Archiv


Babylonisches Gewirr im Namensraum

Zwar handelt es sich nicht um einen ausgewachsenen Kulturaufstand gegen eine Bevormundung durch das Abendland, gleichwohl fühlen sich die asiatischen Internet-Anwender als Internet-Bürger zweiter Wahl. Der Grund liegt vor allem in der technologischen Ignoranz der morgenländischen Sprachen und besonders ihrer exotischen Schriftzeichen durch die bestehenden Namenskonventionen im Internet. Der Unmut richtet sich dabei zuforderst gegen die US-dominierte Netzorganisation ICANN (Internet Corporation for Assigned Names and Numbers). Ähnlich wie in Europa, wo sich einzelne Anbieter zusammentun, um auf eigene Rechnung neue Domänenendungen anzubieten, droht jetzt auch im fernen Osten die Aufspaltung des globalen Datennetzes in möglicherweise inkompatible Regionalverbünde.

Pia Grund-Ludwig |
    In der noch jungen Internet-Behörde ICANN stehen die Zeichen auf Streit unter den nur zum Teil demokratisch gewählten Direktoren. Der Zankapfel ist dabei durchaus brisant, handelt es sich dabei doch um so genannte "Multilingual Domains" - Internet-Adressen, in denen nicht nur Zeichen des angelsächsisch geprägten Computer-Standards ASCII vorkommen, sondern auch spezielle Zeichen einzelner Sprachen. Setzte sich diese Revolte durch, könnten auch deutsche Benutzer beispielsweise Umlaute in ihren Internetadressen verwenden. Doch auch Netznamen aus bislang unberücksichtigt gelassenen Schriften, etwa mit kyrillischen, arabischen oder chinesischen Schriftzeichen, könnten dann realisiert werden. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit, meint Tan Tin Wee, Professor und Vorsitzender des Multilingual Internet Names Consortium in Singapur. Mit einem Gedankenspiel macht er deutlich, wie stark die Dominanz des Englischen andere Sprachen im Internet ausgrenzt: "Wäre das Internet beispielsweise in Thailand erfunden worden, wären dann möglicherweise Thai-Schriftzeichen, die auch für mich sehr kompliziert sind, der Standard im Internet. Alle Internet-Domänen müssten dann in Thai geschrieben werden, selbst wenn der Inhalt deutsch wäre."

    Während hierzulande zumindest das Alphabet keine unüberwindbare Hürde auf dem Weg zur globalen Kommunikation darstellt, sind in Asien solche Barrieren tägliche Realität: Wer durch das Internet surfen will, muss dazu erst fremde Schriftzeichen beherrschen. Das habe aber weitgehende Folgen, sagt Tan: "So lernen chinesische Studenten Englisch erst in den weiterführenden Schulen. Das bedeutet umgekehrt, dass Kinder dort warten müssen, bis sie in den weiterführenden Schulen die englischen Zeichensätze lernen, bevor sie ins Internet können, um dort schließlich nicht nur um an Informationen in Englisch, sondern auch in ihrer eigenen Sprache zu kommen." Doch auch für Unternehmen beständen zusätzliche Hürden durch die fremdländischen Zeichen. So würden etwa der elektronische Handel und die Durchsetzung der Wissensgesellschaft in den asiatischen Staaten behindert. Die Folge sei eine Zunahme der weltweiten Kluft zwischen Informationsbesitzern und der digitalen Dritten Welt. Um dies zu verhindern, müsse die Sprachenvielfalt der Welt stärker berücksichtigt werden und die technischen Voraussetzungen dazu geschaffen werden.

    Bislang besitzt das US-Unternehmen Verisign immer noch ein Quasi-Monopol über Domain-Namen und begann bereits vor geraumer Zeit auf eigene Faust mit der Registrierung nicht-englischsprachiger Internetadressen. Rund eine Million Anmeldungen liegen bereits vor. Die Gegenreaktion Asiens folgte prompt: Inzwischen begannen auch eigens eingerichtete Institutionen in Japan und China mit der Registrierung eigener landessprachlicher Domains. Doch die unkoordinierte Aufstellung der dazu notwendigen Root-Server, die die neue Namensfreiheit erst gewährleisten, droht das Internet zu spalten, denn ohne eine übergreifende Verwaltung wären die neuen Domänen aus dem bisherigen Internet nicht zugänglich und auch aus einem solchen regionalen Netz könnte nicht jede andere weltweite Adresse aufgerufen werden. Die Folgen wären dann aber eine noch stärkere Teilung der Welt in Informationsmaßstäben sowie eine noch größere Möglichkeit zur Kontrolle missliebiger Inhalte im "eigenen" Internet.