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Bachelor und Master nicht barrierefrei

Die im Zuge des Bologna-Prozesses überall eingerichteten neue Bachelor- und Master-Fächer sind zeitlich viel straffer organisiert sind, als die bisherigen Studiengänge und haben genaue Vorgaben, wann welche Veranstaltung zu besuchen ist. Oft sind außerdem als Zugangsvoraussetzung zum Studium Berufspraktika oder Auslandsaufenthalte erwünscht. Für Studierende mit Behinderungen bedeuten diese Veränderungen oft neue Barrieren.

Von Katinka Schmitt | 06.07.2007
    " Also ich musste dann alles irgendwie machen, dass Leute für mich mitschreiben, die ich gar nicht kannte, weil ich war ja sowieso neu an der Uni. "

    Sandra Boger ist Rollstuhlfahrerin. Sie berichtet von ihren Erfahrungen als Studentin an der FU Berlin.

    " Das zweite, was ein Problem war, waren die Zugänge, also Türen, die eben nicht automatisch gingen damals. Jetzt gehen die an der Uni zum Glück schon einige automatisch Aber es ist immer noch so, dass so Zwischentüren nicht automatisch sind. Das heißt da stößt man immer wieder auf Barrieren. "

    Aber die baulichen Barrieren sind leicht zu überwinden, verglichen mit den Schranken in den Köpfen. Immer wieder lehnen Universitäten behinderte Studienbewerber ab, weil sie ihnen unterstellen, dass sie dem Mehraufwand nicht gewachsen sein könnten. Und dieser Druck wird weiter steigen. Denn überall werden zur Zeit neue Bachelor- und Master-Studiengänge eingerichtet, die zeitlich viel straffer organisiert sind als die bisherigen Studiengänge. Künftig gibt es genaue Vorgaben, wann welche Veranstaltung zu besuchen ist.

    Birgit Rothenberg, Beraterin für behinderte Studierende am Dortmunder Zentrum "Behinderung und Studium", sieht die Gefahr, dass durch die aktuellen Reformen im Hochschulbereich über Jahrzehnte hart erkämpfte Hilfestellungen unter den Tisch fallen.

    " Im Moment ist es so, dass behinderte Studienbewerber und -bewerberinnen die Nachteile, die sie während ihrer Schulzeit aufgrund ihrer Behinderung haben, angeben können und dafür einen Nachteilsausgleich erfahren. "

    Nachteilsausgleich bedeutet, dass zum Beispiel ein angehender Student mit Körperbehinderung, der während seiner Schulzeit einen Verkehrsunfall hatte und deshalb eine Klasse wiederholen musste, sich diese Zeit als Wartezeit anrechnen lassen kann. Das steigert seine Chancen im Zulassungsverfahren der Hochschulen.

    " Wir haben Sorge, dass im Rahmen des Bologna-Prozesses, also der Umstellung der Hochschulen auf Bachelor- und Materstudiengänge die Nachteilsausgleiche, die behinderte Studierende zur Zeit erreichen können, erhalten können, in Zukunft nicht berücksichtigt werden. Das betrifft ganz besonders die Zulassung zu diesen Studiengängen, zum Bachelor- und Master-Studiengang. "

    Viele der neuen Studiengänge fordern außerdem als Zugangsvoraussetzung zum Studium Berufspraktika, Auslandsaufenthalte oder Kenntnisse verschiedener Fremdsprachen. Das sind aber für Studierende mit Behinderungen schwer zu erfüllenden Kriterien. Da es keine allgemein gültigen gesetzlichen Regelungen gibt, auf die sich Betroffene in einer solchen Situation berufen können, ist für sie jeder Antrag auf Zulassung zum Studium ein individuellen Kampf.

    Michael Richter, Anwalt und Geschäftsführer des Deutschen Vereins der Blinden und Sehbehinderten in Studium und Beruf, fordert deshalb, dass es künftig nicht mehr vom guten Willen der Universitäten abhängt, ob ein behinderter Abiturient zum Studium zugelassen wird oder nicht.

    " Es ist schön wenn Universitäten mehr Rechte haben, sich Studierende auszusuchen, aber wenn es, sage ich mal, allein im Belieben der Universität ohne Standards, ohne zu berücksichtigende Standards liegt, zu sagen, wir möchten vielleicht eben keine behinderten Studierenden, dann kann das nicht sein. "

    Michael Richter fordert ein Umdenken. Die Qualität eines Studiengangs, sagt er, steigt nicht obwohl, sondern weil behinderte Studierende durch ihre anderen Bedürfnisse neue Anforderungen an ihre Dozenten und Kommilitonen stellen.

    " Das heißt auch mal Dinge anders aufbereiten zu müssen und Rücksicht zum Beispiel auf Blinde nehmen zu müssen oder auf Gehörlose oder auf Hörbehinderte, dass das insgesamt den Qualitätsstandard erhöhen würde, auch der Lehre, aber zum anderen natürlich auch der Forschung und auch des Studiums ganz allgemein. "