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Bach, tiefer gelegt

Der Bratscher Antoine Tamestit hat sich für sein Solo-Debüt keinen einfachen Pfad ausgesucht, sondern vielmehr einen steinigen Weg, kurvenreich und voller Schlaglöcher, mal steil bergauf, dann wieder rapide abwärts. Tamestit hat sich für die Violabearbeitung von Bachs Partita Nr. 2 entschieden - mit der berühmten Chaconne am Ende - und für eine Bratschen-Originalkomposition: die Sonate für Viola von György Ligeti. Ein steiniger Weg, den Tamestit legt ihn mit Bravour zurück.

Von Maja Ellmenreich |
    Eigentlich ist Antoine Tamestit kein Einzelgänger. Doch auch für den geselligen Kammermusiker war es an der Zeit für den Alleingang. Bei seiner ersten Solo-CD weist ihm kein musikalischer Partner die Richtung, nimmt ihn niemand an die Hand oder stellt sich schützend vor ihn.

    Der Bratscher Antoine Tamestit hat sich für sein Solo-Debüt bei dem Label Ambroisie keinen einfachen Pfad ausgesucht. Es ist vielmehr ein steiniger Weg, kurvenreich und voller Schlaglöcher, mal geht es steil bergauf, dann wieder rapide abwärts.

    Antoine Tamestit hat sich für die Violabearbeitung von Bachs Partita Nr. 2 entschieden - mit der berühmten Chaconne am Ende. Und für eine Bratschen-Originalkomposition: für die Sonate für Viola von György Ligeti. Ein steiniger Weg, wie gesagt. Aber Antoine Tamestit legt ihn mit Bravour zurück.

    " Musikbeispiel: Johann Sebastian Bach - Courante aus Partita Nr. 2, BWV 1004 (Bearbeitung für Viola) "

    Einen Versuch ist es wert: Mit geschlossenen Augen aber offenen Ohren sollte man es wagen, bei dieser Aufnahme das Instrument zu erraten. Und mit Sicherheit würden die wenigsten sofort "Bratsche" oder "Viola" sagen.

    Der Lückenfüller, der ewige Außenseiter, das zu kurz gekommene Sandwichkind der Streicherfamilie - die Bratsche hat man schlichtweg nicht im Ohr. Dafür mangelt es an Gelegenheit, denn dafür wiederum mangelt es an Repertoire. Das Angebot an Kompositionen, bei denen die Bratsche im Mittelpunkt steht, ist wirklich bescheiden: ein paar Konzerte, wenige Sonaten - viel mehr ist über die Jahrhunderte nicht zusammengekommen. Und für den puren Solo-Klang der Viola konnte sich offenbar über lange Zeit gar niemand erwärmen. Erst im frühen 20. Jahrhundert leisteten Max Reger und Paul Hindemith auf diesem Gebiet wertvolle Pionierarbeit. Letzterer schrieb für das eigene Instrument. Wer in den folgenden Jahrzehnten für "Viola solo" komponierte, hatte meist einen konkreten Interpreten im Sinn. Aber auch daran herrscht bis heute kein Überfluss!

    Um dennoch ein Programm von CD-Länge präsentieren zu können, hat sich Antoine Tamestit eines altbewährten Tricks bedient: Frei nach dem Motto "Was nicht passt, wird passend gemacht" bediente er sich einer Bratschenbearbeitung der d-Moll-Partita. Eine tiefer gelegte Variante der fünf Bachschen Suitensätze, bei der sich die Bratsche als eine Art Multifunktionsinstrument erweist: Der Part reicht bis in die Höhen der Violine und gleichzeitig bis in die Tiefen, die sonst das Violoncello besetzt hat. Das Instrument von Tamestit macht diese Achterbahnfahrt problemlos mit. Ein modernes Instrument aus dem Jahr 1999, das der berühmte Geigenbauer Étienne Vatelot in seiner Werkstatt im achten Pariser Arrondissement gefertigt hat. Es besitzt natürlich auch den bratschentypischen, diesen näselnden Klang, doch beherrschend ist diese Eigenschaft nicht. In der Höhe kann Tamestits Viola schlank und klar klingen, in der Tiefe satt und warm wie ein Cello.

    " Musikbeispiel: Johann Sebastian Bach: Sarabande (Ausschnitt) aus Partita Nr. 2, BWV 1004 (Bearbeitung für Viola) "

    Der junge französische Viola-Spieler Antoine Tamestit ist wahrlich nicht der erste, der sich Johann Sebastian Bachs Partita Nr. 2 zueigen macht. Besonders auf die Chaconne, das berühmte Herzstück der Partita, hatten es viele vor ihm abgesehen. Brahms und Busoni arrangierten sie für das Klavier, Alfredo Casella gleich für den gesamten Orchesterapparat. Ein heikles Unterfangen, das nicht immer geglückt ist - denn diese hochkomplexe Komposition mit all ihren spieltechnischen Herausforderungen verlangt nach Transparenz, nach einem überlegten Umgang mit den musikalischen Mitteln. Ein bisschen zuviel des Guten - das kann bei Bachs Chaconne schon fatal sein!

