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Bach - so oder anders

In ihrer Aufnahme der Triosonaten von Johann Sebastian Bach machen der Geiger Frank Peter Zimmermann und der Pianisten Enrico Pace sich frei von den Gepflogenheiten der barocken Musik: statt Cembalo spielt Pace Steinway, statt mit Trillern und Vibrato zu verzieren, interpretiert Zimmermann mit klarem, leichtem Ton. Man kann Bach ganz anders spielen - so aber auch.

Moderation: Raoul Mörchen | 31.05.2009
    Guten Morgen, am Mikrofon begrüßt Sie Raoul Mörchen. Musik von Johann Sebastian Bach wird uns in den nächsten zwanzig Minuten beschäftigen; Musik, die wenige kennen und wenige spielen: Werke für Violine, aber nicht die berühmten Solosonaten und Suiten, sondern sechs Triosonaten mit obligatem Tasteninstrument - als Konzertmitschnitt auf DVD vom Label Medici Arts mit dem Geiger Frank Peter Zimmermann und dem Pianisten Enrico Pace.

    'Allegro' aus der Sonate für Violine und Klavier Nr. 5 f-moll, BWV 1018

    Es ist schon verrückt: Da schreibt Johann Sebastian Bach sechs wunderbare Triosonaten für Violine und Cembalo - und niemand will sie spielen. Fast niemand. Denn natürlich ist der Fraktion der historisch informierten Musiker, also der Parteigänger einer möglichst authentischen Aufführungspraxis, natürlich ist ihnen dieser Werkkomplex nicht verborgen geblieben: Spezialisten wie Giuliano Carmignola und Andrea Marcon oder Rachel Podger und Trevor Pinnock haben die Sonaten sehr wohl auf dem Plan und in den letzten Jahren auch weithin beachtete Aufnahmen vorgelegt.

    Die klassischen All-Round-Interpreten alter Schule haben sich von diesen Barock-Experten gehörig den Schneid abkaufen lassen: Um das Gros der Musik vor Mozart machen sie mittlerweile eine weiten Bogen. Frank Peter Zimmermann allerdings scheint von den ideologischen Debatten ziemlich unbeeindruckt. Bach zu spielen, so sagt er, sei für ihn das Größte - wer braucht noch mehr Grund, um auch sechs Triosonaten BWV 1014-1019 einzustudieren?

    'Dolce' aus der Sonate für Violine und Klavier Nr. 2 A-dur, BWV 1015

    Nach einer vor anderthalb Jahren bei Sony veröffentlichten Studioproduktion auf CD legt Frank Peter Zimmermann mit seinem langjährigen Begleiter Enrico Pace noch einmal nach: In der historischen Kulisse der Klosterbibliothek im bayerischen Polling haben sie vor einem kleinen Publikum den gesamten Zyklus nun auch filmisch dokumentieren lassen. Die spätbarocke Architektur ist für dieses Projekt ein schöner und auch akustisch tauglicher Rahmen - nicht mehr und nicht weniger: Die Kamera beobachtet zwei denkbar uneitle Musikern ganz uneitel bei der Arbeit. Das Filmteam verzichtet auf Effekte, Zimmermann und Pace tun es auch. Ihr Bach ist klar und durchsichtig, schnörkellos und überraschend puristisch.

    Überraschend, weil die nicht ganz zeitgemäße, heute jedenfalls eher ungewöhnlich Entscheidung, diese Triosonaten mit modernem Instrumentarium, mit einer modern besaiteten Geige statt mit einem Barockinstrument zu spielen und mit einem Steinwayflügel anstelle eines Cembalos, weil diese Entscheidung zunächst anderes vermuten lassen würde: einen bewusst virtuosen, kontraststarken Auftritt nämlich. Doch nichts dergleichen.

    Leider verpasst das Filmteam die Chance, in der den Konzertmitschnitt begleitenden Dokumentation an diesem Punkt nachzuhaken: Man lässt Zimmermann freundlich parlieren über dies und das, doch hierüber nicht. Auch nicht darüber, warum Zimmermann, anders als etwa Kollegen wie Christian Tetzlaff oder Viktoria Mullova, seine Artikulation kaum an die historische Aufführungspraxis anpasst: Er gönnt sich und seinem Publikum keine Verzierungen, auch nicht in den Wiederholungen, versetzt jeden Ton mit einem feinen Vibrato, nutzt in den langsamen Sätzen die volle Länge seines - modernen - Bogens und verleiht seinem Vortrag überhaupt eine Ebenmäßigkeit und feine Noblesse, die dem Barock eher wesensfremd sind.

