Stress und Überarbeitung gehören zum Arbeitsalltag. Und häufig wird Arbeit zur Droge: Jede Minute des Tages nutzvoll verbringen, sich pausenlos beschäftigen und effizient sein. Eine Wichtigkeit jagt die andere. Ökononomische Sachzwänge bestimmen den Kurs. Träume und Bedürfnisse liegen brach. Die Familie wird zur Last. Man hört auf, ein Mensch zu sein. Die Autoren haben die Konsequenz gezogen: Sie sind ausgestiegen aus ihrer Macherexistenz. Und so haben sie Zeit gefunden für eine radikale Kritik an unserer Arbeitsgesellschaft und ihrem Sinnstiftungsanspruch. Sie meinen dabei nicht die Glücklichen, die tatsächlich ihren Lebenssinn in ihrer Arbeit gefunden haben. Den Autoren geht es um diejenigen, die an ihrer Arbeit leiden. Diejenigen, die sich zwanghaft mit ihrem Job identifizieren. Wer fühlt sich nicht angesprochen? Auch die Arbeitsplatzanbieter sind immer stärker von Effizienzdruck getrieben, und ihre Gier kennt keine Grenzen:
"Wo es früher darum ging, mit Stechuhren den Körper einzufangen, will man jetzt die Seele. Der Arbeitsplatz wird mit Bedeutung aufgeladen und aus der Belegschaft eine große Familie gemacht, mehr noch, eine Glaubensgemeinde, die zu jedem Opfer bereit ist und einer gemeinsamen Vision folgt. Und scheinbar profitieren von diesem Sinnbündnis alle Beteiligten: der einzelne Mitarbeiter auf seiner Suche nach einer tieferen Bedeutung seines Tuns, das Management, dem die Familiennummer motivierte Mitarbeiter beschert, und selbstverständlich der Eigentümer, der mit Hilfe der den Mitarbeitern verkauften Visionen der eigenen Vision näher kommt, der Steigerung des Gewinns oder des Aktienkurses."
Gerade diejenigen, die von klein an auf Leistung und Erfolg getrimmt sind, neigen dazu, die Verheißungen der Unternehmen und ihrer "corporate identity" zu glauben, so die Autoren. Und sie verschreiben sich mit Haut und Haar der Karriere. Die Arbeit wird zum Leben selbst. Andererseits aber ist das kapitalistische Wirtschaftssystem ja gerade darauf ausgerichtet, durch permanente Steigerung von Produktivität und Effizienz Arbeitsplätze überflüssig zu machen. Eine enorme Chance, uns weiter von dem Zwang zur Erwerbsarbeit zu emanzipieren und weniger zu arbeiten. Stattdessen wird die Arbeit knapp gehalten, wird zum Privileg, zum Wert an sich. Die Angst vor dem Arbeitsplatzverlust führt dazu, dass sich viele mit ihrem Job arrangieren. Hauptsache: Arbeit. Natürlich arbeiten wir für unseren Lebensunterhalt. Warum sonst sollte man sich in einem Supermarkt an die Kasse setzen und jeden Tag 25.000 Mal Tomatenketchup, Haarspray und Klopapier über den Laserstrahl ziehen, räumen die Autoren ein. Aber sie halten dagegen:
"Dass wir für unser Geld arbeiten, ist nur die halbe Wahrheit. Würde Arbeitslosigkeit sonst wirklich so viel Schrecken verbreiten? Wäre Arbeit in unserem Leben sonst tatsächlich so wichtig? Würden jedes Jahr wirklich Milliarden von unbezahlten Überstunden gemacht? Würden wir uns so engagieren in unserem Job? Würden uns Lob und Tadel eines Vorgesetzten so viel bedeuten?"
Auch wenn der Job zum Überleben dient, greift es tatsächlich zu kurz, den Arbeitswahn in erster Linie mit Sachzwängen zu erklären. Arbeit verschafft eben auch Anerkennung, Selbstwertgefühl, Prestige. Und auch wenn Millionen Menschen betroffen sind, ist Arbeitslosigkeit immer noch schambesetzt. Dazu bemerken die Autoren:
"Anstatt sich als Opfer einer Entwicklung zu sehen, auf die sie keinen Einfluß haben, machen viele Arbeitslose sich selbst für ihr vermeintliches Scheitern verantwortlich. Diese Scham ist der Grund, warum Arbeitslose den sozialen Frieden nicht stören .... Die Scham der Arbeitslosen ist Gold wert, man sollte sie dafür bezahlen."
