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Bach-Idylle in der Altmark

Ein Bach – das ist heute oft bloß noch ein begradigter Abwasserkanal mit Ufern aus Stein oder Beton. In naturnahem Zustand sind Bäche und Flüsse in Mitteleuropa selten geworden. Doch es gibt sie, beispielsweise den Harper Mühlenbach. Der schlängelt sich auf halber Strecke zwischen Hamburg und Magdeburg unberührt durch die norddeutsche Altmark.

Von Lutz Reidt | 29.09.2009
    Ein "vergessener" Grenzbach schlängelt sich durch sumpfige Niederungen. Gesäumt von alten Erlen und Eschen plätschert der Harper Mühlenbach über Steine hinweg und unter vermodernden Baumstämmen hindurch. Dick mit Moos bepackt bilden sie natürliche Brücken zwischen den Ufern - links das Wendland in Niedersachsen, rechts die Altmark in Sachsen-Anhalt.

    40 Jahre lang trennte der kleine Bach Ost von West. Weiträumig abgesperrt, konnte sich eine sumpfige Wildnis entwickeln, die der Biologe Dieter Leupold vom BUND-Landesverband Sachsen-Anhalt immer wieder aufsucht:

    "Der Kernbereich des Harper Mühlenbaches ist ungefähr 16 Kilometer lang, schlängelt sich entlang der ehemaligen innerdeutschen Grenze; und durch die Jahrzehnte lange Abgeschiedenheit sind sehr schöne Bach begleitende Erlen-Eschenwälder entlang des Fließgewässers entstanden. Dieser Biotoptyp hat ja auch europaweit eine besondere Bedeutung; er ist ja im Rahmen der FFH - das heißt Flora-Fauna-Habitatrichtlinie besonders schützenswert und hier eben in einer sehr schönen Ausprägung noch vorhanden."

    Als die Grenztruppen der DDR seinerzeit Kolonnenweg und Grenzbefestigungsanlagen anlegten, machten sie um den Harper Mühlenbach einen weiten Bogen. Die sumpfig-moorige Wildnis blieb weiträumig abgesperrt.

    Mittlerweile stehen sogar die ehemaligen Sperrgräben längst unter Wasser. Fischotter planschen darin umher, während ringsum Weißstörche durch feuchte Wiesen schreiten und nach Fressbarem suchen. Ihre schwarzgefiederten Verwandten dagegen sind scheu und verbergen sich in schummerigen Uferwäldern entlang des Harper Mühlenbaches:

    "Der Schwarzstorch schreitet regelmäßig zur Nahrungssuche; der ist ja im Gegensatz zum Weißstorch sehr gerne an Fließgewässern, wo er insbesondere auch Forellen jagt. Der Kranich brütet in angrenzenden Flächen, gerade in diesen versumpften Feuchtwiesen; und als Besonderheit im Gebiet: Die Brut einer Wiesenweihe! Das ist eine Art, die bundesweit auch sehr stark gefährdet ist und hier war das Besondere, dass sie wirklich hier Nasswiesen aufgesucht hat und nicht im Getreide gebrütet hat, was sie sonst ja als Ausweichbrutplatz annimmt und wo es ja aufgrund des Mähtermins dann immer regelmäßig Probleme gibt."

    Und zwar dann, wenn Mähdrescher die Gelege mit den Jungvögeln zerstückeln. Die grau-weiß gefiederte Wiesenweihe zählt zu den kleineren Greifvögeln. Auffallend ist ihr markanter, möwenähnlicher Gaukelflug über den Uferwäldern. Auch deren Erhalt begünstigte der Kalte Krieg - ebenso wie den der angrenzenden Niedermoorgebiete.
    Nach der Grenzöffnung hatten viele Alteigentümer wenig Interesse an diesen versumpften Flächen. Anstatt das Feuchtland trockenzulegen und Mais oder Weizen anzubauen, verkauften sie es lieber. Und zwar an den BUND. Für Kai Frobel vom Projektbüro "Grünes Band" ist das der beste Weg, Natur zu schützen:

    "Wir schätzen derzeit in der Größenordnung von um die 30 Prozent der Fläche des Grünen Bandes, die im Privateigentum sind. Und da besteht eben das Angebot des BUND: Wir kaufen gezielt Flächen im Grünen Band an mit unserem Grüne-Band-Anteilschein, 65 Euro; wir haben derzeit etwa vier Prozent des Grünen Bandes, die vom BUND angekauft worden sind; und da ist einfach das Angebot: Wenn ein Privatbesitzer ohnehin nicht weiß, was er mit der Fläche dann letztendlich machen soll - bitte an den BUND wenden, das sind - wenn wir es dann kaufen können - ganz zentrale Bausteine, um dieses System zu erhalten."

    Der Altmarkkreis zählt zu den Schwerpunktgebieten dieser Ankaufstrategie entlang der allein in Deutschland fast 1.400 Kilometer langen Biotopkette. Bundesweit hat der BUND bislang etwa 480 Hektar vom Grünen Band gekauft, davon allein rund 285 Hektar entlang des Harper Mühlenbaches und der umliegenden Niedermoorgebiete in der Altmark.
    Mittlerweile haben auf diese Weise viele hundert Naturfreunde ein kleines Stück vom "Grünen Band" erworben. Zu den "Aktionären" zählen Prominente wie Michail Gorbatchov, und weniger Prominente - wie Jürgen Starck aus dem kleinen Grenzdorf Binde, der sich seinen Anteilschein an der eigenen Heimat immer wieder gern anschaut:

    "Ja, da ist auch ein wunderbarer Eisvogel drauf, ja! Aber das Tolle ist ja, dass wir diese sog. Aktionäre einmal im Jahr einladen zu bestimmten Gebieten am Grünen Band. Und wir hatten schon mehrere Treffen, Aktionärsversammlungen hier am Grünen Band, und dann kann sich jeder dann überzeugen, was wir mit den Spendengeldern machen."