Archiv


Baden in Budapest

Ein Schachspieler, dem das Wasser bis zum Halse steht:

Eine Sendung von Matthais Rumpf |
    Früher, war das chic, Schwimmen gehen. Aber jetzt ist es schon sehr teuer, aber viele Leute können das nicht machen wir die alten Leute, wir können das machen.

    ...und sein Freund über die Gefahren des Badens:

    Es ist natürlich sehr heiß, vor allem im Sommer, wenn du da überhitzt bist, da kann es schon gefährlich werden. Dieses Jahr sind schon zwei gestorben tatsächlich. Nicht beim Schachspiel sondern von der Überwärmung sind raus gegangen und haben Herzbeschwerden gehabt und sind dann gestorben.

    Gesichter Europas: Baden in Budapest - Schachmatt bei 38 Grad. Eine Sendung von Matthias Rumpf. Am Mikrophon begrüßt sie Britta Fecke. Guten Morgen.

    Baden hat in Budapest eine lange Tradition. Schon die römischen Legionäre schätzten die warmen Quellen an der Donau und errichteten an der Grenze ihres abendländischen Reiches Dampf-Bäder. Die nachfolgenden christlichen Herrscher hielten nicht viel von den warmen Wassern, doch mit den türkischen Eroberern kamen im 16. und 17. Jahrhundert die Bäder zurück nach Budapest. Fünf türkische Bäder aus dieser Zeit sind noch immer in Betrieb. Die prächtigsten Badetempel stammen allerdings aus dem 19. Jahrhundert. Zu Zeiten der kaiserlichen und königlichen Doppelmonarchie der so genannten k. und k. Monarchie leistete sich die Stadt die erste Untergrundbahn auf dem Kontinent, eine Straßenbeleuchtung, große Donaubrücken und eben pompöse Bäder. Budapest wurde zur Rivalin Wiens und wuchs zeitweise schneller als Berlin.

    Aus dieser Zeit stammt auch das Széchneyi-Bad. Es ist bis heute eines der größten Heilbäder Europas, gespeist aus einer Quelle in rund 1200 Metern Tiefe. Hier im Schatten des Stadtwäldchen sind Budapest´ begehrteste Wasserschachplätze, doch bis zum Schachmatt bei 38 Grad kommt es bei vielen Touristen erst gar nicht, sie ermatten schon an den Garderoben des Széchneyi-Bades:


    1. Beitrag Schachmatt bei 38 Grad: Im Széchenyi-Bad gibt es viele ungeschriebene
    Gesetze. Die Schachspieler im Bad kennen sie alle.


    Es ist wie jeden Tag im Széchenyi-Bad. Touristen stehen hilflos in den Umkleidekabinen, die sich in einem leicht gebogenen Gang aneinanderreihen. Durch die Fensterscheiben sieht man auf die Freibecken des Bades. Dort steigt Dampf auf.

    Der Garderobier versucht mit dem Ansturm fertig zu werden. Er ist Mitte 20, kahl rasierter Kopf. Er kocht innerlich – weil die Ausländer nach seiner Meinung wieder einmal kein Benehmen zeigen.

    Ist es nicht normal, wenn ein Ausländer hier herkommt, dass er erst grüßt und dann mich etwas fragt. Ich grüße immer herzlich und bekomme keine Antwort. Woher soll ich wissen, welche Sprache sie sprechen.

    Die Regeln sind streng im Széchenyi-Bad - vor allem die ungeschriebenen. Schon in der Garderobe scheitern viele. Das fängt damit an, dass sie das Trinkgeld vergessen, ohne das es eigentlich gar nicht geht. Der Garderobier wird dann schnell ungehalten, wenn er den knauserigen Ausländern auch doch erklären muss, warum es hier keine Schlüssel gibt, dafür aber ein kleines Metallplättchen mit einer Nummer, die so gar nichts mit der Nummer auf der Kabine zu tun hat.

    Also es ist ganz einfach. Kabine Nummer Sechs. Ich sperre auf. Der Gast zieht sich um. Auf dem Märkchen ist eine Nummer, die schreibe ich auf das Täfelchen in die Kabine. Das Märkchen bekommt der Gast und wenn er zurückkommt, vergleiche ich und weiß ich dann, ob ich die richtige Kabine aufgeschlossen habe. Das ist alles.

    Wer nach dieser Erklärung dem Garderobier seine Habseligkeiten anvertraut, der kommt am Ende des Garderobengangs durch eine Holztür zu den Freibecken.

