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Aydan Özoğuz
Der Einfluss der Flüchtlingsbeauftragten

Sie sitzt im Kanzleramt und am Kabinettstisch und dennoch ist ihr Amt eines, das symbolischen Charakter hat. Aydan Özoğuz ist Flüchtlingsbeauftrage der Bundesregierung. Ihre Lobbyarbeit tätigt sie über die Öffentlichkeit, mit mäßigem Erfolg. Denn die Sozialdemokratin muss den Spagat zwischen Parteiraison und Anliegen wagen.

Von Katharina Hamberger | 13.08.2015
    Aydan Özoguz (SPD), Staatsministerin für Integration, bei der Auftaktveranstaltung des Bundesprogramms "Willkommen bei Freunden" im "Internationalen Jugend-, Kunst- und Kulturhaus Schlesische27" in Berlin am 28.05.2015 . Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa
    Aydan Özoguz, Staatsministerin bei der Bundeskanzlerin als Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration. (picture alliance / dpa / Bernd von Jutrczenka)
    Aydan Özoğuz muss warten.
    Zum Beispiel: Ehrenamtliche Vormunde für minderjährige Flüchtlinge, die an der Bürokratie verzweifeln. Özoğuz ist eine Art Lobbyistin für die Anliegen von Migranten und Flüchtlingen und derer, die sich um sie kümmern. Deren Bedürfnisse und Begehren kann sie jedoch nur aufnehmen und versuchen, in Berlin dafür zu trommeln kann sie jedoch nur aufnehmen und versuchen, in Berlin dafür zu trommeln
    Die Sozialdemokratin besucht eine Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge in Ingelheim, Rheinland-Pfalz. Özoğuz schlägt vorsichtig vor, man könne ja schon mal mit dem Rundgang beginnen. Vergeblich. Nein, der Leiter der Einrichtung würde lieber noch auf die Staatssekretärin aus Mainz warten. Also stellt sie noch ein paar interessierte Fragen:
    Aydan Özoğuz: "Und die Kinder, ist da noch irgendwas möglich, eine Betreuung und so?"
    Einrichtungsleiter: "Ja, wir haben einen Spielplatz hier..."
    Özoğuz zeigt echtes Mitgefühl, will wirklich wissen, wie es den Menschen geht. Aber wie viel kann die für Flüchtlinge Beauftragte der Bundesregierung tatsächlich für sie tun? Vor allem in diesen Wochen. Flüchtlingsunterkünfte sind überbelegt, die Ämter kommen nicht mehr nach mit der Registrierung, weshalb Flüchtlinge manchmal stundenlang in der Hitze ausharren müssen, fast eine Viertel Million Asylanträge warten auf Bearbeitung. Dafür braucht es Lösungen vonseiten der Politik – und Özoguz ist Teil der Bundesregierung. Was kann sie erreichen? Eine Frage an Renate Künast, die für die Grünen im Bundestag sitzt.
    "Ja, man nimmt Frau Özoğuz wahr. Und ich glaube, sie kann auch Einfluss haben. Wie viel sie sich tatsächlich nimmt, kann ich schwerlich beurteilen."
    Eine zunächst milde Bewertung von Künast, die eigentlich nicht um scharfe Worte verlegen ist. Aber: Bei so manchem Thema, zum Beispiel die bessere Integration von Migranten, müsse die dafür zuständige Staatsministerin Özoğuz den Finger in die Wunde legen.
    Renate Künast:
    "Aber da muss man dann natürlich mal Feuer unter die Stühle der Kollegen legen."
    Özoğuz hat kein Entscheidungsamt
    Wenn das so einfach wäre. Denn Tatsache ist: Die Beauftragte der Bundesregierung hat kein Entscheidungsamt. Man merkt es an Kleinigkeiten: Einer Ministerin wäre es anders ergangen in Ingelheim – da wäre die Staatssekretärin aus Rheinland-Pfalz wohl auch nicht zu spät gekommen. Und man merkt es auch an Özoğuz' Formulierungen – sie fordert selten, sie wünscht sich:
    "Wir wissen, dass wir insgesamt in Deutschland 240.000 unbearbeitete Anträge haben und ich würde mir wünschen, dass wir so, wie es hier geschieht, auch tatsächlich an mehreren Stellen unseres Landes eine engere Zusammenarbeit hinbekommen, dass auch das Bundesamt etwas mobiler wird."
    Ein Wunsch, von dem sie nicht sagen kann, ob er tatsächlich auch erfüllt wird – wie so vieles, was Flüchtlinge und diejenigen an Özoğuz herantragen, die sich für sie einsetzen.

