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Autor des Gulag

Als Häftling überlebte der Schriftsteller Warlam Schalamow 14 Jahre unter unmenschlichen Bedingungen im Archipel Gulag, dann schlossen sowjetische Richter seine Akte - wegen "fehlender Vergehen". Eine Ausstellung soll den Autor nun endlich bekannt machen.

Von Jörg Plath |
    In die Werbeästhetik unserer Tage passt das Plakat des Literaturhauses Berlin für die Ausstellung über den Schriftsteller Warlam Schalamow irritierenderweise ziemlich gut – so unbeugsam, unnachgiebig, furchtlos, mit skeptisch geneigtem Kopf blickt der schwarz gekleidete, schwarzhaarige Mann Anfang 30 in die Kamera. Als Häftling überlebte er unglaubliche 14 Jahre unter unmenschlichen Bedingungen im Archipel Gulag, dann schlossen sowjetische Richter seine Akte – wegen "fehlender Vergehen". Schalamow schrieb da schon an den "Erzählungen aus Kolyma", die jeden Leser schaudern lassen und zeit seines Lebens nicht veröffentlicht werden durften.

    Die Region Kolyma, für Schalamow der "Kältepol der Grausamkeit", ist nach einem Fluss im äußersten Nordosten Russlands benannt.

    "Sie zeichnet sich durch zweierlei Dinge aus: extreme klimatische Bedingungen und Bodenschätze. Deshalb ist diese Region auserwählt worden, um mit einem riesigen Heer von Arbeitssklaven diese Bodenschätze auszubeuten und sich zugleich von unangenehmen Gegnern zu befreien."

    Christina Links hat zusammen mit dem Literaturwissenschaftler Wilfried Schoeller die Ausstellung "Leben oder Schreiben. Der Erzähler Warlam Schalamow" erarbeitet, um den Autor endlich bekannter zu machen. Als die Lektorin Links in den späten 80er-Jahren im DDR-Verlag "Volk & Welt" einen Schalamow-Band vorbereitete, bekam sie zu hören, was die sowjetischen Offiziellen schon dem Autor selbst entgegengehalten hatten:

    "Was soll das, das ist keine Literatur, das ist nur Dokumentation des Horrors, das brauchen wir nicht."

    Links und Schoeller stellen, den aus politischen und literarischen Gründen verkannten Mann, neben die Zeugen der Shoah, neben Imre Kertész, Jean Améry, Jorge Semprun und Primo Levi, deren Zitate im Foyer des Literaturhauses einstimmen auf die Ausstellung. Motiviert wurden die Kuratoren von Sempruns Forderung nach einem "Doppelgedächtnis" an die Menschheitsverbrechen der Nazis und der Sowjets.

    Die Ausstellung, gefördert unter anderem von der Kulturstiftung des Bundes, präsentiert im ersten Raum große Fotografien des Polen Tomas Kizny. Er zeigt die Kolyma als eine verschneite, unendlich weite Hügeleinöde mit kleinen, rechtwinkligen Strukturen: verfallenden Baracken, Friedhöfen mit Wachturm, Resten von Wegen, Zäunen, Mauern. Die Landschaft des Terrors erschließen Texte von Schalamow aus der großen Werkausgabe, für den sinnvoll eingesetzten Audioguide eingelesen von Hanns Zischler und Frank Arnold.

    Den zweiten Raum hat das Münchner Büro Unodue fast zugestellt mit einem Gerüst hoch aufragender weißer Vierkanthölzer. Der enge Weg führt an der Wand entlang. Er schreitet mit Fotos, Videos und wenigen Textzeugnissen die Lebensstationen Schalamows ab, insbesondere die Prägung durch die literarische Avantgarde, die Lagerjahre, den Kontakt mit Boris Pasternak, für dessen Brief Schalamow per Hundeschlitten und Anhalter 1000 km fährt, sowie die Auseinandersetzung mit Aleksandar Solschenizyn, der den Gulag nicht für eine Katastrophe, nur für einen Unfall hielt.

    Weil es keine Lagerfotos von Häftlingen gibt, haben Links und Schoeller Propagandaaufnahmen und Zitate von Schalamow zusammengestellt. Und weil es keine Ikonographie des Archipel Gulag gibt, haben sie rostige Überreste der Lager unerreichbar in der Mitte des Stangengevierts platziert:
    "Gegenstände des alltäglichen Gebrauchs der Gefangenen wie Schüsseln, Becher, Werkzeug, Löffel, Schuhe, Nägel."

    Daneben stehen Bronzeskulpturen, darüber hängen Porträts von Schalamow, davor präsentieren Fahnen Auszüge aus seinen Erzählungen. Es ist nicht das Relikt, sagt die Ausstellung, auf die Probleme der Gulag-Überlieferung bestechend klug antwortend – es ist die Kunst, die das Gedächtnis der Lager bewahrt. Dass es sie noch immer in Russland gibt, hat erst vor Tagen der Brief der Pussy-Riot-Aktivistin Nadeschda Tolokonnikova aus dem Straflager 14 gezeigt.