Jahren könnte sich das aber ändern - dank Autopiloten fürs Auto, die alle großen Hersteller entwickeln. (Britta Pedersen/dpa)
Ralf Krauter: Auf die Autobahn auffahren, beschleunigen, sich in den Verkehr einfädeln - und dann ganz gemütlich die Beine hochlegen, die Hände vom Steuer nehmen und Emails beantworten. So stellt man sich in den Entwicklungsabteilungen der Automobilkonzerne die Zukunft der Mobilität vor und tüftelt an Fahrerassistenzsystemen, die das bald möglich machen sollen. Aber wie testet man eigentlich, ob so ein Autopilot fürs Auto tatsächlich sicher ist und keine eventuell tödlichen Fahrfehler macht? Im Forschungsprojekt 'Pegasus', gesponsort vom Bundeswirtschaftsministerium, hat sich ein Konsortium von Autoherstellern und Forschungsinstituten mehrere Jahre Gedanken dazu gemacht. Die Ergebnisse wurden diese Woche bei VW in Wolfsburg präsentiert. Einer der Projektkoordinatoren ist Professor Thomas Form von der VW-Konzernforschung. Ich habe ihn gefragt: Was war der Ausgangspunkt für das Projekt 'Pegasus'?
Thomas Form: Beim Prüfen von hochautomatisierten Fahrfunktionen kommt man auf das Dilemma: Wieviele Testkilometer muss ich denn eigentlich fahren, um so eine Fahrfunktion als sicher betrachten zu können? Wenn man einfach mal die Zahlen nimmt: Sie müssen auf einer deutschen Autobahn zwischen 600 und 700 Millionen Kilometer fahren, bevor sie statistisch gesehen einen Unfall mit tödlichem Ausgang erleben. Wenn sie dann noch fragen: Was erwarte ich eigentlich von einem automatisch fahrenden Fahrzeug auf der Autobahn? Dann muss es ja mindestens so gut fahren wie der Mensch. Dann kommen sie schnell auf Testkilometer, im Bereich von Milliarden Kilometern. Das bekomme ich realistisch gesehen auf einem Testgelände gar nicht hin, das würde ewig dauern. Deshalb muss ich in andere Prüfungen ausweichen, zum Beispiel Simulationen. Und bevor ich dann so ein Prüfgelände tatsächlich baue, muss ich mir natürlich genau überlegen: Was erwartet die Gesellschaft von solchen automatischen Fahrfunktionen? Wie sicher müssen die sein? Und mit welchen Prozessen und Methoden weise ich hinterher nach, dass diese Funktion auch diese Sicherheitserwartung erfüllt? Und das war der Ausgangspunkt für das Projekt 'Pegasus'.
Wie weist man nach, dass eine Funktion sicher ist?
Krauter: Was sind die Ergebnisse nach drei Jahren Projektarbeit? Was ist rausgekommen?
Form: Wir haben an einem Prozessmodell gearbeitet und uns Szenarien überlegt: Ein Einscherer, plötzlich bremst vor Ihnen jemand, es drängelt Sie jemand ab. Wenn sie dann diese Szenarien variieren kommen sie schnell auf Milliarden von Möglichkeiten. Und wir haben uns Verfahren überlegt, wie ich aus diesen Milliarden von Szenarien wieder eine überschaubare Anzahl herausfiltere und die dann in Simulationen, auf Prüfständen, auf Prüfgeländen und in Realfahrt letztendlich absichere und bewerte. Um dann hinterher sagen zu können: Ja, ich bin mit meiner Funktion soweit, dass ich die Sicherheitserwartungen, die ich am Anfang erarbeitet habe, erfüllen kann.
Krauter: Als Pilotanwendungen haben Sie sich den Autobahn-Chauffeur vorgenommen, der einen künftig über die Autobahn fährt, während man selbst was ganz anderes macht. Wie helfen die Prozesse, Methoden und Standards, die jetzt entwickelt wurden, ihren Entwicklern bei VW dabei, solche Systeme zu optimieren?