    Fast wie ein Schloss türmt sich das Hauptgebäude des Bades auf der gegenüberliegenden Seite auf. Vor der Kulisse ein rechteckiges Becken. Ein paar Schwimmer ziehen ihre Bahnen. Rechts und links davon sind zwei halbkreisförmige Bassins mit warmem Wasser – 38 Grad. Die Luft ist kalt und im Dampf erkennt man die Badenden nur schemenhaft. Ein Mann sucht den angenehmsten Weg von der Kabine zum Dampfbad im Hauptgebäude. Er schiebt sich durchs Wasser, während er seine Badelatschen über den Kopf hält. Am Beckenrand steht ein Duzend Männer bis zum Bauch im Wasser und spielt Schach.

    Dabei ist auch Peter Adler. Auf seiner tiefgebräunten Haut glitzert eine breite Goldkette. Trotz seines deutschen Namens ist er Ungar. Er kommt wie die meisten regelmäßig - das ganze Jahr.

    Jede Woche zwei oder drei Mal. Jeden zweiten Tag ungefähr. Schwimmen, Sauna und dann Schach. Ein, zwei Stunden. Wenn ein guter Freund ist hier, dann spielen wir den ganzen Tag oft.

    Am Beckenrand weisen Schilder auf die empfohlene Badezeit hin: "Höchstens 20 Minuten". Mehr sei für Herz und Kreislauf zu anstrengend.

    Für uns ist das schon uninteressant, weil wir waren hier schon so oft, deshalb ist für uns schon kein Problem. Aber wenn Sie kommen ins Wasser, muss raus gehen, nach halbe Stunde, weil fürs Herz nicht gesund.

    Mit Peter Adler spielt Sabi Matä, ebenfalls einer der Stammspieler im Széchenyi. Er kratzt sich an seinem weißen Kinnbart und schaut ernst auf die Partie, die sich gerade zu seinen Ungunsten entwickelt. Sabi Matä steht auf einer Plastikbox, damit sein Oberkörper weiter aus dem Wasser reicht. Zur Kühlung, wie er erklärt. Er sieht die Gefahren des warmen Wassers.

    Es ist natürlich sehr heiß, vor allem im Sommer, wenn du da überhitzt bist, da kann es schon gefährlich werden. Dieses Jahr sind schon zwei gestorben tatsächlich. Nicht beim Schachspiel sondern von der Überwärmung sind raus gegangen und haben Herzbeschwerden gehabt und sind dann gestorben.

    Es sind nicht nur solch tragischen Todesfälle, die die Schachgemeinde im Széchenyi schrumpfen lassen. Peter Adler etwa ist schon als Student vor 40 Jahren zum Schach spielen ins Széchenyi gekommen. Bis zur Wende 89, erinnert er sich, seien es noch viel mehr Spieler gewesen, 40 oder 50. Sogar mit schwimmenden Schachbrettern habe man da gespielt.

    Früher, das war eine chic, Schwimmen gehen. Aber jetzt schon sehr teuer, aber viele Leute können das nicht machen wir die alten Leute, wir können das machen. Aber die Jungen ist wenig schon. Früher ich habe gearbeitet von nicht so weit. Früher ging ich in den Betrieb, ins Büro und ich komme schwimmen, halbe Stunde, Stunde schwimmen, dann gehe ich in mein Büro. Das haben gemacht viele Leute. Jetzt niemand macht das.

    2000 Forint - umgerechnet acht Euro - kostet jetzt der Eintritt ins Széchenyi-Bad. Bei einem Durchschnittslohn von 400 Euro im Monat können sich das viele nicht mehr leisten. Peter Adler kann, genauso wie Sabi Matä, der in der Schweiz und in Deutschland gut verdient hat, wie er erklärt. Dann wenden sich die beiden wieder ihrem Spiel zu. Das Trinkgeld an der Garderobe werden sie sicher nicht vergessen.