    Zum Beispiel: Ehrenamtliche Vormunde für minderjährige Flüchtlinge, die an der Bürokratie verzweifeln. Özoğuz ist eine Art Lobbyistin für die Anliegen von Migranten und Flüchtlingen und derer, die sich um sie kümmern. Deren Bedürfnisse und Begehren kann sie jedoch nur aufnehmen und versuchen, in Berlin dafür zu trommeln.
    Amt hat mehr symbolcharakter
    Denn auf Regierungsebene ist die 48-Jährige davon abhängig, dass sie bei den Kabinettskollegen, mit denen sie jeden Mittwoch an einem Tisch sitzt, Gehör findet. Die entscheiden am Ende, ob vielleicht eine Gesetzesänderung auf den Weg gebracht wird oder nicht. Denn: Özoğuz' Amt ist, wie auch das anderer Beauftragter der Bundesregierung - zum Beispiel dem für Patienten oder der Behindertenbeauftragten - mehr eines mit Symbolcharakter.

    Dadurch zeigt eine Regierung: Schaut her, wir kümmern uns um das Thema. Dass man auf einem solchen Posten zwar viele Fragen aufwerfen, aber am Ende doch nicht selbst entscheiden kann, mussten auch schon andere feststellen. Beispiel: Liselotte Funcke von der FDP. Mehr als zehn Jahre war sie Ausländerbeauftragte der Bundesregierung – das Vorgängeramt der Integrationsbeauftragten. Am Ende resignierte sie. In einem Brief vom 17. Juni 1991, der heute noch im Liberalismus-Archiv der Friedrich-Naumann-Stiftung aufbewahrt wird, schrieb sie dem damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl:
    Frust einer Vorgängerin
    "Ich habe mich bemüht, die mir gestellte Aufgabe einer besseren Integration von über vier Millionen ausländischen Mitbürgern zu erfüllen. Doch waren die Möglichkeiten begrenzt."
    Auch ihr Ärger darüber, dass ein vereinbartes Gespräch mit dem Bundeskanzler nicht stattgefunden hat, ist zwischen den Zeilen zu lesen.
    "Daher sehe ich keine andere Möglichkeit, als Ihnen den Bericht über die Tätigkeit meines Amtes auf dem Postweg zuzustellen. Und Ihnen auf gleichem Wege meinen Auftrag zum 15. Juli 1991 zurückzugeben."
    Özoğuz sitzt im Kanzleramt und am Kabinettstisch.
    Der Brief: drei Seiten voller Frust. Frust darüber, ein Amt innezuhaben, das Funcke selbst als extrem wichtig empfindet und von anderen nur als Nice-to-have angesehen wird. So frustriert, wie diese eine ihrer Vorgängerinnen scheint Özoğuz nicht.

    Ein bisschen hat sich ja auch getan. Die Integrationsbeauftragte hat heute 40 und nicht mehr vier Mitarbeiter, wie Funcke noch 25 Jahre zuvor. Auch wird ihr Thema auf Bundesebene längst anders gewichtet. Sagte Kohl noch in Basta-Manier, Deutschland sei kein Einwanderungsland, ist heute die Politik zum Großteil anderer Meinung. Und: Anders als Liselotte Funke hat Özoğuz ihr Büro im Kanzleramt und sitzt am Kabinettstisch.
    "Aber jetzt ist die Frage: Was macht sie draus?"
    Meint die Grüne Künast. Am Ende bestimmt eben die Person das Amt und dessen Bedeutung. Und bei Özoğuz fällt auf, dass sie versucht, sich über die Öffentlichkeit Gehör zu verschaffen. Sie gibt seit Wochen Interviews am laufenden Band, äußert sich zu sicheren Herkunftsstaaten auf dem Balkan, zu Flüchtlingsunterkünften, zu CSU-Chef Horst Seehofer. Allerdings mit mäßigem Erfolg – weshalb man sich fragt, ob ihre Äußerungen nicht provokativ, nicht offensiv genug sind. Beispiel: sichere Herkunftsstaaten.
    Aydam Özoğuz:
    "Ich bleibe da skeptisch an der Stelle."
    Aber sogar im SPD-Parteivorstand – in dem sie selbst sitzt - ignoriert man die Skepsis der Hamburgerin. In einem Thesen-Papier, das sie am Ende mittragen muss, schwenken Parteispitze und die SPD-Ministerpräsidenten in Richtung von CDU und CSU ein und fordern Albanien, Montenegro und den Kosovo zu sicheren Herkunftsstaaten zu erklären, was Asylanträge von dort praktisch unmöglich macht. Özoğuz wollte ihren Parteifreunden und ihren Kabinettskollegen offenbar nicht auf die Füße treten. Das aber würde ihr wahrscheinlich in Zukunft mehr Aufmerksamkeit für ihr Anliegen und das derer, für die sie spricht, bringen.