"Nein, die Malerei ist nicht erfunden, um Wohnungen auszuschmücken. Sie ist eine Waffe zum Angriff und zur Verteidigung gegen den Feind."
Lautet ein Wort von Pablo Picasso, dem Avantgardisten par excellence, das gewichtig klingt. Wer soll angegriffen werden und gegen wen gilt es sich zu verteidigen? Gegen einen Feind nur der Kunst? Der Avantgarde-Kunst? Wie politisch dachte die Avantgarde, fragt das Buch von Klaus von Beyme , ein über 1000 Seiten starker Wälzer, der kaum zu bewältigen ist, ein Kompendium mit einer sich im Umfang überschlagenden Bibliographie, allerdings ohne jede Fußnote. Avantgarde, den Begriff soll bereits 1825 Saint-Simon aus der Militärsprache geholt und der Kunst als Ziel aufgedrückt haben. Denn das sollte sie sein: Vorausabteilung, Vorhut, Spähtrupp, Sturmtrupp der Gesellschaft, Speerspitze des politisch-sozialen Fortschritts und der ästhetischen Innovation. Fremdbestimmung?
"Ich halte mich so viel als möglich außerhalb der Politik."
Wehrte sich Matisse:
"Ich weiß, Delacroix machte ein paar Bilder 1848. Revolution kann manchmal einem Zweck dienen, aber es ist trotz allem unerlässlich, außerhalb der Politik zu bleiben. Man kann liberale Ideen haben, aber der Künstler hat nicht das Recht, etwas von der kostbaren Zeit zu verlieren, die er hat, um das eigene auszudrücken."
Andere Künstler wie die russischen und italienischen Futuristen haben sich dagegen mächtig eingemischt, waren für oder gegen ihre Systeme, Dissidenten oder Schildträger Mussolinis und Stalins. Wie Marinetti, der 1922 nach dem Marsch auf Rom das Programm der Faschisten zum Minimalprogramm der Futuristen erklärte. Wie Lissitzky, der die erste Fahne für das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei geschaffen hat, die 1918 über den roten Platz getragen wurde, und der 1920 ein Plädoyer für die Kunst im Dienste der Parteipropaganda schrieb: Der Künstler als der "Genosse" des Gelehrten, des Ingenieurs, des Arbeiters. Wie Dalí, der mit Franco paktierte, während Picasso all die Jahre über die kommunistische Partei Spaniens finanziell unterstützte und in die Partei auch schließlich eintrat.
Für Adorno enthält "die ständige Neuerungssucht der Kunst den Keim ihres Untergangs". Umgekehrt verliert die vom Trupp eingeholte Avantgarde ihre Identität. Ist nicht mehr "vorne" allein. Das ist das Schicksal der Avantgarden der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts. Längst sind sie zur klassischen Moderne geworden. Ihres Rebellentums beraubt, hängen sie im Museum, wo sich der Bildungsbürger heute an Marcel Duchamps "Urinoir" ergötzen kann, ohne von den Stürmen der Entrüstung, das es 1913 ausgelöst hatte, berührt zu sein. Ein Wandel, den Duchamp kommentierte:
"Es half als Geste den Geist der Menschen in eine andere Richtung zu lenken, als sie gewöhnt waren. All diese Kubisten und Futuristen helfen den Leuten zu einem anderen Denken über die Kunst."
Als Max Ernst Anfang der zwanziger Jahren als junger Dadaist aus dem Deutschland des Expressionismus, des "Blauen Reiters" und der "Brücke", nach Paris ging, fand er dort den Fauvismus und Kubismus vor mit den reizvollen "papiers collés" von Picasso, in denen sich in den aufgeklebten Zeitungsfetzchen antimilitaristische Slogans versteckten. Picasso, der behauptete:
"Der Himmel ist blau wie eine Apfelsine."
Der Kampf der Kunst um sich selbst schien längst Vergangenheit. Dass 1912 zum Beispiel im Chambré des Députés der Sozialist Marcel Sombat die konservative Kampagne gegen die Fauves und die Kubisten mit den Worten abgeschmettert hatte:
"Wenn Malerei Ihnen schlecht erscheint, haben Sie ein unbestreitbares Recht, nicht hinzuschauen. Aber man ruft doch nicht nach der Polizei!"