    Zimmermann antwortet auf diese sich eigentlich aufdrängenden Fragen allein musikalisch: Diese Argumentation leuchtet ein - nicht immer, aber doch größtenteils: Man kann Bach auch heute noch so spielen. Wenn man ihn so spielt, so differenziert und filigran in der Phrasierung, so transparent in der Stimmführung, so schlüssig in der Form.

    'Allegro' aus der Sonate für Violine und Klavier Nr. 4 c-moll, BWV 1017

    Transparenz der Stimmführung ist bei diesen sechs Triosonaten von Johann Sebastian Bach das A und O: Anders schließlich, als es der Name suggeriert, sind sie Trios nicht von der Besetzung, sondern allein von der Zahl der Stimmen her: Bach hat sich bei der Komposition in den 1720er-Jahren sehr bewusst - und in Abgrenzung von der gängigen Praxis - für nur zwei Instrumente entschieden, eben für das Cembalo und die Violine: Die sonst üblich Partie des Basso Continuo, die nach Belieben von einem oder mehreren Spielern ausgeführt werden konnte, ist als Bassstimme fest der linken Hand des Cembalisten zugeteilt, die rechte Hand spielt die zweite, die Geige schließlich die dritte Stimme. Das gibt Bach viel Freiheit bei der Ausarbeitung von Fugen, aber auch von leichteren Tanzsätzen wie dem Siciliana-ähnlichen Largo der vierten Sonate, wo die federnde Bewegung der Violine kontrastiert wird von einer raschen, regelmäßigen Bewegung der Mittelstimme und nur halb so schnellen Akkordbrechungen im Bass.

    'Largo' aus der Sonate für Violine und Klavier Nr. 4 c-moll, BWV 1017

    Vielen Sätzen wie diesem Largo bekommt es sehr gut, dass Frank Peter Zimmermann und sein Klavierpartner Enrico Pace ihren Bach mit Samthandschuhen anfassen: Eine gelassene Heiterkeit umfängt den gesamten Zyklus, auch dort, wo eine andere Stimmung durchaus denkbar wäre. Hin und wieder wünscht man sich einen beherzteren Zugriff, etwas mehr dramatische Entwicklung, deutlichere Kontraste. Doch Zimmermann und Pace schattieren lieber, als dass sie Hell und Dunkel aneinander setzen, sie zeichnen mehr als dass sie malen. Was die leidige Frage nach der rechten Wahl des Instrumente angeht: Das Cembalo wäre korrekt, musikalisch richtig ist hier der Steinway aber auch.

    Und der große, klassische Geiger Frank Peter Zimmermann schließlich? Nun ja: Eine eingehendere Auseinandersetzung mit barocker Spielpraxis könnte nicht schaden, doch die feine Dosierung seiner Effekte, die Leichtigkeit seiner Artikulation, seine kluge Bescheidenheit als Interpret, das ermöglich am Ende doch einen klaren, unverstellten und auch spannenden Blick auf Bach. Wie gesagt, man kann diese Musik ganz anders spielen. So aber auch.

    'Adagio ma non tanto' aus der Sonate für Violine und Klavier Nr. 3 E-dur, BWV 1016

    Der Geiger Frank Peter Zimmermann und der Pianist Enrico Pace mit einem letzten Ausschnitt aus ihrer Gesamtaufnahme der Triosonaten BWV 1014-19 von Johann Sebastian Bach, als DVD-Konzertmitschnitt erschienen bei Medici Classics, und Ihnen vorgestellt von Raoul Mörchen.

    Johann Sebastian Bach:
    Sonaten für Violine und Klavier BWV 1014-1019

    Frank Peter Zimmermann, Violine
    Enrico Pace, Klavier
    DVD Medici Arts 2057188 (Vertrieb: Naxos)