Burkhard Müller-Ullrich: Und da, hinter dem gedruckten Gedicht, sind Sie, Michael Maul, auf die Noten gestoßen. Wie sieht das Dokument denn genau aus?
Michael Maul: Das sind drei Bögen, das kommt dann insgesamt auf zwölf Seiten und die sind in ein prächtiges Bundpapier eingebunden. Um dem Ganzen einen repräsentativen Charakter zu verleihen, hat dann offenbar dieser Superintendent ein extra schönes Bundpapier da ringsherum binden lassen, einschließlich der Bach-Komposition. Und diese beiden Seiten, wo Bach die Partitur drauf geschrieben hat, die sind wirklich vorsorglich frei geblieben, damit Bach sozusagen, nachdem es gedruckt ist, noch handschriftlich die Partitur eintragen kann. Offenbar hat man in Weimar zu der Zeit noch keine Möglichkeit gehabt, Noten zu drucken.
Burkhard Müller-Ullrich: Und Sie finden das. Es fällt Ihnen in die Hände. Wie, unter welchen Umständen, wann, wo?
Michael Maul: Ich habe seit 2002 die Aufgabe, hier im Bach-Archiv ein Forschungsprojekt durchzuführen, wo ich systematisch in Sachsen und Thüringen alle Archive, die berühmten Kirchturmböden, die Rathauskeller und eben auch die staatlichen Archive durchgehe und erstmal generell nach musikgeschichtlich relevanten Dokumenten zur Barockzeit recherchiere. Und was natürlich das Bach-Archiv sich insbesondere davon erhofft, sind eben neue Bach-Dokumente. Wir wissen, dass eben Bach zum Beispiel sich viel für seine eigenen Schüler engagiert hat, dass die gute Posten bekamen. Und hat immer mal Zeugnisse für die Schüler ausgestellt. Und so etwas findet man dann doch gelegentlich.
Burkhard Müller-Ullrich: Gelegentlich ist gut. Das war jetzt der erste Fund dieser Art.
Michael Maul: Ja, aber bisher habe ich vor allem nach Dokumenten, also nach Schriftstücken gesucht. Und das sind ja jetzt wirklich Noten und eben eine gänzlich unbekannte Komposition von Bach, die also vorher keiner gesucht hat, weil sie keiner vermisst hat.
Burkhard Müller-Ullrich: Der Traum eines jungen Forschers.
Michael Maul: Tatsächlich, ja. Die Geschichte ist eigentlich so. Ich war an dem Tag von früh bis abends in der Anna Amalia Bibliothek beschäftigt, hatte mir einfach einen ganzen Sturz von solchen Gelegenheitssichtungen bestellt. Ich hatte vor allem Hoffnung, Textdrucke zu Bachkantaten zu finden und hatte das Stück eben glücklich mit dabei und habe einfach durchgeblättert, sah plötzlich die Noten. Das war also eine Viertelstunde vor Bibliotheksschließung. Nach zehn Stunden Arbeit und knurrendem Magen habe ich ja fast eine Wahnvorstellung von mir erstmal vermutet und habe irgendwie schnell noch versucht, orthographisch Schriftstücke von Bach dort im Handapparat stehenden Bachbüchern schnell noch mal zu finden, um zu vergleichen.
Burkhard Müller-Ullrich: Sind die leicht zu erkennen? Erkennen Sie sofort die Handschrift von Bach?
Michael Maul: Ich habe dann erstmal, um keine Ente in die Welt zu setzen, Kopien bestellt, die kamen dann zehn Tage später hier im Bach-Archiv an. Und dann habe ich sie mir also, insbesondere mit meinem Kollegen Doktor Peter Wollny, der vielleicht der Schriftsachverständige für Bach ist, noch mal in Ruhe angeschaut. Man kennt die Handschrift von Bach mittlerweile so gut. Es besteht also absolut kein Zweifel daran, dass es ein Autograph Bachs ist. Und selbst wenn es nicht ein Autograph Bachs wäre, würde man fast an der Qualität der Musik erkennen, dass es eigentlich nur Bach sein kann.
