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Bachs Weihnachtsoratorium als Musiktheater

Das Weihnachtsoratorium von Johann Sebastian Bach ist zur Hintergrundmusik für Weihnachtsmärkte degradiert. Dagegen setzt die Berliner Opernkompanie NOVOFLOT eine neue Inszenierung, die das Werk in mehreren Räumen des Berliner Kulturzentrums Radialsystem aufführt.

Von Georg-Friedrich Kühn | 17.12.2009
    So kennt man das bachsche Weihnachtsoratorium wirklich nicht. Eine Kindergruppe auf dem "Deck", der hoch oben gelegenen Freiterrasse des Berliner Radialsystems, sucht rhythmisch nach dem neugeborenen König der Juden.

    Erspähen kann man auf der anderen Seite der Spree eine rot leuchtende Hütte und ein Auto mit aufgeblendeten Scheinwerfern. Über Lautsprecher hört man Murmeln aus der Johannespassion.

    Der nächste Raum bei dieser Kalvarienberg-Suche nach dem Jesuskind führt in ein düsteres Beduinenzelt, wo zwei Kinder, denen wir noch öfters unliebsam begegnen werden, den Evangelien-Text der Rezitative radebrechen und Schachteln umschichten.

    Dann ein Raum, wie das Logo einer bekannten Bank gebaut mit Damen und Herren Sängern und Instrumentalisten hinter den breiten Tresen, die Gott preisen für ihre dicken Schecks, wobei die Musik immer löchriger wird.

    Schließlich steigen wir wieder hinab. In einem großen Dunkelraum wird die berühmte Echo-Arie gegeben. Allerdings gemixt mit dem Redeschwall einer schauspielernden jungen Frau, die als wandernder Geist mit Stirnleuchte apokalyptische Texte rezitiert - gnädig überdeckt dann von eindringenden chorisch-instrumentalen himmlischen Heerscharen, die die Suada von Peinlichkeiten schlucken.

    Wir haben die ersten zwei Stunden dieser unweihnachtlichen Session mit szenisch ummantelten Fragmenten aus dem bachschen Oratorium, den nachweihnachtlichen Kantaten, überstanden. Es gibt Suppe, Schmalzbrote und Getränke. Einige Leute machen sich auf den Heimweg.

    Dann wird man in den großen Saal gebeten. Chor, Kinderchor, Solisten und Orchester erwarten schon bunt geschmückt die Besucher. Und es geht dann auch in etwa so los, wie man das Weihnachtsoratorium kennt.

    Freilich haben wir die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Bei der Alt-Arie "Bereite dich Zion", mit pathetischem Vibrato gesungen und geschauspielert, betätigt sich einer der zuvor Schach spielenden Jungs als taumelnder Radschläger, desgleichen bei der Bass-Arie "Großer Herr" der andere Knabe.

    Die zarte Hirtenmusik der zweiten Kantate wird überschrien von der Schauspielerin mit Traktaten über Architektur, die man nicht mal akustisch versteht. Das Ensemble löst sich fast auf, verschiebt sich zur Seite. Der Kinderchor begrüßt den Abmarsch der Hirten nach Bethlehem mit zerplatzenden Luftballons.

    Das musikalische wie szenische Unvermögen steigert sich, wenn Kulissenteile zu einer Art Gletscher-Schräge montiert werden und die Schauspielerin sich daran abmühen muss. Tja-ja die Umwelt.

    Schließlich - nach mehr als vier Stunden quälendem Hangeln durch Brocken des Weihnachtsoratoriums sind die vier Bauer-Brüder mit Jazz dran. Es gibt Freibier für alle, wobei das Haus spart: Der Saal hat sich stark gelichtet.

    Lebenshilfe, eine Suche nach "Momenten, in denen Glaube, Liebe, Hoffnung möglich wird" ward versprochen von der Gruppe NOVOFLOT und ihrem Regisseur Sven Holm.

    Es scheint, die Gruppe braucht selber Hilfe - dringend, und zwar an künstlerischer Sensibilität. Und die dies finanzierende Kultur-Stiftung des Bundes sollte vielleicht etwas wählerischer sein.

    Immerhin gibt sich Vicente Larrañaga am Pult mit manchmal allerdings zu flotten Tempi Mühe um ein wenigstens mittelmäßiges musikalisches Niveau. Die Sänger helfen ihm dabei leider fast nicht.