    Im 19. Jahrhundert wies Robert Koch erstmals den Zusammenhang zwischen einem lebenden Mikroorganismus und einer Infektionskrankheit nach. Neben dem Milzbrandbazillus und dem Tuberkuloseerreger wurden im ausgehenden 19. Jahrhundert auch noch der Pesterreger erkannt, alles Entdeckungen die für ein bisschen Pflege und Körperhygiene sprachen und so wurde das Baden wieder beliebter als das Pudern. Doch Sauberkeit war beim Bade ebenso wichtig wie Müßiggang und Erholung. Baden wurde auch zum gesellschaftlichen Ereignis und dabei gelten auch immer bestimmte Regeln und Rituale, der ungarische Schriftsteller Sándor Márai erklärt worauf es ankommt beim Bade in Budapest:

    Sándor Márai: Über das Baden

    Gehe, wann immer es dir möglich ist, wöchentlich zwei-, dreimal, in eines der öffentlichen Thermalbäder– doch niemals indem du dir dafür die Zeit von der Arbeit stiehlst und mit schlechtem Gewissen, in Hast handelst! Das Baden ist ein sehr alter Brauch der Menschheit, es trainiert und erfrischt nicht nur den Körper, sondern auch die Seele. Bade gemächlich, den Gesetzen deines Körpers gehorchend, mit Bedacht und nimm dir Zeit. Das Heilwasser durchströmt den Körper und belebt die Seele, es beruhigt die von der Arbeit und der Welt geschundenen Nerven. Thermalbäder sind so eine Art feuchte Klöster, wo du Körper und Geist ungestört einer schlichten, großzügigen Entspannung überlassen kannst. Heilwasser mit Schwefel- oder Eisengehalt wirkt durch die Poren der Haut auf die inneren Organe und das Nervensystem; die Atmosphäre im Bad mit ihren Wasserdampfschleiern befreit uns von den billigen Abbildern der Welt da draußen.

    Ein Ausläufer des Transdanubischen Mittelgebirges ist der Berg Buda. Das ganze Gebirge hat in den letzten 200 Millionen Jahren viel mitgemacht, die Erschütterung der Erde schüttelten und rissen an den mächtigen Kalkstein- und Dolomit-Schichten. In den Spalten und Hohlräumen sammelte sich das Wasser - das so genanntes Karstwasser- und zwar soviel wie nirgendwo sonst in Europa: Budapest verfügt über mehr als 120 Thermalquellen. Sie sind von unterschiedlicher Qualität. Viele liefern einfach nur warmes Karstwasser, in dem sich der Kalk aus der Erde gelöst hat. Andere Quellen bringen aus tiefen Sedimentschichten Schwefel, Radon oder Jod mit. Das Baden in solchem Thermalwasser dient nicht nur dem Vergnügen, sondern auch der Gesundheit. Haut und Knochen, Rheuma und Kalkmangel - all das sollen die warme Wasser vertreiben.
    Einige Thermalwasser kommen von sehr weit her, zum Beispiel für das Széchenyi-Bad auf der Pester Seite hier wird das Wasser aus über 1000 Meter Tiefe hochgepumpt. Auf der anderen Seite der Donau im Stadtteil Buda, sprudeln die Quellen dagegen direkt aus der Erde.

    Mit der Straßenbahnlinien 4 und 6 kommen die Badefreunde von der Pester Seite über die Margareten-Brücke nach Buda. Einige hundert Meter flußaufwärts der Brücke liegt das Lukács-Bad. Am Ende des 19 Jahrhundert gebaut, galt es lange als Treffpunkt für Künstler und Schriftsteller. Dort beginnt unsere Reise zu den Quellen.


    Letzte Vorbereitungen für einen Tauchgang. Szabolcs Storosinski zwängt sich in seinen Neoprenanzug und sucht seine Ausrüstung zusammen. Er steht in einem kleinen Raum im Keller des Lukács-Bades. Es riecht nach Gummi und Schweiß. Auf dem Boden liegen aneinandergereiht Sauerstoffflaschen – die noch gefüllt werden müssen.
    Szabolcs Storosinski ist Mitte 30. Seine Muskelpakete haben kaum Platz unter dem engen Tauchanzug.

    Trotzdem hat er Mühe, das 70 Kilo schwere Paar Sauerstoffflaschen auf den Tisch zu wuchten. Mit Schweißperlen auf der Stirn erklärt er, was er heute vorhat.

    Wir wollen heute an unserer Karte weiterzeichnen. Dafür habe ich hier mein Zentimetermaß, dieses Navigationsgerät, das mir die Richtung anzeigt und ein kleines Täfelchen, mit dem wir uns schriftlich unter Wasser verständigen können.

