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Avantgarde japanisch

"Durch die meisten Räume, die einem in Träumen erscheinen, geht man einfach hindurch", erklärt Miwa Yanagi. "Ebenso passiert man überall in der Wirklichkeit Durch- und Übergänge, Straßen, Treppen, Aufzüge, Rolltreppen, Bahnsteige." Auf diese Weise ähnelt die reale Umgebung, durch die wir uns heute in Städten bewegen, traumartigen Architekturen, mitunter fast zum verwechseln.

Von Carsten Probst |
    Zumindest steht schon am Beginn dieser Ausstellung in der Deutschen Guggenheim Filiale fest, dass die 1967 im japanischen Kobe geborene Künstlerin eine Affinität zur Architektur hat. In China soll sie mittlerweile ein eigenes Gebäude entwerfen, aber auch Museumsräume haben es Yanagi angetan. Auf ihr Geheiß wurde die Ausstellungshalle der Deutschen Guggenheim, ohnehin schon nicht sonderlich geräumig, noch einmal in der Hälfte geteilt, und man betritt sie nun auf der einen Seite als einen langen schwarzen Schlauch, in dem gedämpftes Licht herrscht. An den Wänden hängen die Printouts von Yanagis digitaler Fotoserie "Elevator Girls", "Fahrstuhl-Mädchen". Teils sehr kleine, teils aber auch riesige Formate, das größte ein fast zwanzig Meter langes Panorama in dunkel lodernden Grün- Blau und Rottönen.

    Yanagi scheint in der Tat bemüht, die ganze Ausstellung zu einer Traumlandschaft zu machen. Aber was hat es mit diesen Träumen auf sich? Die "Elevator Girls" sind junge, uniformierte Mädchen, wie sie in Japans Büro und Hoteltürmen Aufzüge bedienen oder an Ausgängen bereitstehen, um Fragen von Passanten zu beantworten. Miwa Yanagi hat sie in scheinbar unendliche, meist menschenleere Architekturen versetzt, die sie aus verschiedenen Aufnahmen am Computer erzeugt hat. Sie wirken so künstlich wie utopische Entwürfe, ähneln dabei allerdings immer Flughafenhallen oder großen Shopping Malls.

    Mittendrin die Gruppen von "Elevator Girls" selbst, die Yanagi in ihren Bilder wie erstarrt stehen, liegen oder sitzen lässt, meist ebenfalls in einer ornamentalen Anordnung, wie für die Ewigkeit. So utopisch und farblich prachtvoll sie auch ist, symbolisiert diese Bilderserie für Miwa Yanagi selbst eher das Leben junger Frauen in Japan, ihrer Sehnsucht nach Verschmelzung in einer anonymen Masse, verbunden mit dem Wunsch, sich vollständig einer bestimmten Mode unterzuordnen, die das ganze Leben umfaßt.

    Insofern wirken diese Räume, in denen die uniformierten Girls auftauchen, immer abgeschlossen, wie Gefängnisse, Gefängnisse ohne Wächter, denn es gibt kein Woher und Wohin. Die Träume der uniformierten Girls selbst sind das Gefängnis. In einer Performance, die dieser Serie vorausging, ließ Yanagi ein uniformiertes Mädchen stundenlang in einem großen Karton hocken und lächeln, bis sie davon einen Kieferkrampf bekam. Solche Aktionen nennt sie gern "ein bisschen zynisch", und spätestens hier wird deutlich, warum Yanagis Bilder in Japan oft negativ oder mit demonstrativer Gleichgültigkeit beurteilt werden. Das traditionelle Rollenverständnis von Frauen, das sich bei aller vorgespiegelten Modernität des Landes hartnäckig den Gegebenheiten anpaßt, ist das eigentliche Thema der Künstlerin. Mittlerweile ist Yanagi in den westlichen Kunstmetropolen wohl besser bekannt als in Tokyo und kann von ihren Einkünften als Künstlerin leben. Auch dies ist eine absolute Ausnahme für eine lebende japanische Künstlerin. Sozusagen eine Sensation.

    Am Ende des langen dunklen Ausstellungsschlauchs in der Deutschen Guggenheim gelangt man plötzlich durch eine kleine Schwingtür in den zweiten Teil. Hier jedoch leuchtend weiße Wände. Hier hängen Fotografien aus Yanagis Serie "Grandmothers", "Großmütter", ein Projekt, das immer noch wächst. Yanagi hat junge japanische Frauen befragt, wie sie sich selbst als Großmutter in fünfzig Jahren vorstellen und die Antworten in Fotografien umgesetzt. Teils ließ sie einige Szenen mit Masken und Schauspielern nachstellen, teils bearbeitete sie ihr Bildmaterial nachträglich am Computer.

    Ganz im Gegensatz zu den "Elevator Girls" ist die Stimmung bei den Großmüttern ausgesprochen theatralisch, fast schrill. Man sieht eine alte Frau mit wehenden roten Haaren und weit geöffneter Bluse, wie sie vor Vergnügen schreiend auf dem Sozius eines Motorrads über die Golden Gate Bridge rast. Eine gewisse Minami wiederum sieht sich als verrückte Inhaberin eines riesigen Vergnügungsparks, mit dem sie Disneyland Konkurrenz macht, und Ai wäre gern eine Wahrsagerin, die den jungen japanischen Mädchen ihre langweiligen und sinnlosen Leben voraussagt und darauf wartet, dass endlich eine ihresgleichen zur Tür hereinkommt, die ihre Arbeit übernehmen kann. Beinah überflüssig zu sagen, dass diese Visionen vom Altern ebenfalls nicht gerade der weiblichen Norm in Japan entsprechen. So entpuppen sich Miwa Yanagis Traum-Bilder bei aller Farbenpracht und ornamentalen Schönheit als offene Provokation. Und der Grund, weshalb sie seit einigen Jahren auch in den westlichen Kunstzentren eine solche Faszination auslösen, mag darin liegen, dass sich gewisse Träume oder Alpträume auch hier in ihren Bildern spiegeln.
    Deutsche Guggenheim Aussenansicht, Berlin-Mitte
    Deutsche Guggenheim Aussenansicht, Berlin-Mitte (David Heald, Solomon R. Guggenheim Foundation / Deutsche Guggenheim Berlin)