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"Axel Springer. Juden, Deutsche und Israelis"

Manchmal erkennt man den Frosch auf dem Seziertisch nicht, geschweige denn die Bild-Zeitung auf dem Schreibtisch eines Historikers. Wer hätte gedacht, dass Springers Blut- und Busenblatt einst ausgezogen war, um geschlagene arische Kriegsheimkehrer zu zivilisieren. Der Historiker Norbert Frei fasste die Frühzeit des Kampfblattes aus dem Hause Springer am Ende der Tagung des Frankfurter Fritz Bauer Instituts zusammen.

Von Jochanan Shelliem | 29.03.2011
    "Es ist im Grunde genommen der Versuch, eine Zivilisierung, eine Entsoldatisierung, könnte man sagen, der deutschen post-nationalsozialistischen Volksgemeinschaft voranzutreiben, das würde ich als die ernstere Variante dieser Verkaufe "Seid nett zueinander" – so hieß es ja bei Springer selbst, aber umso deutlicher steht ja dieser Impuls aus dem deutschen Landser einen Pantoffelhelden zu machen."

    Was sich in den Sechzigern zum antikommunistischen Hetzblatt an der Demarkationslinie zur DDR entwickelte, erblickte 1952 als Fortschrittsorgan das Licht der Welt. Es war, so Norbert Frei, in der jungen Bundesrepublik...

    "Das first nationwide paper mit vielen Bildern."

    ... deren Macher ausgezogen war, um, mit einer wilden Redaktionsbesatzung aus Nazis und Holocaust-Überlebenden, die Republik zu retten. Merkwürdigerweise, so die Historiker auf der Tagung, verhalf dem Impresario des auflagenstärksten Blattes auf dem Boulevard – nur in Japan gab es noch ein größeres – ein Schock zur guten Einsicht. Gudrun Kruip Historikerin des Heuss Hauses in Stuttgart.

    "Schon länger hatte sich Axel Springer als politischer Verleger verstanden, doch seine gescheiterte Moskaureise, die den Deutschen die Wiedervereinigung bringen sollte, führte zu einer personellen und inhaltlichen Umstrukturierung."

    Als der Verleger von seinem Treffen mit Chruschtschow nur mit einem klammen Interview aus Moskau zurückkommt, hat er die Grenzen seiner Macht kennen gelernt. Fortan gilt ihm die eigene Position als Zentrum der Druckerschwärze. Springer beauftragt seinen Intimus Mahnke mit der Verfassung seiner Redaktions-Gebote. Horst Mahnke, Hauptobersturmbannführer a.D., gehörte wie Paul Karl Schmidt alias Paul Carell, der selbst ernannte Wehrmachtsberichterstatter in der Nachkriegsrepublik zu den überzeugten Nazis in Springers Entourage.

    Kein untypisches Bild in den 50er-Jahren. Wie in Henri Nannens Stern und bei Rudolf Augstein im frühen noch deutsch-nationalen Spiegel herrschte auch im Hause Springer eine Schlussstrich-Mentalität: Auch der jüdische Demokrat und Lagerüberlebende Ernst Cramer ignorierte, was die Kollegen im Dritten Reich verbrochen hatten. Der Blick, er ging nach vorn.
    Springers geniale Volte aber lag in einem spektakulären Coup. 20 Jahre nach der Shoah, ein Jahr nach seinem verunglückten Versuch im Kamingespräch mit Chruschtschow die Wiedervereinigung nach Hause zu bringen, beauftragt Springer seinen Intimus Mahnke, die Leitthesen des Unternehmens zu Papier zu bringen, die alle Mitarbeiter unterschreiben müssen, darunter das Bekenntnis zu "einer Aussöhnung zwischen Juden und Deutschen, hierzu gehört auch die Unterstützung der Lebensrechte des israelischen Volkes. Schaut auf den Verfasser, jubelte der Publizist Klaus Kocks auf der Tagung, braun ist die Sprache, völkisch der Mann. Von dem israelischen Volk ist da verquast die Rede ...

    "Schon der Begriff Volk ist völkisch."

    Und Dany Cohn-Bendit, viel zu gelassen für die Anti-Springer-Tiraden von einst, erklärte …

    "Springer hat dann aus dieser, oder die Bild-Zeitung und Welt auch, haben ja versucht, eine ganze politische Ideologie aus dieser Position zu formulieren und das ist das Schwierige, hat, im Grunde genommen, ihnen erspart, im Grunde genommen, mit der deutschen Geschichte auseinanderzusetzen."
    Im Hause Springer, das nun vorprescht, so die Historiker auf dem Kongress, Deutschland zu zivilisieren, herrscht der Blick nach vorn. Mecki, der Comic-Igel der Hörzu, dem ersten Flagschiff des Verlags, verkörperte diese Behäbigkeit, die in Frankfurt als befriedender Impuls in der Adenauerzeit gesehen worden ist, bevor sich das Blatt im antikommunistischen Mief der späten Sechziger verhärtete und traktiert von den Manipulationsthesen der anti-autoritären Bewegung auf härtere Gegenspieler traf.
    Auch die Stasi schoss sich auf das Springer-Haus ein, entsandte Spitzel und Spione und ließ fulminante Propagandafilme drehen. Doch da, so die Historiker auf dem Kongress, hatte sich die Bundesrepublik längst an der Springer Presse vorbei zur sozial-liberalen Gesellschaft gemausert und nach Osten geöffnet. Verwirrende Einblicke in die Mediendynamik der Nachkriegsrepublik bot dieser Kongress, aus dem eine Ausstellung werden will.