    Szabolcs ist gemeinsam mit einem Kollegen in wissenschaftlicher Mission unterwegs. Sie erforschen die ergiebigste Quelle des Lukács-Bades und das Höhlensystem, durch das das 30 Grad warme Thermalwasser an die Oberfläche drückt. Hier im Keller des Lukács-Bades haben sie ihre Operationsbasis: Die Kleiderkammer mit der Ausrüstung und einen kleinen Aufenthaltsraum. Dort zeigt Sándor Kolinovics auf eine Karte an der Wand. Der erforschte Teil der Höhle. Die Zeichnung erinnert in ihren Verzweigungen an die feinen Äste eines kahlen Baums.

    Auf dieser Karte sind 3,5 Kilometer der Unterwasserhöhle verzeichnet. Vermessen haben wir mittlerweile vier Kilometer. Aber die Höhle selbst ist viel länger.

    Seit beinahe 30 Jahren erforscht Sándor Kolinovics die Quellhöhle des Lukács-Bades. In dieses Hobby steckt der Geologe jede Minute seiner Freizeit. Und natürlich er weiß auch, warum Budapest soviel heißes Wasser hat. Es ist eine geologische Besonderheit, die Sándor Kolinovics mit Hilfe einer kleinen Skizze erklärt.

    Dies ist die ungarische Ebene östlich von Budapest. Sie besteht aus mehreren Schichten Kalk, die heißes Wasser führen und Tonschichen, die kein Wasser durchlassen. Das heiße Wasser unterirdisch nach Westen, denn Schichten haben ein Gefälle in Richtung Budapest. Hier auf der Budaer Seite der Donau gibt es einen Bruch, eine geologische Verwerfung. Eine Sperre für das Wasser, das nicht weiter fließen kann und an die Oberfläche gedrückt wird. Und unsere Höhle ist entstanden, weil das Wasser den Kalkstein der Budaer Berge ausgewaschen hat.

    Jeden Forint, den er übrig hat, steckt Sándor Kolinovics in die Höhlenforschung. Er ist der Kopf der Gruppe und er freut sich, dass seine Kollegen mitziehen.

    Das ist eine kleine Gruppe, 10 Leute, die wirklich zusammenhält. Viele wollten sich uns schon anschließen. Doch die sind nur ein paar Monate geblieben, ihre Familien haben das nicht mitgemacht. Aber Gott sei Dank verstehen sich unsere Familien auch gut. Wir machen gemeinsam Ausflüge. Neulich haben wir eine Hochzeit gefeiert. Es ist wirklich ein Geschenk zu solch einer Gruppe zu gehören.

    Dann holt Sándor Kolinovics ein Foto hervor. Es zeigt eine Entdeckung, die er und seine Freunde in der Thermalhöhle gemacht haben. Das Bild zeigt einen Taucher, der bis zu den Knien im Wasser steht und sich in einer Felsengrotte umschaut.

    Es ist soweit wir wissen die größte Felsenhalle mit Thermalwasser überhaupt. Der Raum hat etwa 300 Quadratmeter. 27 Grad ist die Luft warm. Das keine Atemluft, sie kommt mit dem Wasser aus der Tiefe und hat einen Kohlendioxidanteil von sechs Prozent.

    Für Sándor Kolinovics ist diese unterirdische Halle eine geologische Sensation und ihn reut es ein wenig, dass der diese Entdeckung in Ungarn machen musste.

    Also wenn diese Höhle in Amerika wäre, in einem halben Jahr würden die da einen Zugang bauen und Touristen könnten sich das anschauen. Es wäre eine touristische Attraktion, mit der man Geld verdienen könnte.

    Mittlerweile sind Szabolcs und sein Kollege startklar. Die beiden Taucher verlassen ihr Lager über eine kleine Metalltreppe. Vom Keller überqueren sie mit ihrer 70-Kilo-Ausrüstung auf dem Rücken erst den Hof des Bades...

    ...dann die Straße und erreichen nach hundert Metern ein Metalltor

    Links ein kleiner Teich mit Seerosen. Das Wasser schimmert dunkelgrün und ein leichter Schwefelgeruch steigt auf. Auch der Teich wird von den Thermalquellen gespeist. Dahinter ein Schacht, der mit einem eisernen Rolltor versperrt ist. Der Einstieg zur Höhle.

    In dreieinhalb bis vier Stunden sind wir wieder zurück.