    Antoine Tamestit geht jedoch behutsam an die Sache heran, wagt nicht mehr, als er in der Lage ist zu geben. Er hat alles unter Kontrolle, gestaltet ganz bewusst, scheint sich jeden Bogen, jede Phrase, jeden Ton genauestens überlegt zu haben. Und trotzdem besiegt bei dieser neuen Aufnahme von Bachs Chaconne der Verstand nicht das Gefühl!

    " Musikbeispiel: Johann Sebastian Bach: Chaconne aus Partita Nr. 2, BWV 1004 (Bearbeitung für Viola) "

    Was kann danach noch kommen? Nachdem Antoine Tamestit mit seiner Viola-Fassung der Partita Nr. 2 ein flammendes Plädoyer für sein Instrument gehalten hat? So gefährlich das Unterfangen auch war, sich auf dem Solo-Debüt-Album mit Bachs Geigen-Meisterwerk zu präsentieren, so überzeugend ist Tamestit das Ergebnis gelungen. Die Bratschenfassung lässt Bachs d-Moll-Partita in einem ganz anderen Licht leuchten: ruhiger, wärmer, entspannter. Wer sich den Spaß machen möchte und sich gleich im Anschluss an die Viola-Fassung eine originale für Violine anhört - dem werden die Ohren aufgehen!

    Wäre da also noch die Frage, was auf Bachs Chaconne überhaupt folgen kann. Natürlich eine Originalkomposition für Viola. Ein Werk, das Tamestits Lehrerin Tabea Zimmermann gewidmet ist: Die Bratschensonate des Ungarn György Ligeti, der vor einem knappen Jahr gestorben ist.

    Vom ersten Ton an ist klar, dass hier nichts transponiert wurde, sondern dass die Noten nur für dieses eine Instrument gedacht sind. Sechs kurze Charakterstücke hatte Ligeti Anfang der 90er Jahre komponiert: so abwechslungsreich wie nur irgend möglich. Dabei ließ er sich von Volksmusik unterschiedlichster Herkunft inspirieren. Mal liegt der Schwerpunkt auf dem Rhythmus, mal auf der Melodie, aber immer auf den Klangfarben, die eine Viola zu bieten hat.
    Ganz besonders reizt er sie im ersten Satz aus, der ohne Tabea Zimmermans Spiel auf der C-Saite so wohl nicht entstanden wäre. Ligeti war von ihrer "wunderbar und herb klingenden C-Saite" hellauf begeistert und wandelte seinen Enthusiasmus in einen fast schon gespenstischen Sog um.

    " Musikbeispiel: György Ligeti: Hora Lunga aus Sonate für Viola solo (Ausschnitt) "

    Bevor Antoine Tamestit Bratscher aus Überzeugung wurde, hat auch er den Umweg über die Geige genommen. Vier Jahre lang lernte der 1979 geborene Tamestit das Violinspiel und sattelte mit zehn Jahren um zum Alt-Instrument der Streicherfamilie. Das renommierte Pariser Konservatorium absolvierte er, dann ging es mit einem Fulbright-Stipendium zum Studium nach Yale, bevor er im Jahr 2001 Schüler von Tabea Zimmermann in Berlin wurde. Was die Viola-Landschaft an Auszeichnungen aufzubieten hat, räumt Antoine Tamestit ab: Wettbewerbe in Paris, Chicago und New York. Am meisten beachtet wird aber sein erster Platz beim ARD-Wettbewerb 2004 in München. Die Pariser Cité de la Musique schickt ihn als "Rising Star" durch Konzertsäle in ganz Europa, als "BBC New Generation Artist" bereist er Großbritannien.

    Antoine Tamestit hat es mit nicht mal 30 Jahren auf der Bratsche so weit geschafft, wie man es in diesem Alter nur schaffen kann. Er weiß um seinen Exotenstatus und dass er niemals so prominent werden wird wie ein ebenso talentierter Geiger. Wer Antoine Tamestit im Konzertsaal erlebt, spürt sofort eine sympathische Gelassenheit. Keine Arroganz, sondern die Gewissheit, dass Bratscher durchaus anders sein können, als es Tausende von Bratscherwitzen behaupten.

    " Musikbeispiel: György Ligeti: Presto con sordino (Ausschnitt) aus Sonate für Viola solo "

    Der französische Bratscher Antoine Tamestit spielt auf seiner Solo-Debüt-CD Musik von György Ligeti und Johann Sebastian Bach: Eine Violabearbeitung von Bachs Violinpartita Nr. 2 mit der berühmten Chaconne und die sechssätzige Sonate für Viola solo von György Ligeti. Bei dem französischen Label Ambroisie ist diese Aufnahme erschienen.

    Dringend empfohlen!