Die Scham der Arbeitslosen ist die Kehrseite des Arbeitswahns. In einer Gesellschaft, die den Kampf um Arbeitsplätze ganz oben auf ihre Fahnen geschrieben hat, wird ein glücklicher Arbeitsloser suspekt. Die Politiker aller Parteien kämpfen, die Interessenverbände kämpfen, die Gewerkschaften kämpfen, der Kanzler kämpft im Bündnis mit hochrangigen Vertretern aus Wirtschaft und Politik. Und die Medien kämpfen: Tag für Tag lassen wir die Zahlenspiele über uns ergehen.
"Wenn es um die Schaffung von Arbeitspätzen geht, scheint kein Aufwand zu groß zu sein. Mit Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, Umschulungs- und Qualifizierungsprogrammen wurde ein enormer, staatlich subventionierter, zweiter Arbeitsmarkt geschaffen, der auch den ansonsten Chancenlosen die Segnungen der Arbeit zu bringen verspricht, wenn auch manchmal gegen deren Willen. Wer angebotene Stellen ablehnt, riskiert die Streichung oder Kürzung von Arbeitslosenleistungen oder Sozialhilfe. Mit Zuckerbrot und Peitsche wurden auf diese Weise allein im Jahr 1999 1,5 Millionen Menschen versorgt."
In der Tat werden Milliarden Mark dafür ausgeben, Arbeitssuchende in vorübergehenden Maßnahmen zu parken und so die Statistiken zu schönen. Flexibilisierung, Deregulierung und ein Niedriglohnsektor soll allen wieder einen Arbeitsplatz bescheren. Fauler Zauber, sagen die Autoren, und verweisen auf das unerschöpfliche Potenzial an Billigarbeitsplätzen:
"Wie viele Paar Schuhe laufen durch die Straßen und werden von ihren Besitzern selbst poliert? Wie viele Einkaufstüten werden von schwitzenden Kunden an der Kasse eigenhändig gefüllt und zum Auto getragen? Wie viele Menschen kochen ihr Essen noch selber? Wie viele gut situierte Familien hätten noch ein Zimmerchen unter dem Dach für ein Dienstmädchen? Wir brauchen nicht viel herumzurechnen - der Traum von der Arbeit für alle ist noch nicht ausgeträumt (...) Voraussetzung für den Boom des Billigsektors ist allerdings, dass der Arbeitsmarkt dereguliert, das heißt dem freien Spiel der Marktkräfte überlassen bleibt."
Wie kann man den Unwilligen mit Zwang auf die Sprünge helfen, sich den Erfordernissen der Wachstumsmaschine anzupassen? Das wird in Wahlkampfzeiten wieder verschärft diskutiert. Die Gesellschaft droht weiter auseinander zu fallen in diejenigen, die arbeiten, um sich Dienste zu leisten, die sie auch selbst verrichten könnten. Und die anderen, die solche Dienste gegen geringe Entlohnung auszurichten haben. Die Folge ist eine immer stärkere Kommerzialisierung der Lebensverhältnisse. Wie entkommen wir dem Lohnarbeitswahn und wehren uns gegen seine Propagandisten aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik? Es existieren bereits zahlreiche Vorschläge, die erreichte Produktivität für ein humaneres und genussvolleres Leben zu nutzen, uns also mehr und mehr von den Arbeitszwängen zu befreien. Aber so naheliegend sie sind, so sehr rütteln sie doch an den Grundfesten einer globalisierten Wirtschaftsmaschine und ihrer Ideologie. Axel Braig und Ulrich Renz selbst präsentieren keine politischen Lösungen. Sie verweisen auf ihr kommentiertes Literaturverzeichnis.
Ausgehend von ihren eigenen Erfahrungen und inspiriert durch die Gesellschaftskritik von Arendt bis Gorz ist den Autoren ein sehr lesenswertes hochpolitisches Plädoyer gelungen: Mehr Verantwortung dafür zu übernehmen, wie wir leben und arbeiten wollen. Jeder einzelne muß sich fragen, inwieweit er sich dem gesellschaftlichen Druck einfach unterwerfen will, den Verheißungen des Höher, Weiter, Schneller, wie sie sich Tag für Tag über uns ergießen.
"Eigentlich bin ich ganz anders, nur komm ich so selten dazu." Ödön von Horvath
Mit diesem Zitat überschreiben die Autoren das erste Kapitel ihres Buches. Das Schlusskapitel widmen sie den Müßiggängern, Dilletanten und Amateuren. Denjenigen, die mit Vergnügen tätig sind. Der Mythos des ewigen Profis kann sie darin nicht beirren.
Günter Rohleder stellte das Buch vor von Axel Braig und Ulrich Renz: Die Kunst, weniger zu arbeiten. Erschienen ist es im Argon Verlag, Berlin, mit 219 Seiten und kostet 34 Mark.