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Bad Land. Ein amerikanisches Abenteuer

Wenn man nur wüßte, wie das hier in Deutschland zu be- werkstelligen wäre, dann müßte das Erscheinen von Jonathan Rabans Bad Land mit einer Parade gefeiert werden. So großartig, wie die 3.-Juli-Parade in Ismay, Montana, sollte sie mindestens ausfallen.

Tobias Gohlis |
    Am 3. Juli 1995 feierten die 37 Einwohner des Ortes Ismay Joe Montana, und indem sie diesen Mann feierten, ihr Überleben als Siedlung. Folgendes war geschehen: Joe Montana, eine Legende des American Football, so berühmt wie hierzulande Beckenbauer, brauchte eine neue Adresse für seine Fanpost, am besten einen Ort mit Postamt, den man gleich mit dem Namen des Helden versehen konnte. Nach längerer Suche wurde ein Kaff im östlichen Montana ausfindig gemacht: Ismay ist die kleinste Stadt des Bundesstaats, so provinziell gelegen, dass die kürzeste Entfernung zu einer asphaltierten Straße zehn Kilometer beträgt. Um zu verstehen, warum die Einwohnerschaft von Ismay sofort auf das Angebot einging, ihren Ort in Joe, Montana umzunennen, muss man Rabans Buch lesen.

    Die Parade jedenfalls war prachtvoll: Dampftrecker und antike Exemplare des FORD Modell T, dampfgetriebene Dreschmaschinen, Ballenpacker und Feuerlöschwagen rumpel- ten über die lehmige Hauptstraße, vorbei an 28 Mobilklos und knapp 300 Zuschauern, die das Spektakel angelockt hatte, mit dem Ismay seine Verwandlung in Joe/ Montana und einen tou ristischen Wallfahrtsort beging.

    Begonnen hatte alles und auch die Geschichte Ismays mit einem der letzten Eisenbahnbauprojekte des Westens, der Mil waukee-Road. Raban schreibt: "Auf ihrem Weg übers Land ge bar sie in einem Abstand von etwa zwölf Meilen kleine Orte. Züge mußten mit Fracht und Passagieren beladen werden, und es war ein wesentlicher Teil des Geschäfts einer Eisenbahnge sellschaft, ein Gebiet mit Kunden auszustatten, Fertigkommu nen von Menschen sozusagen, deren Leben von der Nabel schnur der Strecke abhängen würde. Also errichtete die Gesellschaft diese skeletthaften Marktflecken auf ihrem eigenen Land. Ihre Schöpfungen waren so willkürlich wie jene, die in der Genesis beschrieben sind. Die Gesellschaft sagte: Es werde eine Stadt: Und siehe, da war eine Stadt. Nur eines fehlte: die Menschen. Die wurden mit Propagandabroschüren, Krediten und dem Homestead-Act von 1909 angelockt, einer geradezu unwiderstehlichen Dreieinigkeit. Jedem Immigranten aus dem übervölkerten Europa, jedem arbeitlsosen Industriearbeiter und jedem Wagemutigen mit Körperkraft und Unternehmergeist wurde versprochen, für 50 Dollar Grundgebühr und die Errichtung einer Hütte Besitzer einer Farm zu werden, die sage und schreibe 320 Hektar umfaßte, so groß wie Londons Hydepark. Ein Idyll sollte im östlichen Montana entstehen, die Ver- wirklichung des Traumes von einer Demokratie aus lauter kleinen, unabhängigen Landbesitzern, "die von Gott erwählt" waren, wie Thomas Jefferson geschwärmt hatte. Nur eines war in diesem Idyll nicht vorausgesehen: die Trockenheit des Landes.

    Als Jonathan Raban Mitte der neunziger Jahre erstmals in diese Präriegebiete kam, stellte sich ihm das Land "als Fried- hof dar", übersät mit den Überbleibseln einer Zivilisation, de- ren Aufstieg nicht mehr als 80 und deren Untergang kaum 50 Jahre her war. Im Präriegras lagen Eggen und Kinderspielzeug, Häuser und Scheunen hatten sich in grüne Hügel zurück verwandelt, die von den natürlich entstandenen kaum mehr zu unterscheiden waren. Zwei Jahre lebte und reiste Raban in der endlosen Weite dieser Landschaft, durchstöberte aufgegebene Farmhäuser und durchsuchte mit Hilfe eines Enkels der Gründergeneration wie ein Archäologe die überwachsenen Spuren der hoffnungfrohen Siedler von 1910. Er studierte Fotoalben, Memoiren und Handbücher des Optimismus wie Campbells Leitfaden fürs Trockenfarmen, nach dessen Anweisungen die Honyockers, wie die zugereisten Greenhorns von den alteingesessenen Rinderbaronen genannt wurden, innerhalb dreier Wachstumsperioden die dünne Schicht Prärie-Humus und damit ihre Existenzgrundlage systematisch zerstörten.

    "Als Vater hierherkam, hatte er 25 Dollar, einen Planwa gen und einen Esel." Mit diesem Satz beginnt jede Erinne rungsgeschichte an jene Siedler, die in den Bad Lands von Montana den amerikanischen Traum wahr machen wollten und die innerhalb einer Generation Opfer der Banken, der Eisenbahnen und der Versprechen des amerikanischen Staates wurden. Raban schildert das Leben der Siedler mit einer großen demütigen und respektvoll ironischen Liebe zu diesem Land, das hauptsächlich nur Weite, Hitze, Kälte und Trockenheit ist. Wie der Biologe Claude Barr, der in fünzigjähriger Arbeit die Pflanzenwelt der Prärien Amerikas als "Jewels of the Plains", Juwelen der großen Ebenen , beschrieb, beugt Raban sich genügsam und ausdauernd über die Details des Lebens dieser Menschen. Enstanden ist aus dieser geduldigen Forschungsarbeit nicht nur eines der interessantesten, weil sprechendsten Bücher über den Westen, und damit über die Seele Amerikas, sondern auch eine überaus spannend zu lesende moderne Erzählung der Landschaft. Kenner wußten es schon lange: Jonathan Raban ist ein Meister der Reiseliteratur. Endlich ist er, nach einem ersten mißglückten Start im List-Verlag vor etlichen Jahren, wieder auf deutsch zu lesen. Die 3.Juli-Parade in Joe, Montana lockte seinerzeit 300 Gäste an. Jonathan Rabans Bad Land hat tausend mal mehr Leser verdient.