Max Ernst hatte in Köln Drohbriefe erhalten mit dem immer gleichen eindeutigen Satz:
"Wir lassen uns den Parademarsch nicht rauben." (Bim – bam – bim bam …)
Roll nicht von deiner Spule, sonst bricht dein Backsteinzopf. Sonst picken dir die Winde die Flammen aus dem Kopf. Sonst fließt aus deinen Röhren der schwarze Sternenfisch und reißt mit seinen Krallen die erste Wut vom Tisch.2
Im ersten Teil seines Buchs befasst sich Klaus von Beyme mit der sozialen Existenz der Künstler. Im zweiten Teil schlägt sich Autor Beyme fasziniert und sich auf Neuland fühlend mit den "schriftlichen Einlassungen" der Avantgarde herum. Gerade hier gilt das "Sowohl – als auch", das über dem ganzen Opus liegt. Dass viele Künstler der zweiten Garnitur zu Wort kommen, zeigt, dass diese immer schneller dabei waren, Manifeste zu verfassen. Sie sind insofern typischer für die Bewegungen als die sich allen Verallgemeinerungen entziehenden großen Einzelgänger wie Picasso, Matisse und Miro. Sie warfen sich in oft pseudowissenschaftliche Theorien über die Kunst und die Abstraktion, über die Abschaffung bisheriger Konzepte, der akademischen sowieso, über die Maschine und den Künstler als - nach Stalins Diktum - "Ingenieur der Seele". Vor allem aber hielten sie die Idee von der Einheit von Kunst und Leben hoch:
"Der Künstler selbst muss ein Kunstwerk sein. Meine Kunst soll die des Lebens sein. Jede Sekunde, jeder Atemzug ist ein Werk, das nirgendwo eingetragen ist und das weder virtuell noch cerebral ist."
Forderte Marcel Duchamp.
"I am much more on the conceptual side of life than on the visual one."
Vallauris l964. Ein Fresco wird enthüllt. Der Reporter hält dem erstaunlich gutgelaunten Maler das Mikrofon hin. Und Picasso wiederholt nicht ohne Ironie, was ihm der Mann in den Mund legt:
Philosophisch-politische Worte, die dann in die Kunstgeschichte eingehen: Das Fresko stelle den "vor dem Licht flüchtenden Geist der Finsternis dar". Es ist der dritte Teil des Buchs, der einen verzeihen lässt, dass Klaus von Beyme in selbstgewählter Kunstferne auf seinem spröden sozialwissenschaftlichen Ansatz beharrt, seinem anderen Blick von außen. Auch dass er den Leser mit hässlichen Schwarz-Weiß - oder eher Grau-Weiß-Reproduktionen in Kleinformat abspeist. Jetzt wird das Buch zu einem übersichtlichen verlässlichen Nachschlagewerk. Avantgarde und Politik zwischen den Weltkriegen wird transparent. Es ist ein historisches Kapitel über beides, die Verführbarkeit einerseits und Mut und Leiden andererseits, was alles sich auch je in den Bildern niederschlägt. Faschismus, Nationalsozialismus, Kommunismus, Stalinismus und Emigration – die Vielfalt der Haltungen und Biographien lassen sich jedoch auf keinen Nenner bringen, schon gar nicht auf den der Avantgarde. Dazu müsste man einige Monographien schreiben.
"Da war das erste bedrohliche Ereignis - 1933 die Übernahme der Macht in Deutschland durch den weltbekannten Herrn Ex-Maler Adolf Hitler. Ich sehe gefräßige Gärten, ihrerseits verschlungen von einer Vegetation, die aus den Trümmern eingefangener Flugzeuge entspringt. In diesen Arbeiten zittern die ungereimten und irrationalen Eigenschaften, die man im allgemeinen Träumen zuschreibt, obwohl die Künstler wissen, dass sie der ursprüngliche Atem der Wirklichkeit sind."
Ariane Thomalla über: Klaus von Beyme: Das Zeitalter der Avantgarden
Kunst und Gesellschaft 1905 – 1955. Das 995 Seiten umfassende Werk ist im Münchener Beck Verlag erschienen und kostet 58 €.
