Bei manchen jüngeren Solisten indes hat man manchmal den Eindruck, dass sie vieles aus der Rezeptionsgeschichte der letzten 30 Jahre als belastenden Ballast beiseite schieben und munter drauflos interpretieren, so wie es ihnen persönlich richtig erscheint. Das muss ja nicht unbedingt schlecht sein; auf jeden Fall führt es zumindest zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen. Zwei gut vergleichbare Beispiele hierfür möchte ich Ihnen heute vorstellen: Klavierkonzerte von Johann Sebastian Bach, einmal mit David Fray und der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen und einmal mit Vesko Stambolov und einzelnen bulgarischen Solisten.
Schon bei der Bezeichnung "Klavierkonzerte" beginnt, Sie ahnen es, die Problematik. Denn natürlich erklang diese Musik zu Bachs Zeit auf dem Cembalo - mit dem Komponisten selbst als Solist. Das könnte sich so angehört haben:
" 1) Johann Sebastian Bach
aus: Konzert für Cembalo, Streicher und Basso continuo A-dur, BWV 1055
1. Satz: Allegro (Anfang)
Gerald Hambitzer, Cembalo
Kölner Kammerorchester
Leitung: Helmut Müller-Brühl
LC 05537 Naxos "
Derselbe Satz aus Bachs A-dur-Konzert beginnt bei David Fray so:
" 2) Johann Sebastian Bach
aus: Konzert für Cembalo, Streicher und Basso continuo A-dur, BWV 1055
1. Satz: Allegro (Anfang)
David Fray, Klavier und Leitung
Deutsche Kammerphilharmonie Bremen
LC 07873
50999 213064 2 6 "
Und bei Vesko Stambolov wird alles zu Kammermusik, zum Klavierquintett.
" 3) Johann Sebastian Bach
aus: Konzert für Cembalo, Streicher und Basso continuo A-dur, BWV 1055
1. Satz: Allegro (Anfang)
Vesko Stambolov und Ensemble
LC 10424
meta 042 "
Mit Bachs barocker Klangwelt haben beide Neuaufnahmen vermutlich nur wenig zu tun. David Fray bietet uns in vielerlei Hinsicht ein Virtuosenkonzert des 19. Jahrhunderts, Vesko Stambolov Kammermusik auf hohem Niveau, wie sie z.B. im Hause der Familie Schubert an Sonn- und Feiertagen stattfand. Bei Stambolov haben die Mitspieler dabei durchaus Raum für eigene Gestaltung, entstehen vielerlei Dialoge. Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen dagegen, sonst ein ausgewiesen hoch engagiertes Ensemble, wird bei Fray zum reinen Begleitorchester degradiert, hatte anscheinend musikalisch nicht viel mit zu bestimmen und wurde klanglich von der Aufnahmetechnik ebenso wie optisch bei der Gestaltung der CD ziemlich stiefmütterlich behandelt. Hier steht ganz der Solist im Vordergrund, ihn hört man auch im Tutti immer heraus, er setzt die Akzente, Schwerpunkte und hat seine Show. Mit blendender Technik, hoher musikalischer Individualität und vielerlei Klangfarben setzt er sich vortrefflich in Szene, macht sich nicht die Erde, aber doch Bachs Musik untertan, nutzt Linien und Girlanden der pulsierenden Musik zur Darstellung seines ganz persönlichen Gestaltungswillens. Besonders deutlich wird das im 2. Satz dieses Konzertes, wo Fray beim Tempo und dem dynamischen Umfang in die Extreme geht. Für dieses ansonsten 5 Minuten dauernde Larghetto lässt sich Fray ganze 6 1/2 Minuten Zeit, nimmt die Lautstärke bisweilen quasi bis ins Nichts zurück und leistet sich allerhand andere Eigenheiten. Und einmal, man fragt sich warum, beginnt das Klavier auch noch, sich im Hörfeld von der einen auf die andere Seite und zurück zu bewegen - Absicht? Akustische Täuschung? Oder Ausdruck der Langeweile eines Tonmeisters, der angesichts des allzu zerdehnten Satzes beim Spiel mit seinen Reglern Abwechslung sucht?
