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"Bach ist Anfang und Ende"

"Bach ist Anfang und Ende"- heißt es. Er ist das A und O für die meisten Komponisten. Auch für Dmitri Schostakowitsch, der - wie Bach - 24 Präludien und Fugen geschrieben hat und sich damit ganz eindeutig auf den berühmten Thomaskantor bezieht. Genau dieses Spannungsfeld interessiert den Pianisten Bernd Glemser. Auf seiner neuen CD mischt er Präludien und Fugen von Bach und von Schostakowitsch miteinander.

Von Falk Häfner |
    Track 1: Präludium G-Dur BWV 860, K: J.S.Bach

    Ungezügelt, ungestüm, unaufhaltsam: Bernd Glemser stürmt durch das G-Dur Präludium von Johann Sebastian Bach aus dessen Wohltemperiertem Klavier Band 1. Chromatisch aufsteigend hat Bach pro Tonart je ein Präludium mit einer Fuge gekoppelt: In C-Dur, in c-Moll, in Cis-Dur, in cis-Moll und so weiter. Den Zweck der Übung beschreibt Bach in schwungvoll getuschten Lettern auf dem autographen Titelblatt der Sammlung so:

    Zum Nutzen und Gebrauch der Lehrbegierigen Musicalischen Jugend, als auch derer in diesem studio schon habil seyenden besonderem Zeitvertreib auffgesetzet.

    Wer sich schon mal pianistisch am "Wohltemperierten Klavier" und seinen Präludien und Fugen versucht hat, wird wissen, dass man tatsächlich Zeit mitbringen muss. Denn die braucht es, um all die einzelnen Stimmen zu enttarnen, deren Verlauf gedanklich zu durchdringen und dann auch noch in die Finger zu bekommen. Und zwar so, dass die Struktur auch möglichst hörbar wird! Ja, und dann kommt das Schwierigste erst noch hinzu: nämlich aus den Strukturen: also all den Themen und deren Spiegelungen, all den kontrapunktischen Verläufen tatsächlich Musik werden zu lassen: Musik, die jenseits aller Struktur das Herz erwärmt.
    Den Pianisten Bernd Glemser interessieren die zyklische Struktur dieses Werkes beziehungsweise seine tonartlichen und motivischen Beziehungen herzlich wenig. Er hat fünf Präludien und Fugenpaare von Bach gemischt mit vier Präludien und Fugenpaaren von Schostakowitsch. Zusammengestellt sind sie allein nach Stimmungen. Glemser hat dabei eine erstaunliche Dramaturgie entwickelt: Bei dem ersten Paar in G-Dur steht Bachs vitaler, strahlender und selbstbewusst daherkommender Fuge plötzlich das e-Moll-Präludium von Schostakowitsch gegenüber: Ein resignatives, trauerndes Largo – das wirkt wie die Kehrseite der Medaille. Und das klingt im Zusammenhang dann so: (1:50)


    Track 2: Fuge G-Dur BWV 860, K: J.S.Bach
    Track 3: Präludium e-Moll op. 87 Nr. 4, K: Schostakowitsch


    Extrem langsam nimmt Bernd Glemser dieses e-Moll-Präludium von Schostakowitsch. Vier Minuten braucht er dafür. So betont er das Abgründige, das diese Komposition transportiert, zumal er sich beinah metronomisch exakt im vorgegebenen Rhythmus bewegt, sparsam mit dem Pedal umgeht und sich kaum agogische Freiheiten nimmt. Fahl wirkt das, unausweichlich und beklemmend.

    Zum Vergleich: Der Komponist Dmitri Schostakowitsch selbst hat dieses Präludium 1958 aufgenommen – jedoch viel schneller. Statt vier Minuten wie Glemser braucht er nur 2:38 min und somit wirkt seine Interpretation viel harmloser :

    CD Schostakowitsch Archiv-Nr. 6022396
    Track 12: Präludium e-Moll op. 87 Nr. 4, K: Schostakowitsch


    Könnte es sein, dass Schostakowitsch absichtlich das Resignative, das Unerbittliche in diesem Stück übergeht? Gerade so, als wolle er vertuschen, welche Trauer tatsächlich darin steckt? – Wenn man Glemsers und Schostakowitschs Einspielungen im direkten Vergleich hört, drängt sich einem eine solche Vermutung auf. Zumal, wenn man weiß, dass Schostakowitsch in den 50er-Jahren harsche Kritik für seine Präludien und Fugen einstecken musste. Man bezichtigte ihn des Formalismus und der Dekadenz. Einige seiner Kompositionen seien schlichtweg "gewöhnliche Kakophonie", hieß es. Und das alles nur, weil Schostakowitsch das barocke Formenmodell in seiner Weise neu interpretierte, statt spätstalinistische Jubelkantaten zu komponieren.

    Aus heutiger Sicht erscheint diese Diskussion so absurd wie lächerlich. In den Fünfzigern jedoch muss sie - noch dazu für einen so sensiblen, sich stets nur verklausuliert äußernden Künstler - entsetzlich gewesen sein. Zumal diese Musik von Schostakowitsch so tief empfunden, mit reinem Herzen geschrieben und aus ehrlicher Bewunderung heraus entstanden ist. Er hatte sie nach einem Leipzigbesuch und in tiefer Verehrung für Johann Sebastian Bach geschrieben.

    Die verschiedenen Präludien und Fugen von Schostakowitsch wirken nicht wie aus einem Guss. Mal kommen sie archaisch spröde daher, mal führen sie mit ihrer Polyphonie auf harmonisch-seltsames Terrain, mal sind sie aber auch spielerisch-augenzwinkernde Reminiszenzen an Meister Bach, wie zum Beispiel Schostakowitschs A-Dur-Fuge op. 87 Nr. 17, der Bernd Glemser auf seiner CD Bachs elegant fließendes Präludium mit entsprechender Fuge in Fis-Dur folgen lässt.

    Track 8: Fuge As-Dur op. 87 Nr. 17, K: D. Schostakowitsch
    Track 9: Präludium Fis-Dur BWV 585, K: J.S.Bach


    Klang scheint für Bernd Glemser alles zu sein. Gemeinsam mit Tonmeister und Toningenieur hat er bei seiner Aufnahme einen klanglichen Raum geschaffen, der sein Spiel sanft und dezent wirken lässt, ohne dass es aber an Kontur verliert. Unaufdringlich gestaltet Glemser alles, was er an Artikulation zeigen möchte. Keine messerscharfen Staccati, dafür viel Portato. Es sind nicht die Extreme, sondern die Zwischentöne, die Glemser herausstellt. Und damit doch gerade große Wirkung erzielt. Insofern dürfte Glemser dem Geist Schostakowitschs nahe kommen, auch wenn er sich gelegentlich von dessen eigener Interpretation entfernt.

    Lediglich in Schostakowitschs Präludium und der Fuge Des-Dur gibt Bernd Glemser diese diskrete Haltung auf und verleiht der Komposition das Poltern, das sie verlangt. Nicht, ohne Schostakowitschs Furor mit Bachs b-Moll-Präludium und Fuge aus dem 2. Band des Wohltemperierten Klaviers am Schluss wieder abzufangen und zu neutralisieren. Bach ist das weise, das ausgeglichene Finale dieser CD. Bach ist eben Anfang und Ende!

    Beim Label Oehms classics ist diese Koproduktion mit dem Bayerischen Rundfunk jetzt erschienen. "Prelude & Fugue" heißt das Album des Pianisten Bernd Glemser.