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Babylon in der Katastrophenhilfe

Technik. - Rettungseinsätze von Polizei und Feuerwehr, Technischem Hilfswerk und Militärischen Einheiten erfolgen zukünftig im politisch immer stärker zusammenwachsenden Europa grenzüberschreitend. Doch dabei gibt es immer wieder Probleme: Es hapert mit der Sprache und häufig ist die Technik nicht kompatibel. Die Bundesanstalt für Straßenwesen hat nun in einer Studie untersucht, wo genau die Probleme liegen und was geändert werden muss.

Von Mirko Smiljanic |
    Kopenhagen, Öresundbrücke, Kilometer 2,7: Ein schwerer Verkehrsunfall. Es herrscht Chaos, nur Henning Thiessen von der Kopenhagener Polizei bleibt ruhig.

    "Was wir jetzt sehen, ist ein Lastwagen, der hat ein Motorstopp, ein PKW ist hinten in den Lastwagen hinein gefahren und dann noch ein Bus mit 20 Passagieren ist in den PKW herein. Jetzt sind die dänischen Brand- und Rettungsmannschaften angekommen und haben den Rettungseinsatz begonnen."

    So könnte ein Unfall aussehen an der Grenze zwischen Dänemark und Schweden – geprobt im Tunnel der Öresundbrücke. Das Ziel der Übung: Die dänischen und schwedischen Behörden wollten wissen, ob die Einsätzkräfte beider Länder im Ernstfall reibungslos zusammen arbeiten. Genau das hat die Bundesanstalt für Straßenwesen – kurz BASt – in einer jüngst veröffentlichen Studie für Deutschland und seine angrenzenden Länder ebenfalls untersucht. Dabei zeigten sich schon auf den ersten Blick große Unterschiede: An einigen Grenzen – die nach Polen, Dänemark und Frankreich etwa – gibt es Sprachprobleme, in der Schweiz und Österreich fallen sie weg. Selbst an der deutsch-niederländischen Grenze hapert es mal mehr mal weniger – wie Kerstin Auerbach von der Bundesanstalt für Straßenwesen erläutert.

    "Englisch ist natürlich die Sprache, die in den Niederlanden sehr häufig gesprochen wird vom Rettungsdienstpersonal, auf der deutschen Seite ist das leider nicht der Fall, in den Niederlanden klappt auch wieder ganz gut mit Deutsch-Deutsch, aber Niederländisch können wir auch nicht, da müssen da irgendwelche anderen Möglichkeiten gefunden werden."

    Welche Konsequenzen Sprachdefizite haben können, zeigte die Übung an der Öresundbrücke: Das dänische Zahlsystem ähnelt kaum dem schwedischen, weshalb schwedische Bürger es erst gar nicht lernen. Fordern sie nun aber in Stresssituationen bei der dänischen Polizei Hilfe in ihrer Sprache an, kann das fatale Folge haben: Gibt es zwei Verletzte oder 20 oder gar 200? Neben diesen Problemen, herrscht an fast allen Grenzen zwischen Deutschland und seinen Anrainerstaaten ein wildes Durcheinander bei den technischen Anschlüssen. Zum Beispiel sind die Wasseranschlüssen der Feuerwehr an der deutsch-schweizerischen Grenze nicht normiert, sodass auf den Einsatzwagen beide Anschlüsse verfügbar sein müssen. Und richtig kompliziert wird es, wenn ein Unfallopfer an der deutsch-dänischen Grenze intubiert wird. Auerbach:

    "Die deutschen Tubuskonnektoren passen nicht auf dänische Geräte, sodass ein Patient intubiert wird in Deutschland und dann gegebenenfalls neu intubiert werden muss in Dänemark."

    Geradezu dramatisch ist die Situation beim Funkverkehr, dem wichtigsten Kommunikationsmedium zwischen den Leitstellen und den Einsatzkräften. Jedes Land hat eigene Standards mit dem Ergebnis, so Auerbach, …

    "…dass die Rettungsmannschaften einfach zwei Funkgeräte haben, das bringt aber das Problem mit sich, dass sie eine zweigleisige Kommunikation haben."

    Die Hoffnung, das Problem im Rahmen des Digitalfunks zu lösen, hat sich ebenfalls zerschlagen. Digitale Funknetze für "Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben" – kurz BOS – werden derzeit überall in Europa installiert, einheitlich sind die Systeme aber nicht. Zurzeit werden in Europa mit Tetra und Tetrapol zwei unterschiedliche, vor allem aber zwei inkompatible Systeme eingeführt. In dieser verworrenen Situation gibt es keine raschen Lösungen. Trotzdem, sagt Kerstin Auerbach von der BASt – dürfe man das Ziel einer weitgehenden Normierung technischer Standards auf europäischer Ebene nicht aus den Augen verlieren – auch wenn sie einschränkend auf die enormen Kosten verweist:

    "Sie können sich vorstellen, man kann nicht eben mal alle Funkgeräte austauschen, alle Medizinprodukte auf den gleichen Standard bringen."