" 4) Johann Sebastian Bach
aus: Konzert für Cembalo, Streicher und Basso continuo A-dur, BWV 1055
2. Satz: Larghetto (Anfang)
David Fray, Klavier und Leitung
Deutsche Kammerphilharmonie Bremen
LC 07873
50999 213064 2 6 "
Im Vergleich zu Vesko Stambolov ist David Fray sicher der inspiriertere Musiker. Was den Klavierpart angeht, lässt er kaum eine Passage unreflektiert vorüberziehen, gestaltet bewusst deutlich, oft hart an der Grenze zur Übertreibung und immer mit dem Hang zum Perfektionismus. Umso stärker fällt auf, dass das Orchester wenig Gelegenheit erhält, etwas aus seinem Part zu machen, nicht wirklich einbezogen wird in die Arbeit am Detail, bei langsamen und zugleich leisen Passagen bisweilen zögerlich und unentschlossen agiert. Vielleicht hätte der Einsatz eines Dirigenten die Klangbalance zwischen Solist und Gruppe und die Orchesterpräzision insgesamt verbessert.
Bei Vesko Stambolov und seinen Solisten macht dagegen gerade das Miteinander den Reiz der Aufnahme aus, so z.B. im 1. Satz des Konzertes BWV 1057, das eine von Bach selbst verfasste Transkription seines 4. Brandenburgischen Konzertes ist. Hier übernimmt das Solo-Klavier die ursprüngliche Violinstimme und korrespondiert mit zwei Flöten, die bei dieser Aufnahme konsequenterweise passend zum Flügel mit Querflöten besetzt sind. Die Musiker aus Bulgarien brillieren mit großer Virtuosität, unbändiger Spielfreude und fast jazzartigen Akzentuierungen, was dazu führt, dass manches vielleicht eher an eine neoklassizistische Suite von Strawinsky als an ein Cembalokonzert von Bach erinnert.
" 5) Johann Sebastian Bach
aus: Konzert Nr. 6 F-dur, BWV 1057
1. Satz: Allegro (ab 2'19 bis 5'15 Ende der Blende)
Vesko Stambolov und Ensemble
LC 10424
meta 042 "
Bachs Klavierkonzerte in zwei ganz unterschiedlichen Neuaufnahmen, beide in einiger Entfernung zur lange bestimmenden historischen Aufführungspraxis, beide hörenswert. Bachs Kompositionen erweisen sich einmal mehr als ausgesprochen robust. Sie haben swingende Bearbeitungen ebenso unbeschadet überstanden wie Realisierungen mit Hilfe früher Synthesizer, man kann Instrumentales singen und Gesangslinien mit Instrumenten spielen. Vielleicht liegt es daran, dass anders als in späteren Epochen der Werkbegriff noch keine große Rolle spielte und Bach selbst aus Interesse oder Zeitnot immer wieder früheres eigenes Material nutzte und umarbeitete: Tanzlieder zu Chorälen, Liebesarien zu Passionsliedern und umgekehrt. Seine Musik ist jedenfalls noch nicht bis in jedes Detail festgelegt und bietet in dieser Offenheit bis heute breiten Interpretationsspielraum. Und die Zeiten, wo nur das "historisch richtige" galt, sind inzwischen vorbei: Junge Musiker trauen sich verstärkt wieder an Bach heran und gewinnen ihm im besten Fall neue Seiten ab.
" 6) Johann Sebastian Bach
aus: Konzert f-moll, BWV 1056
3. Satz: Presto
David Fray, Klavier und Leitung
Deutsche Kammerphilharmonie Bremen
LC 07873
50999 213064 2 6 "
Die Neue Platte - heute mit Neuaufnahmen Bach'scher Konzerte für Tasteninstrumente. Bei der Firma Virgin Classics ist die Aufnahme mit dem Franzosen David Fray und der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen erschienen, aus der Sie zuletzt das Presto des f-moll-Konzertes hörten. Meta records brachte die Kammermusik-Variante dieser Konzerte mit dem bulgarischen Pianisten Vesko Stambolov heraus. Im Studio verabschiedet sich Ludwig Rink.