Lautet ein Wort von Pablo Picasso, dem Avantgardisten par excellence, das gewichtig klingt. Wer soll angegriffen werden und gegen wen gilt es sich zu verteidigen? Gegen einen Feind nur der Kunst? Der Avantgarde-Kunst? Wie politisch dachte die Avantgarde, fragt das Buch von Klaus von Beyme , ein über 1000 Seiten starker Wälzer, der kaum zu bewältigen ist, ein Kompendium mit einer sich im Umfang überschlagenden Bibliographie, allerdings ohne jede Fußnote. Avantgarde, den Begriff soll bereits 1825 Saint-Simon aus der Militärsprache geholt und der Kunst als Ziel aufgedrückt haben. Denn das sollte sie sein: Vorausabteilung, Vorhut, Spähtrupp, Sturmtrupp der Gesellschaft, Speerspitze des politisch-sozialen Fortschritts und der ästhetischen Innovation. Fremdbestimmung?
"Ich halte mich so viel als möglich außerhalb der Politik."
Wehrte sich Matisse:
"Ich weiß, Delacroix machte ein paar Bilder 1848. Revolution kann manchmal einem Zweck dienen, aber es ist trotz allem unerlässlich, außerhalb der Politik zu bleiben. Man kann liberale Ideen haben, aber der Künstler hat nicht das Recht, etwas von der kostbaren Zeit zu verlieren, die er hat, um das eigene auszudrücken."
Andere Künstler wie die russischen und italienischen Futuristen haben sich dagegen mächtig eingemischt, waren für oder gegen ihre Systeme, Dissidenten oder Schildträger Mussolinis und Stalins. Wie Marinetti, der 1922 nach dem Marsch auf Rom das Programm der Faschisten zum Minimalprogramm der Futuristen erklärte. Wie Lissitzky, der die erste Fahne für das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei geschaffen hat, die 1918 über den roten Platz getragen wurde, und der 1920 ein Plädoyer für die Kunst im Dienste der Parteipropaganda schrieb: Der Künstler als der "Genosse" des Gelehrten, des Ingenieurs, des Arbeiters. Wie Dalí, der mit Franco paktierte, während Picasso all die Jahre über die kommunistische Partei Spaniens finanziell unterstützte und in die Partei auch schließlich eintrat.
Für Adorno enthält "die ständige Neuerungssucht der Kunst den Keim ihres Untergangs". Umgekehrt verliert die vom Trupp eingeholte Avantgarde ihre Identität. Ist nicht mehr "vorne" allein. Das ist das Schicksal der Avantgarden der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts. Längst sind sie zur klassischen Moderne geworden. Ihres Rebellentums beraubt, hängen sie im Museum, wo sich der Bildungsbürger heute an Marcel Duchamps "Urinoir" ergötzen kann, ohne von den Stürmen der Entrüstung, das es 1913 ausgelöst hatte, berührt zu sein. Ein Wandel, den Duchamp kommentierte:
"Es half als Geste den Geist der Menschen in eine andere Richtung zu lenken, als sie gewöhnt waren. All diese Kubisten und Futuristen helfen den Leuten zu einem anderen Denken über die Kunst."
Als Max Ernst Anfang der zwanziger Jahren als junger Dadaist aus dem Deutschland des Expressionismus, des "Blauen Reiters" und der "Brücke", nach Paris ging, fand er dort den Fauvismus und Kubismus vor mit den reizvollen "papiers collés" von Picasso, in denen sich in den aufgeklebten Zeitungsfetzchen antimilitaristische Slogans versteckten. Picasso, der behauptete:
"Der Himmel ist blau wie eine Apfelsine."
Der Kampf der Kunst um sich selbst schien längst Vergangenheit. Dass 1912 zum Beispiel im Chambré des Députés der Sozialist Marcel Sombat die konservative Kampagne gegen die Fauves und die Kubisten mit den Worten abgeschmettert hatte:
"Wenn Malerei Ihnen schlecht erscheint, haben Sie ein unbestreitbares Recht, nicht hinzuschauen. Aber man ruft doch nicht nach der Polizei!"
