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Babylonische Verwirrung

Seit der Ost-Erweiterung vor einem Jahr gibt es in der EU 20 offizielle Amtssprachen. Die reichen von Griechisch im Süden über Ungarisch und Niederländisch bis hin zu Estnisch und Finnisch im Norden. Nicht immer klappt dabei die Verständigung. Vor allem aus den kleineren neuen Mitgliedsstaaten fehlen qualifizierte Dolmetscher und Übersetzer.

    Eine Debatte im Europäischen Parlament. Die Abgeordneten aus den 25 Mitgliedsstaaten reden miteinander, ohne sich immer sofort zu verstehen. Denn hier spricht jeder in seiner Heimatsprache. Die Verständigung funktioniert ausschließlich über die Übersetzer und Dolmetscher. Seit der EU-Erweiterung vor einem Jahr treten aber immer wieder Probleme auf – vor allem für die Abgeordneten aus den neuen Mitgliedsstaaten, sagt Ona Jukneviciene aus Litauen:

    "Ich spreche viel Englisch. Ich will einfach Zeit sparen, denn es gibt ein echtes Übersetzungsproblem. Wenn ich litauisch sprechen will, dann gibt es oft keine Dolmetscher. Als ich kürzlich einen Bericht vorstellen sollte, gab es für keine der zehn neuen Sprachen überhaupt nur einen Dolmetscher. Wir haben nicht genug Übersetzer. Es ist ein echtes Organisationsproblem. "

    Dieses Problem gilt nicht für das EU-Parlament, sondern auch für die EU-Kommission oder den Rat. Für die Vertreter aus Slowakei bedeutet das, dass sie die Dokumente in Englisch oder Französisch lesen müssen, wenn sie rechtzeitig informiert sein wollen. Juraj Nociar von der ständigen EU-Vertretung der Slowakei:

    "Eigentlich sollten alle Dokumente für unsere Arbeitssitzungen in unserer Sprache vorliegen. Aber das ist nicht der Fall. Wir bekommen vieles in Englisch. Aber es ist auch verständlich, dass der Rat Wege finden will, um die Arbeit effektiver zu gestalten. Es wird also nicht alles in alle Sprachen übersetzt, sondern nur die wichtigsten Texte. "

    Damit die Kommunikation dennoch einigermaßen funktioniert, hat die EU-Kommission ein altes Prinzip neu belebt. Schon bei der Gründung der EU 1957 gab es zum Beispiel nicht genügend Personal, das vom Niederländischen ins Italienische übersetzen konnte. Also wurde zunächst ins Französische oder Deutsche und danach in die anderen Sprachen übersetzt. Das funktioniert jetzt auch wieder, erklärt Kersti Neufeld, Dolmetscherin aus Estland:

    "Das ist wirklich so, dass viele Dolmetscher der neuen Sprachen nicht unbedingt sehr viele Sprachen haben, aber sie haben eine Fremdsprache, die sie sehr gut können und in der sie auch den Concours bestanden haben. Das heißt, wir dolmetschen in der estischen Kabine genauso wie alle anderen. Aber wenn der estische Vertreter das Wort ergreift, dann gibt es in unserer Kabine die so genannte Retoursprache, deutsch, englisch, manchmal auch Französisch und dann machen wir das in dieser Fremdsprache und alle anderen übernehmen dann davon, was wir gemacht haben."

    Besonders kritisch ist die Situation für Malta, erklärt Ian Andersen von der für Dolmetschen zuständigen Generaldirektion der EU-Kommission:

    "Malta ist in einer besonderen Situation, weil erst 2002 entschieden wurde, dass maltesisch eine offizielle Sprache werden soll. Wir hatten also nicht so viel Zeit, uns darauf vorzubereiten. Und wir hatten das Pech, dass kein einziger Dolmetscher von dort das Auswahlverfahren bestanden hat. Wir haben jetzt also gerade mal sieben Dolmetscher hier. Damit müssen wir erst einmal arbeiten. "

    Während die EU-Kommission aber dennoch behauptet, dass die Qualität der Übersetzungen nicht leide, sieht der CSU-Abgeordnete im Europa-Parlament Markus Ferber das ganz anders:

    "Die Qualität der Papiere, die uns vorgelegt werden, hat massiv abgenommen. Sie müssen im Prinzip immer ein englisches oder französisches Dokument parallel lesen, damit sie wissen, was wirklich gemeint ist, weil schon die deutsche Übersetzung katastrophal ist. Und ich weiß von den Kollegen aus Osteuropa, dass die Sprachtexte, die denen vorgelegt werden hundsmiserabel sind, weil einfach die Verdolmetschung einfach noch nicht so gut funktioniert. Und das macht das Arbeiten wirklich schwer hier."

    Ohnehin hat die Erweiterung hat auch in den alten Mitgliedsländern neue Diskussionen über die Sprachenvielfalt ausgelöst: In Spanien fordern neuerdings Basken und Katalanen, dass ihre Sprachen auch in Brüssel offiziell werden. Die Iren, die seit Jahrzehnten auf Gälisch verzichten und sich mit Englisch begnügen, machen sich ebenfalls immer lauter bemerkbar.

    Kürzlich probten die italienschen Journalisten einen Aufstand, weil die Kommission bei Pressekonferenzen kurzerhand nur noch eine englische und französische Übersetzung zur Verfügung stellte.

    Der CSU-Abgeordnete im Europa-Parlament Markus Ferber findet sogar, dass Deutsch – neben Englisch und Französisch die dritte Arbeitssprache in den EU-Institutionen – benachteiligt wird. Ferber will demnächst eine entsprechende Anfrage an die EU-Kommission stellen. Der Streit um die verschiedenen Sprachen in Brüssel wird also noch lange weitergehen, denn zurzeit bereiten die zuständigen Dienste schon den nächsten Schritt vor: die Einführung von bulgarisch, rumänisch und türkisch. (Ein Beitrag von Ruth Reichstein)