Schon bei der Bezeichnung "Klavierkonzerte" beginnt, Sie ahnen es, die Problematik. Denn natürlich erklang diese Musik zu Bachs Zeit auf dem Cembalo - mit dem Komponisten selbst als Solist. Das könnte sich so angehört haben:
" 1) Johann Sebastian Bach
aus: Konzert für Cembalo, Streicher und Basso continuo A-dur, BWV 1055
1. Satz: Allegro (Anfang)
Gerald Hambitzer, Cembalo
Kölner Kammerorchester
Leitung: Helmut Müller-Brühl
LC 05537 Naxos "
Derselbe Satz aus Bachs A-dur-Konzert beginnt bei David Fray so:
" 2) Johann Sebastian Bach
aus: Konzert für Cembalo, Streicher und Basso continuo A-dur, BWV 1055
1. Satz: Allegro (Anfang)
David Fray, Klavier und Leitung
Deutsche Kammerphilharmonie Bremen
LC 07873
50999 213064 2 6 "
Und bei Vesko Stambolov wird alles zu Kammermusik, zum Klavierquintett.
" 3) Johann Sebastian Bach
aus: Konzert für Cembalo, Streicher und Basso continuo A-dur, BWV 1055
1. Satz: Allegro (Anfang)
Vesko Stambolov und Ensemble
LC 10424
meta 042 "
Mit Bachs barocker Klangwelt haben beide Neuaufnahmen vermutlich nur wenig zu tun. David Fray bietet uns in vielerlei Hinsicht ein Virtuosenkonzert des 19. Jahrhunderts, Vesko Stambolov Kammermusik auf hohem Niveau, wie sie z.B. im Hause der Familie Schubert an Sonn- und Feiertagen stattfand. Bei Stambolov haben die Mitspieler dabei durchaus Raum für eigene Gestaltung, entstehen vielerlei Dialoge. Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen dagegen, sonst ein ausgewiesen hoch engagiertes Ensemble, wird bei Fray zum reinen Begleitorchester degradiert, hatte anscheinend musikalisch nicht viel mit zu bestimmen und wurde klanglich von der Aufnahmetechnik ebenso wie optisch bei der Gestaltung der CD ziemlich stiefmütterlich behandelt. Hier steht ganz der Solist im Vordergrund, ihn hört man auch im Tutti immer heraus, er setzt die Akzente, Schwerpunkte und hat seine Show. Mit blendender Technik, hoher musikalischer Individualität und vielerlei Klangfarben setzt er sich vortrefflich in Szene, macht sich nicht die Erde, aber doch Bachs Musik untertan, nutzt Linien und Girlanden der pulsierenden Musik zur Darstellung seines ganz persönlichen Gestaltungswillens. Besonders deutlich wird das im 2. Satz dieses Konzertes, wo Fray beim Tempo und dem dynamischen Umfang in die Extreme geht. Für dieses ansonsten 5 Minuten dauernde Larghetto lässt sich Fray ganze 6 1/2 Minuten Zeit, nimmt die Lautstärke bisweilen quasi bis ins Nichts zurück und leistet sich allerhand andere Eigenheiten. Und einmal, man fragt sich warum, beginnt das Klavier auch noch, sich im Hörfeld von der einen auf die andere Seite und zurück zu bewegen - Absicht? Akustische Täuschung? Oder Ausdruck der Langeweile eines Tonmeisters, der angesichts des allzu zerdehnten Satzes beim Spiel mit seinen Reglern Abwechslung sucht?