Max Ernst hatte in Köln Drohbriefe erhalten mit dem immer gleichen eindeutigen Satz:
"Wir lassen uns den Parademarsch nicht rauben." (Bim – bam – bim bam …)
Roll nicht von deiner Spule, sonst bricht dein Backsteinzopf. Sonst picken dir die Winde die Flammen aus dem Kopf. Sonst fließt aus deinen Röhren der schwarze Sternenfisch und reißt mit seinen Krallen die erste Wut vom Tisch.2
Im ersten Teil seines Buchs befasst sich Klaus von Beyme mit der sozialen Existenz der Künstler. Im zweiten Teil schlägt sich Autor Beyme fasziniert und sich auf Neuland fühlend mit den "schriftlichen Einlassungen" der Avantgarde herum. Gerade hier gilt das "Sowohl – als auch", das über dem ganzen Opus liegt. Dass viele Künstler der zweiten Garnitur zu Wort kommen, zeigt, dass diese immer schneller dabei waren, Manifeste zu verfassen. Sie sind insofern typischer für die Bewegungen als die sich allen Verallgemeinerungen entziehenden großen Einzelgänger wie Picasso, Matisse und Miro. Sie warfen sich in oft pseudowissenschaftliche Theorien über die Kunst und die Abstraktion, über die Abschaffung bisheriger Konzepte, der akademischen sowieso, über die Maschine und den Künstler als - nach Stalins Diktum - "Ingenieur der Seele". Vor allem aber hielten sie die Idee von der Einheit von Kunst und Leben hoch:
"Der Künstler selbst muss ein Kunstwerk sein. Meine Kunst soll die des Lebens sein. Jede Sekunde, jeder Atemzug ist ein Werk, das nirgendwo eingetragen ist und das weder virtuell noch cerebral ist."
Forderte Marcel Duchamp.
"I am much more on the conceptual side of life than on the visual one."
Vallauris l964. Ein Fresco wird enthüllt. Der Reporter hält dem erstaunlich gutgelaunten Maler das Mikrofon hin. Und Picasso wiederholt nicht ohne Ironie, was ihm der Mann in den Mund legt:
Philosophisch-politische Worte, die dann in die Kunstgeschichte eingehen: Das Fresko stelle den "vor dem Licht flüchtenden Geist der Finsternis dar". Es ist der dritte Teil des Buchs, der einen verzeihen lässt, dass Klaus von Beyme in selbstgewählter Kunstferne auf seinem spröden sozialwissenschaftlichen Ansatz beharrt, seinem anderen Blick von außen. Auch dass er den Leser mit hässlichen Schwarz-Weiß - oder eher Grau-Weiß-Reproduktionen in Kleinformat abspeist. Jetzt wird das Buch zu einem übersichtlichen verlässlichen Nachschlagewerk. Avantgarde und Politik zwischen den Weltkriegen wird transparent. Es ist ein historisches Kapitel über beides, die Verführbarkeit einerseits und Mut und Leiden andererseits, was alles sich auch je in den Bildern niederschlägt. Faschismus, Nationalsozialismus, Kommunismus, Stalinismus und Emigration – die Vielfalt der Haltungen und Biographien lassen sich jedoch auf keinen Nenner bringen, schon gar nicht auf den der Avantgarde. Dazu müsste man einige Monographien schreiben.
"Da war das erste bedrohliche Ereignis - 1933 die Übernahme der Macht in Deutschland durch den weltbekannten Herrn Ex-Maler Adolf Hitler. Ich sehe gefräßige Gärten, ihrerseits verschlungen von einer Vegetation, die aus den Trümmern eingefangener Flugzeuge entspringt. In diesen Arbeiten zittern die ungereimten und irrationalen Eigenschaften, die man im allgemeinen Träumen zuschreibt, obwohl die Künstler wissen, dass sie der ursprüngliche Atem der Wirklichkeit sind."
Ariane Thomalla über: Klaus von Beyme: Das Zeitalter der Avantgarden
Kunst und Gesellschaft 1905 – 1955. Das 995 Seiten umfassende Werk ist im Münchener Beck Verlag erschienen und kostet 58 €.