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Bad Münster
Wilde Wand im Nahetal

Wer erstmalig den Rotenfels erblickt, denkt er sei zumindest im Voralpenland. Die Wand ist gut 200 Meter hoch, jedoch nur 25 Kilometer vom rheinischen Bingen entfernt. Umrahmt von Weinbergen liegt sie bei Bad Münster am Stein nahe Bad Kreuznach.

Von Gerd Michalek | 06.04.2015
    Der Rotenfels in Bad Münster am Stein-Ebernburg. Der Rothenfels ist eine rund 200 Meter hohe und etwa 1200 Meter lange Steilwand. Sie ist laut Stadtverwaltung die größte Steilwand zwischen den Alpen und Skandinavien.
    Der Rotenfels in Bad Münster am Stein-Ebernburg. Der Rothenfels ist eine rund 200 Meter hohe und etwa 1200 Meter lange Steilwand. Sie ist laut Stadtverwaltung die größte Steilwand zwischen den Alpen und Skandinavien. (picture alliance / dpa / Fredrik von Erichsen)
    In Bad Münster wurde schon vor knapp 300 Jahren dank salzhaltiger Quellen mit Salz gehandelt. Obwohl die Salzgewinnung 1999 eingestellt wurde, rieselt noch heute im Salinental salziges Wasser im stetigen Kreislauf über neun Meter hohe Wände aus Schwarzdornhecken. Gradierwerk nennt sich das, weil das wiederholte Runterrieseln das Wasser verdampfen lässt und den Salzgehalt der Sole Grad für Grad steigert. Wir atmen in Deutschlands größter Freiluftinhalationsanlage noch ein wenig salzige Luft ein und wandern weiter Nahe-aufwärts, bis der Rotenfels erscheint.
    Die größte Steilwand zwischen den Alpen und Skandinavien hat hochalpines Format und lässt keinen Wanderer kalt:
    - "Es ist ganz einfach umwerfend, der große Rundblick."
    - "Vielseitig die Landschaft, Felsen, Weinberge."
    - "Dass man senkrecht nach unten schauen kann, wie von einem Turm."
    Wer sich der Wand von oben her über gemütliche Wege nähert, schaut auf einen schmalen abenteuerlichen Felsgrat. Dort hängt eine Messingglocke. An ihr vorbei ist Wolfgang Wenghöfer vor einigen Jahrzehnten geklettert:
    "Der berühmte Glockengrat ist eine Kletterroute – von etwa vier Seillängen – also vier mal 50 Meter Kletterstrecke bedeuten. Gute Kletterer brauchen dafür etwa eine halbe Stunde, andere bleiben da mehrere Stunden hängen. Im oberen Teil geht man schmaler als eine Handbreit über einen Grat, rechts und links sehr viel Luft unter den Füßen. Das ist technisch nicht sehr anspruchsvoll, aber die Psyche wird da schon gefordert."
    Heute liebt es der Mann mit dem grauen Vollbart etwas gemächlicher. Der gelernte Gartenbauer ist nach wie vor beim Deutschen Alpenverein aktiv. Er kümmert sich bei der Sektion Nahe um den Naturschutz und kennt den Rotenfels bestens. Von einer Mauerbrüstung aus schaue ich mit ihm in die schwindelerregende Tiefe.
    "Die größte Steilheit ist die Bastei mit 160 bis 170 Metern schier senkrechte Felsformation. Die Steilwand ist von sehr namhaften Kletterern in der Vergangenheit immer wieder angegangen worden, aber sie sind x-mal abgeblitzt. Man kann salopp sagen, das ist eine überhängende Geröllhalde. Man hat in den letzten 30 Jahren keinen Versuch mehr gemacht, weil das Gebiet unter Naturschutz steht, sodass die Bastei nur einmal durchstiegen wurde, und bis heute nie wieder."
    Wanderer zieht es ohnehin nicht in die steilen Felsen. Es gibt - neben der tollen Aussicht und seltenen Pflanzen - so viel anderes zu entdecken:
    "Der Wanderfalke ist seit 15 Jahren wieder zu einem stabilen Horstvogel geworden, wobei da ein Kampf zwischen Wanderfalke und Uhu herrscht: Der Uhu holt sich die fast flüggen Wanderfalkenküken aus dem Horst und verspeist sie."
    Wir haben Glück und sehen am Himmel einen Wanderfalken kreisen. Dann huscht die seltene Smaragd-Eidechse über den Weg. Direkt an der Nahe könnten wir womöglich eine seltene ungiftige Schlange sehen. Beim Abstieg vom Rotenfels wandern wir deshalb zum Nahe-Ufer und treffen Hans-Joachim Gellweiler, der Deutschlands größten Würfelnatter-Bestand auf 500 Tiere schätzt.
    "Man kann die Würfelnatter im Sommer ohne Weiteres beim Spazierengehen beobachten, wenn sie sich sonnt oder jagt. Sie jagt ausschließlich im Wasser nach Fischen. Leider Gottes haben wir jedes Jahr das Problem, dass etliche Tiere überfahren werden, zunehmend auch von Fahrrädern."
    Das liegt daran, dass Jungtiere kaum größer als Regenwürmer sind und leicht übersehen werden. Gellweiler bringt uns mit seinem Kahn auf die andere Nahe-Seite. Mit dicken Handschuhen zieht er am Seil der einzigen handbetriebenen Fähre Südwestdeutschlands.
    "Ich bin ganz stolz, die Huttental-Fähre zu betreiben. Die Huttental-Fähre ist ein Fährnachen, der bereits 1723 eingerichtet wurde. Damals hatte ein Kaufmann, der im größeren Stil mit Salz handeln wollte, mit der Stadt einen Vertrag geschlossen. Aus diesem Vertrag heraus war er verpflichtet, einen Fährnachen zu betreiben und einen Eselsstall."
    Damals ging es den Fährleuten gut: Zeitweilig waren zwei oder drei Fähren parallel im Einsatz. Es lohnte sich, in einer Grenzregion zu leben.
    "Man erzählt von den alten Fährleute, dass sie auch recht wohlhabend waren – und um es bildlich zu erklären: Die schlimmste Arbeit war wohl, das nachts in Eimern heim getragene Münzgeld zu zählen. Drüben, als da in Spitzenzeiten Gastronomie war, kam einer auf die Idee und hat einen Grenztisch aufgestellt: ein Tisch, der genau auf der Grenze Preußen und Bayern lag. Das muss sehr lustig gewesen sein abends zur Polizeistunde, die wohl unterschiedlich geregelt wurde."
    Wurde man dort kontrolliert, rückte man einfach am Tisch herum und war auf der rechtlich korrekten Seite. Angenehm so eine Polizeistunde vor 150 Jahren,