" 4) Johann Sebastian Bach
aus: Konzert für Cembalo, Streicher und Basso continuo A-dur, BWV 1055
2. Satz: Larghetto (Anfang)
David Fray, Klavier und Leitung
Deutsche Kammerphilharmonie Bremen
LC 07873
50999 213064 2 6 "
Im Vergleich zu Vesko Stambolov ist David Fray sicher der inspiriertere Musiker. Was den Klavierpart angeht, lässt er kaum eine Passage unreflektiert vorüberziehen, gestaltet bewusst deutlich, oft hart an der Grenze zur Übertreibung und immer mit dem Hang zum Perfektionismus. Umso stärker fällt auf, dass das Orchester wenig Gelegenheit erhält, etwas aus seinem Part zu machen, nicht wirklich einbezogen wird in die Arbeit am Detail, bei langsamen und zugleich leisen Passagen bisweilen zögerlich und unentschlossen agiert. Vielleicht hätte der Einsatz eines Dirigenten die Klangbalance zwischen Solist und Gruppe und die Orchesterpräzision insgesamt verbessert.
Bei Vesko Stambolov und seinen Solisten macht dagegen gerade das Miteinander den Reiz der Aufnahme aus, so z.B. im 1. Satz des Konzertes BWV 1057, das eine von Bach selbst verfasste Transkription seines 4. Brandenburgischen Konzertes ist. Hier übernimmt das Solo-Klavier die ursprüngliche Violinstimme und korrespondiert mit zwei Flöten, die bei dieser Aufnahme konsequenterweise passend zum Flügel mit Querflöten besetzt sind. Die Musiker aus Bulgarien brillieren mit großer Virtuosität, unbändiger Spielfreude und fast jazzartigen Akzentuierungen, was dazu führt, dass manches vielleicht eher an eine neoklassizistische Suite von Strawinsky als an ein Cembalokonzert von Bach erinnert.
" 5) Johann Sebastian Bach
aus: Konzert Nr. 6 F-dur, BWV 1057
1. Satz: Allegro (ab 2'19 bis 5'15 Ende der Blende)
Vesko Stambolov und Ensemble
LC 10424
meta 042 "
Bachs Klavierkonzerte in zwei ganz unterschiedlichen Neuaufnahmen, beide in einiger Entfernung zur lange bestimmenden historischen Aufführungspraxis, beide hörenswert. Bachs Kompositionen erweisen sich einmal mehr als ausgesprochen robust. Sie haben swingende Bearbeitungen ebenso unbeschadet überstanden wie Realisierungen mit Hilfe früher Synthesizer, man kann Instrumentales singen und Gesangslinien mit Instrumenten spielen. Vielleicht liegt es daran, dass anders als in späteren Epochen der Werkbegriff noch keine große Rolle spielte und Bach selbst aus Interesse oder Zeitnot immer wieder früheres eigenes Material nutzte und umarbeitete: Tanzlieder zu Chorälen, Liebesarien zu Passionsliedern und umgekehrt. Seine Musik ist jedenfalls noch nicht bis in jedes Detail festgelegt und bietet in dieser Offenheit bis heute breiten Interpretationsspielraum. Und die Zeiten, wo nur das "historisch richtige" galt, sind inzwischen vorbei: Junge Musiker trauen sich verstärkt wieder an Bach heran und gewinnen ihm im besten Fall neue Seiten ab.
" 6) Johann Sebastian Bach
aus: Konzert f-moll, BWV 1056
3. Satz: Presto
David Fray, Klavier und Leitung
Deutsche Kammerphilharmonie Bremen
LC 07873
50999 213064 2 6 "
Die Neue Platte - heute mit Neuaufnahmen Bach'scher Konzerte für Tasteninstrumente. Bei der Firma Virgin Classics ist die Aufnahme mit dem Franzosen David Fray und der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen erschienen, aus der Sie zuletzt das Presto des f-moll-Konzertes hörten. Meta records brachte die Kammermusik-Variante dieser Konzerte mit dem bulgarischen Pianisten Vesko Stambolov heraus. Im Studio verabschiedet sich Ludwig Rink.