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Babylonisches Sprachgewirr

23 Amtssprachen gibt es in der Europäischen Union. Die Zahl der in der Brüsseler EU-Verwaltung möglichen Sprachkombinationen hat sich mit der Erweiterung zu Jahresbeginn von 380 auf 506 erhöht. Und die Kosten für Dolmetscher sind beträchtlich. Ruth Reichstein berichtet.

10.04.2007
    Wenn die bulgarische Kommissarin für Verbraucherschutz, Meglena Kuneva, in Brüssel öffentlich auftritt, dann spricht sie Englisch. Schließlich möchte sie verstanden werden. Bulgarisch beherrschen in den europäischen Institutionen nur die wenigsten. Und auch die Übersetzungen ins kyrillische Alphabet für die bulgarischen Kollegen gestalten sich durchaus schwierig, sagt Pietro Petrucci, Sprecher der EU-Kommission. Er vergleicht die Lage mit der Situation in den frühen 80er Jahren:

    "Ich bin zwar kein Experte. Aber eins ist klar: Die Einführung des griechischen Alphabets war damals ziemlich schwierig. Wir brauchten eine neue Technik, andere Arbeitsformen. Wir mussten neue Computerprogramme anschaffen. Das kostet Geld."

    Wie viel Geld genau die neue Sprache Bulgarisch mit den komplizierten Buchstaben kostet, ist unklar. Bekannt ist nur, dass jeder EU-Bürger jährlich im Schnitt zwei bis drei Euro für alle Übersetzungen bezahlt. Insgesamt geben die Institutionen nämlich ein Prozent des EU-Budgets, also 1,2 Milliarden Euro, dafür aus.

    Bulgarisch, Rumänisch und Gälisch, die drei neuen EU-Amtssprachen also, die Anfang des Jahres neu eingeführt worden sind, haben die Diskussion über die Übersetzungskosten in Brüssel wieder angeheizt. Die CDU-Europaabgeordnete Inge Gräßle:

    "Wieso müssen wir den Weg zu einem Gesetz in allen Amtssprachen dokumentieren? Man muss sich vor Augen halten: Eine Seite übersetzt in 21 Amtssprachen kostet 2700 Euro, eine Seite. Das heißt: Wenn Sie ein Gesetz haben mit Änderungsanträgen von 100 Seiten, dann sind sie mit einem kleinen Einfamilienhaus dabei. Wir müssen die Zahl der Dokumente reduzieren, das wäre wirklich das Gebot der Stunde."

    Gräßle fordert, nur noch die Endfassungen der Gesetze in alle Amtssprachen zu übersetzen und die Zwischenstufen lediglich auf Englisch, Französisch und Deutsch, also in den drei EU-Arbeitssprachen, zu dokumentieren. Jedes Land, das auf weitere Übersetzungen verzichtet, sollte, so Gräßle, das eingesparte Geld für andere Zwecke ausgeben dürfen.

    So ungefähr klingt es, wenn Theodora Lozanova vom Englischen ins Bulgarische übersetzt. Dafür braucht sie eine ganz spezielle Tastatur, mit der sie auch kyrillische Buchstaben schreiben kann. Ihre zeitlichen Vorgaben halte sie ein, sagt Lozanova. Meistens übersetzt sie fünf bis sechs DIN-A-4-Seiten am Tag. Das ist der Durchschnitt im Übersetzungsdienst der Kommission. Zu wenig, findet die Abgeordnete Inge Gräßle:

    "In der Kommission ist die Produktivität der Übersetzer dramatisch gesunken, weil sie eigentlich zu viele Leute hat für manche Sprachen. Statt dass weniger Leute beschäftigt werden, wird die Arbeit auf die Köpfe verteilt. Früher hatten wir viel mehr Übersetzungsseiten pro Tag als heute. Das heißt also, die Arbeit wird sorgfältig hin- und hergewendet."

    Das gelte nicht für alle Übersetzer, aber eben für viele. Theodora Lozanova kämpft zurzeit eher noch mit dem komplizierten EU-Jargon. Sie übersetzt vor allem Texte aus dem Bereich Sicherheit, Innenpolitik und Justiz ins Bulgarische. Um den Job zu bekommen, musste sie ein kompliziertes Auswahlverfahren durchlaufen. Aber auch das schützt die Europäische Union nicht vor Fehlern, erzählt Sprecher Pierto Petrucci:

    "Wir haben gerade erst entdeckt, dass wir seit der großen Erweiterung 2004 noch ziemlich Probleme haben mit einigen Sprachen. Die Übersetzer arbeiten zwar gut, aber viele von ihnen haben so viele Jahre außerhalb ihres Mutterlandes gelebt, dass sich ihre Sprache verändert hat. Und Leute aus diesen Ländern sagen uns jetzt, dass es da kleine Verständnisprobleme gibt."

    Es bleibt also viel zu tun, und die Zeit läuft. Der Beitrittskandidat Mazedonien zum Beispiel hat allein sechs Amtssprachen, die bei einem Beitritt alle automatisch auch in der EU zu Amtssprachen werden würden. Und kürzlich forderte sogar die Regierung in Ankara, Türkisch schon einmal zur Amtssprache zu machen. Gute Chancen habe diese Forderung aber nicht, meint Inge Gräßle:

    "Türkisch als Amtssprache wäre das absolut falsche Signal. Solange wir noch nicht wissen, wie es weiter geht, den Beitritt schon mal mit einer Amtssprache vorzubereiten, dafür habe ich null Verständnis. Und dafür hebe ich auch nicht meine Hand."