Burkhard Müller-Ullrich: Danach wollte ich sie gerade fragen. Ist es denn schön, das Stück?
Michael Maul: Ja, wir müssen ja nun noch die große Uraufführung, die dann also verbunden ist mit der Erstedition und eines Faksimiles, was ich also herausgeben werde schnellstmöglichst bei Bärenreiter, stattfinden lassen. Es wird diesem Faksimile auch eine Weltersteinspielung beigegeben sein, die John Elliot Gardiner übernehmen will. Man kann es also stilistisch sehr vergleichen mit der Arie "Weil die wollenreichen Herden" aus der Jagdkantate von Bach. Im Kern ist es eine Continuo-begleitete Sopranarie mit einer auskomponierten Dacapostruktur. Und dann kommt sozusagen als Überleitung zur zweiten Strophe ein dreitaktiges Streicher-Ritornell, also zwei Violinen, Viola und Bass. Und man sieht einfach an dieser ganz engen, polyphonen kontrapunktischen Arbeit, dass erstens Bach das keineswegs als ein Gelegenheitswerk betrachtet hat, was vielleicht von minderer Qualität ist, sondern es ist wirklich die Qualität der Bach-Arien, die man eben in seinen Weimarer-Kantaten generell antrifft.
Burkhard Müller-Ullrich: Ist es melodisch einfach? Gibt es eine Stelle, die sie uns singen können?
Michael Maul: Also das möchte ich Ihnen gerne ersparen. Das müssen Sie dann mal noch abwarten. Singen tue ich eigentlich nur unter der Dusche.
Burkhard Müller-Ullrich: Ach, schade. Aber trotzdem vielen Dank für die Auskünfte, Michael Maul. Wir sprachen mit dem Finder einer bislang unbekannten Bach-Arie und die Suche geht natürlich weiter, vorzugsweise in den frühen Abendstunden kurz vor Schließung der Archive.
Michael Maul: Das sind drei Bögen, das kommt dann insgesamt auf zwölf Seiten und die sind in ein prächtiges Bundpapier eingebunden. Um dem Ganzen einen repräsentativen Charakter zu verleihen, hat dann offenbar dieser Superintendent ein extra schönes Bundpapier da ringsherum binden lassen, einschließlich der Bach-Komposition. Und diese beiden Seiten, wo Bach die Partitur drauf geschrieben hat, die sind wirklich vorsorglich frei geblieben, damit Bach sozusagen, nachdem es gedruckt ist, noch handschriftlich die Partitur eintragen kann. Offenbar hat man in Weimar zu der Zeit noch keine Möglichkeit gehabt, Noten zu drucken.
Burkhard Müller-Ullrich: Und Sie finden das. Es fällt Ihnen in die Hände. Wie, unter welchen Umständen, wann, wo?
Michael Maul: Ich habe seit 2002 die Aufgabe, hier im Bach-Archiv ein Forschungsprojekt durchzuführen, wo ich systematisch in Sachsen und Thüringen alle Archive, die berühmten Kirchturmböden, die Rathauskeller und eben auch die staatlichen Archive durchgehe und erstmal generell nach musikgeschichtlich relevanten Dokumenten zur Barockzeit recherchiere. Und was natürlich das Bach-Archiv sich insbesondere davon erhofft, sind eben neue Bach-Dokumente. Wir wissen, dass eben Bach zum Beispiel sich viel für seine eigenen Schüler engagiert hat, dass die gute Posten bekamen. Und hat immer mal Zeugnisse für die Schüler ausgestellt. Und so etwas findet man dann doch gelegentlich.
Burkhard Müller-Ullrich: Gelegentlich ist gut. Das war jetzt der erste Fund dieser Art.
