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Autonomie ja, Unabhängigkeit nein

Das spanische Verfassungsgericht hat das Autonomiestatut der Region Katalonien zwar in großen Teilen gebilligt, in 14 Paragrafen jedoch Widersprüche zur spanischen Verfassung gefunden. Im Herbst wählen die Katalanen ein neues Parlament - da kommt das Gerichtsurteil gerade recht als Wahlkampfthema.

Von Hans-Günter Kellner | 29.06.2010
    Die Verdaguer-Schule in Barcelona liegt dem katalanischen Parlament genau gegenüber. Doch das Ringen der Politiker dort um das Schicksal der katalanischen Nation beeindruckt die Schüler in der Zigarettenpause kaum. Auch nicht die Appelle, die katalanische Sprache zu pflegen:

    "Es kommt drauf an, mit wem, aber untereinander sprechen wir eher spanisch. Das ist ganz spontan. Zu Hause in der Familie reden wir aber schon katalanisch. Und in der Schule. Die Lehrer mögen es nicht, wenn sie uns spanisch sprechen hören. Und der Unterricht ist ja meist auch auf Katalanisch."

    Im Parlamentsgebäude halten viele Abgeordnete das Verhältnis zwischen Spaniern und Katalanen für weniger entspannt. Spanien bremse die Entwicklungsmöglichkeiten der Mittelmeerregion, meinen nationalistische Politiker. So strebt die Republikanische Linke die Unabhängigkeit der Region von Spanien an. Sie erhält bei Wahlen inzwischen rund 15 Prozent der Stimmen, ist der Koalitionspartner der regierenden Sozialisten und stellt den Parlamentspräsidenten. Ernest Bernach warnte die Verfassungsrichter schon vor der Urteilsverkündigung:

    "Nein, nein, und noch mal nein. Wir werden kein abgespecktes Autonomiestatut akzeptieren. Das Verfahren, das zum jetzt gültigen Statut geführt hat, war demokratisch. Und wenn ein Volk spricht, kann auch ein Verfassungsgericht da nichts machen."

    Letztlich hat das Gericht in 14 Paragrafen des katalanischen Autonomiestatuts Widersprüche zur spanischen Verfassung gefunden. Es hält den darin definierten Vorrang der katalanischen Sprache vor dem Spanischen bei Behörden für nicht gerechtfertigt. Zurückgenommen wird mit dem Urteil auch die Organisation der katalanischen Justiz mit einer parallelen Verwaltung zur spanischen Justizbehörde. Der katalanische Regierungschef José Montilla hat in einer feierlichen Ansprache auf das Urteil reagiert:

    "Das Verfassungsgericht hat sehr unverantwortlich gehandelt. Es hat eine der traurigsten Seiten seiner politischen und juristischen Geschichte geschrieben. Es wird als das Gericht mit der wenigsten staatspolitischen Weitsicht in die Geschichte der spanischen Demokratie eingehen. Es hat Katalonien, Spanien und dem Geist unserer Verfassung von 1978 keinen guten Gefallen getan."

    Dabei sehen die Richter im Autonomiestatut keineswegs einen pauschalen Verfassungsverstoß. Weite Teile der mehr als 120 Punkte umfassenden Verfassungsklage der spanischen Konservativen haben sie zurückgewiesen. Auch die symbolträchtige Definition von "Katalonien als Nation" in der Präambel des Statuts akzeptieren sie, schränken jedoch ein, dass sich daraus keine Ansprüche ableiten lassen, etwa auf mehr Steuergelder oder gar einen eigenen Staat. Dennoch findet das salomonische Urteil keine Anerkennung bei Regierungschef Montilla:

    "Ich rufe unser Volk auf, seine nationalen Gefühle und seinen Willen, über sich selbst zu bestimmen, zu zeigen. Bürger, folgt massiv dem Aufruf zur Demonstration der politischen und sozialen Kräfte – zeigt mit Gemeinsinn und auf demokratische Weise unseren Willen zur Selbstbestimmung. Gehen wir gemeinsam, vereint, unsere katalanische Fahne soll unser Transparent sein. Zeigen wir, dass wir eine Nation und ein einziges Volk sind."

    Hintergrund des Appells an die nationalen Gefühle: Im Herbst wählen die Katalanen ein neues Parlament. Und mit dem Verfassungsgerichtsurteil droht dem aus Andalusien stammenden Sozialisten der Machtverlust. Bürgerliche Nationalisten und Separatisten könnte das Urteil hingegen stärken. In fast 500 katalanischen Dörfern kam es zuletzt zu Abstimmungen über einen eigenen katalanischen Staat. Zwar haben diese Referenden mit einer Wahlbeteiligung von unter 30 Prozent nur symbolischen Wert. Jusep Manuel Ximenez, einer der Initiatoren, sieht sich dennoch bestätigt:

    "Das Statut ist ein Instrument der Spanier, uns weiter unter ihrer Kontrolle zu halten. Damit die Unterdrückung weitergeht. Wir wollen so nicht weiter leben. Wir wollen, was uns zusteht. Dänemark will ja auch nicht unter der Fuchtel Deutschlands leben. Die einzige Lösung ist die Unabhängigkeit."