Viele Hersteller arbeiten an Autopiloten für die Autobahn
Form: Es ist ein offenes Geheimnis, dass viele Fahrzeughersteller an solchen Autobahn-Chauffeuren arbeiten. Und deswegen sind die Ergebnisse natürlich hochinteressant für die Entwicklungsabteilungen der großen Automobilhersteller in Deutschland.
Krauter: Was heißt das konkret? Können die jetzt neue Systeme schneller testen oder bereits existierende schneller in punkto Sicherheit optimieren?
Form: Wenn ich sowas ins Feld bringe, zum Kunden, stehe ich immer vor dem Dilemma, dass mir hinterher jemand sagt: Aber du hast doch das und das nicht getestet. Wenn sie solch ein Basis-Szenario nehmen wie zum Beispiel ein Nah-Einscherer, dann können sie das Ganze prüfen auf einer zwei- und dreispurigen Autobahn, mit Betonoberfläche, mit Asphalt, mit oder ohne Leitplanke, mit oder ohne Markierung, mit oder ohne Regen, Schnee, Nebel. Was für eine Farbe haben die Autos um ihn herum? Und welchen Abstand? Sie sehen, dass sie einfach einen gigantischen Paramaterraum aufmachen. In 'Pegasus' haben wir versucht zu erarbeiten, wie ich nachvollziehbar sagen kann: Aus diesem gigantischen Parameterraum habe ich mir jetzt die und die kritischen Szenarien herausgesucht und die getestet. Und deswegen bin ich der Meinung, dass meine Funktion - im Rahmen der Funktionsbeschreibung - in der Lage ist, den realen Verkehr auf einer Autobahn handeln zu können.
Ergebnisse bilden Grundlage für künftige Zulassung
Krauter: Mit dieser Auswahl müssten Sie künftig auch die Zulassungsbehörden überzeugen, die ja dann grünes Licht geben müssten für den Einsatz solcher Technik?
Form: Die Zielsetzung bei 'Pegasus' war jetzt nicht originär in Richtung Zulassung. Sondern ein Schritt zuvor: Dass man im Rahmen der Entwicklungstätigkeit eine Methode hat, wie man dieses Testen und Freigeben machen kann, sodass man dann guten Gewissens sagen kann: Wir sind jetzt fertig und gehen jetzt in ein Zulassungsverfahren - was ja natürlich nur nochmal wie eine Fahrprüfung sozusagen die Funktion absichert. Aber auch im Rahmen einer Fahrprüfung verlässt sich ja der Fahrprüfer darauf, dass sie in den 30-50 Fahrstunden vorher genug gelernt haben, was er ja auch nicht alles in 30 Minuten Fahrpfüfung abprüfen kann. Für die Zulassung bilden die Ergebnisse, die wir in 'Pegasus' erarbeitet haben eine gute Grundlage. Sodass jetzt der Gesetzgeber sich überlegen kann, was er im Rahmen einer Zulassung von dem Hersteller fordern kann.
Staupiloten dürften innerhalb von fünf Jahren marktreif sein
Krauter: Wie weit sind wir noch entfernt von diesem Test-Szenario des Autobahn-Autopiloten entfernt, der das Steuer selbstständig übernimmt?
Form: Es gibt ja schon verschiedene Ankündigungen. So eine Funktion wird sicher nicht gleich in vollem Umfang kommen, wo das Auto automatisch 130, 140 Stundenkilometer auf der Autobahn fährt, durch Baustellen und Autobahnkreuze hindurch. Wir werden verschiedene Stufen sehen. Das erste, was verschiedene Hersteller für die nächsten Jahre angekündigt haben, ist so eine Art Staupilot. Dass man sagt: Vielleicht bis 60 oder 80 km/h ist das Fahrzeug in der Lage in einem Stau den Fahrer zu entlasten und ihm Nebentätigkeiten zu erlauben. Verzeihen Sie mir, dass ich da nicht zu konkret werden kann. Aber ich würde sagen: In den nächsten fünf Jahren werden Sie solche Funktionen auf der Straße erleben dürfen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.