Michael Maul: Ja, aber bisher habe ich vor allem nach Dokumenten, also nach Schriftstücken gesucht. Und das sind ja jetzt wirklich Noten und eben eine gänzlich unbekannte Komposition von Bach, die also vorher keiner gesucht hat, weil sie keiner vermisst hat.
Burkhard Müller-Ullrich: Der Traum eines jungen Forschers.
Michael Maul: Tatsächlich, ja. Die Geschichte ist eigentlich so. Ich war an dem Tag von früh bis abends in der Anna Amalia Bibliothek beschäftigt, hatte mir einfach einen ganzen Sturz von solchen Gelegenheitssichtungen bestellt. Ich hatte vor allem Hoffnung, Textdrucke zu Bachkantaten zu finden und hatte das Stück eben glücklich mit dabei und habe einfach durchgeblättert, sah plötzlich die Noten. Das war also eine Viertelstunde vor Bibliotheksschließung. Nach zehn Stunden Arbeit und knurrendem Magen habe ich ja fast eine Wahnvorstellung von mir erstmal vermutet und habe irgendwie schnell noch versucht, orthographisch Schriftstücke von Bach dort im Handapparat stehenden Bachbüchern schnell noch mal zu finden, um zu vergleichen.
Burkhard Müller-Ullrich: Sind die leicht zu erkennen? Erkennen Sie sofort die Handschrift von Bach?
Michael Maul: Ich habe dann erstmal, um keine Ente in die Welt zu setzen, Kopien bestellt, die kamen dann zehn Tage später hier im Bach-Archiv an. Und dann habe ich sie mir also, insbesondere mit meinem Kollegen Doktor Peter Wollny, der vielleicht der Schriftsachverständige für Bach ist, noch mal in Ruhe angeschaut. Man kennt die Handschrift von Bach mittlerweile so gut. Es besteht also absolut kein Zweifel daran, dass es ein Autograph Bachs ist. Und selbst wenn es nicht ein Autograph Bachs wäre, würde man fast an der Qualität der Musik erkennen, dass es eigentlich nur Bach sein kann.
Burkhard Müller-Ullrich: Danach wollte ich sie gerade fragen. Ist es denn schön, das Stück?
Michael Maul: Ja, wir müssen ja nun noch die große Uraufführung, die dann also verbunden ist mit der Erstedition und eines Faksimiles, was ich also herausgeben werde schnellstmöglichst bei Bärenreiter, stattfinden lassen. Es wird diesem Faksimile auch eine Weltersteinspielung beigegeben sein, die John Elliot Gardiner übernehmen will. Man kann es also stilistisch sehr vergleichen mit der Arie "Weil die wollenreichen Herden" aus der Jagdkantate von Bach. Im Kern ist es eine Continuo-begleitete Sopranarie mit einer auskomponierten Dacapostruktur. Und dann kommt sozusagen als Überleitung zur zweiten Strophe ein dreitaktiges Streicher-Ritornell, also zwei Violinen, Viola und Bass. Und man sieht einfach an dieser ganz engen, polyphonen kontrapunktischen Arbeit, dass erstens Bach das keineswegs als ein Gelegenheitswerk betrachtet hat, was vielleicht von minderer Qualität ist, sondern es ist wirklich die Qualität der Bach-Arien, die man eben in seinen Weimarer-Kantaten generell antrifft.
Burkhard Müller-Ullrich: Ist es melodisch einfach? Gibt es eine Stelle, die sie uns singen können?
Michael Maul: Also das möchte ich Ihnen gerne ersparen. Das müssen Sie dann mal noch abwarten. Singen tue ich eigentlich nur unter der Dusche.
Burkhard Müller-Ullrich: Ach, schade. Aber trotzdem vielen Dank für die Auskünfte, Michael Maul. Wir sprachen mit dem Finder einer bislang unbekannten Bach-Arie und die Suche geht natürlich weiter, vorzugsweise in den frühen Abendstunden kurz vor Schließung der Archive.