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Baader-Meinhof auf der Bühne

Morde, Anschläge und Entführungen - die "Rote Armee Fraktion" (RAF) ruft Anfang der 70er Jahre zum "bewaffneten Widerstand" auf. 1977 erreicht die Gewaltwelle im Deutschen Herbst seinen Höhepunkt. Mit seinem Projekt "30 Jahre Deutscher Herbst" erinnert das Stuttgarter Schauspiel an das Geschehen. Im dritten und letzten Abschnitt des Gedenk-Marathons wird die dritte Generation der RAF Gegenstand der Inszenierung.

Von Christian Gampert | 12.10.2007
    Theater als Medium der Geschichtsforschung - geht das überhaupt? Der Trash-Pop etwa, den Nicolas Stemann mit seiner "Ulrike Maria Stuart" geliefert hat, die Hamburger Inszenierung war in Stuttgart zu Gast, ist zwar eine in sich schlüssige, wilde Performance, aber der Regisseur verkleinert die Baader-Meinhof-Aktivitäten auf das Format einer makabren Kindergeburtstags-Party für ausgeflippte Zombies. Crescentia Dünßer dagegen hat das Jelinek-Stück am letzten Wochenende in Karlsruhe als düsteres Requiem herausgebracht, ganz politisch und ernsthaft, ein Stimmengewirr aus bleierner Zeit. Auch das Stuttgarter Ensemble möchte seriös Geschichte aufarbeiten - aber man ist irgendwie auch fasziniert von der RAF. Intendant Hasko Weber:

    "Baader, Meinhof, das war ein Begriff: Die Medien waren voller Bilder, jeder kannte die. Ich glaube, dass das so ein Wahrnehmungsding ist, das hat vielleicht weniger mit den wirklichen Personen zu tun, es ist viel Mystifizierung dabei, aber es ist eine Energie-Übertragung, die immer noch wirkt."

    Energie ist immer gut am Theater, aber man muss natürlich auch Spielmaterial haben, das über das rein dokumentarische Nachstellen von Geschichte hinausgeht. Jedoch: Genau jene Stuttgarter Produktionen, die eine Fiktionalisierung, Emotionalisierung von Geschichte versuchten, erwiesen sich als die schwächeren. Regina Wenig hat in "Mogadischu Fensterplatz" die Entführung der Lufthansa-Maschine "Landshut" nur aufgesplittet und bebildert; und Hasko Weber selbst musste, ganz offenkundig in Ermangelung eines wirklich starken Texts, auf Fassbinders Film "Die dritte Generation" zurückgreifen, in dem gelangweilte Kleinbürger den Thrill im Terrorismus suchen. Fassbinders These, der Terror sei eine Erfindung der Unternehmer, wirkt im historischen Abstand doch etwas blass, und auch ein engagiertes Ensemble konnte die klamottige Vorlage nicht wirklich aufmöbeln.

    Nicht nur Weber, sondern auch manche in der Stuttgarter Dramaturgie haben eine DDR-Geschichte und deshalb einen gewissen Abstand zum bundesdeutschen Herbst - das tut der Beschäftigung mit dem Thema eher gut. Und seltsamerweise waren es dann die ganz karg arbeitenden, halbdokumentarischen Aufführungen, die einen großen Sog entwickelten: Christian Hockenbrincks "Umschluss" etwa machte die selbstzerstörerische Kraft der RAF sichtbar, und die Intensität, die solche Gefängnis-Szenen auf dem Theater entwickeln, ist eben eine andere als in Guido Knopps TV-Geschichtshäppchen.

    Auch Irmgard Lange setzte auf die strenge theatrale Text-Befragung: Ihre fast mönchische Einrichtung des Romans "Ein Zimmer im Haus des Krieges" von Christoph Peters kroch einem zum Islam bekehrten deutschen Selbstmord-Attentäter quasi in die Gehirnwindungen - eine in sich geschlossene, tautologisch anmutende religiöse Welt als Alternative zum komplizierten Westen wurde da von innen beleuchtet. Und Hans-Werner Kroesinger, der die Tonband-Protokolle des Stammheim-Prozesses theatralisiert hat, ließ nicht etwa Baader und Ensslin auftreten, sondern inszenierte das kafkaeske, monatelange Geplänkel zwischen Gericht und Verteidigern um die Verhandlungsfähigkeit der Angeklagten und um die - gesetzlich nicht gedeckte - Leibesvisitation von Rechtsanwälten. Dass der Rechtsstaat damals seine eigenen Normen vielfach verletzte, dass andererseits die RAF den Prozess verschleppte und sabotierte und Rechtsanwälte wie Otto Schily mit identifikatorischem Zynismus dabei halfen, das ist heute nahezu vergessen - in Stuttgart wird es auf gespenstische Weise wieder erlebbar.

    Allerdings: Was für die Schauspieler Aneignung von Geschichte ist, gerät für den Zuschauer auf Dauer zur Bußübung - wer mehr als eine Stuttgarter Vorstellung besucht, wähnt sich in einer fast kirchlichen Aufarbeitungs- und Bewältigungsmaschinerie. Glücklicherweise gibt es dann noch eine wüst collagierte Arbeit wie Stephan Kimmigs "1977", das eine Nachtclub-Verführungssituation, das Märchen vom bösen Wolf und den sieben Geißlein und Heiner Müllers "Hamletmaschine" hintereinander schaltet. Hamlet als Kämpfer gegen eine korrupte Nazi-Elterngeneration, der seinen Weltekel herausschreit und dann angewidert im Talkshow-Sessel versinkt: "Mein Drama findet nicht mehr statt." Der Heiner-Müller-Satz gilt vielleicht auch für uns und den Deutschen Herbst: dieses Drama findet nicht mehr statt - und man ist darüber doch ganz froh.