    Ein paar Schritte weiter, noch immer auf dem Gelände der Höhle. Sándor Kolinovics läuft durch die Ruine eines alten türkischen Bades, das einmal zum Lukács-Bad gehörte. Unter der Kuppel ist das Badebecken noch gut zu erkennen. Die Ruine grenzt direkt an eine Felswand, hinter der sich die Höhle verbirgt. Die Wand reicht hinauf zum Rosenhügel, dem exklusivsten Wohnviertel der Stadt. Direkt an der Felskante ein Rohbau aus Beton. Hier soll ein exklusives Hotel entstehen. Sándor Kolinovics erklärt, dass es auch wegen der Höhle ein idealer Standort ist.

    Die Höhe liegt gerade unter einem Hotel. Vielleicht könnte man einen Fahrstuhl bauen und herunter fahren. Eine andere Idee wäre ein Rekreationszentrum. Man könnte die Kaverne öffnen und einen klimatischen Raum für Anwendungen bauen, vielleicht für Allergiker. Doch es fehlt der richtige Investor.

    Der fehlte offenbar auch schon für das Hotel. Der Rohbau steht dort schon seit Jahren, ohne dass sich etwas bewegt.

    Ende der 80ger Anfang der 90ger Jahre erlitt Ungarn eine dramatische Wirtschaftkrise. Mit der Wende im Jahr 1989 brach das stalinistische System zusammen; die Industrieproduktion ging zwischen 89 und 92 um ein Drittel zurück in der Landwirtschaft kam es zu einem ähnlichen Einbruch. Mehr als eine Million Arbeitsplätze gingen verloren. Mit der schnell eingeführten Marktwirtschaft ging auch der Ausverkauf der ungarischen Wirtschaft an westliche Konzerne einher. Einige wenige wurden in den Jahren sehr schnell sehr reich, sehr viele andere hatten plötzlich kaum noch ein Auskommen.
    Budapest ist eine der wenigen Städte in den neuen EU-Staaten, in der selbst die Wasserversorgung und die Abwasserentsorgung privatisiert wurden. Die Bäder werden aber immer noch von der Stadt verwaltet. Doch auch hier kämpft man mit den Folgen der Privatisierungen.


    Drei Brücken Donau abwärts, direkt an der Freiheitsbrücke liegt oben auf dem Berg das Gellért Bad. Hier wird im reinsten Jugendstil gebadet. Das prächtige Haus öffnet 1918 seine Pforten und gilt als schönster Badetempel von Budapest:

    3. Beitrag : Stillstand und Verfall

    Der Eingang des Gellértbades. Eine Halle, gut 70 Metern lang. Durch die Deckenfenster dringt das Sonnenlicht. Rechts und links schließt sich ein Säulengang an. Der Stuck zeigt stilisierte Pflanzenmotive. Auf dem Boden ein Mosaik mit geometrischen Figuren. In der achteckigen Kuppel, in der Mitte der Halle sitzt Lóránt Balás, der Direktor des Bades. Im weißen Kittel, wie alle Angestellten. Er ist Mitte bis Ende 50, Wasserbauingenieur und präsentiert zunächst stolz sein Bad. Er lässt keinen Zweifel daran, dass es das schönste in Budapest ist. Nach einer Weile allerdings wirkt seine Stimme ein wenig wehmütig.

    Ich habe mein 13. Jahr als Direktor begonnen und leider gab es in meinem Leben in diesen 13 Jahren nicht viele Veränderungen.

    Erst nach einigem Nachfragen, wird klar, dass er mit dem Leben das Bad meint, in dem sich so wenig verändert hat. Um das zu zeigen, lädt er zu einem Rundgang ein. Der führt zunächst in den hinteren Teil der Eingangshalle - zum Thermalbad für Männer. Das dunkle Holz der Umkleidekabinen wirkt noch immer gediegen, auch es schon ziemlich zerkratzt ist. Es ist warm und trocken. An einem Tisch am Eingang sitzen zwei Angestellte vor einem Stapel weißer Leinenläppchen. Lóránt Balás nimmt eines davon und hält es in die Luft.

    Das ist der letzte Platz der Welt, an dem der türkische Epron benutzt wird.

    Der Epron hat etwa die Größe eines Geschirrhandtuchs und zwei Bensel um ihn um die Lenden zu schnüren. Er dient zur Verdeckung der Scham, auch wenn das Thermalbad nach Geschlechtern getrennt ist.

    Der Direktor geht weiter in das Thermalbad. Rechts und Links ein geschwungenen Becken. Die Handläufe sind aus glänzendem Messing. Auf dem Boden zeigt ein Mosaik zwei große stilisierte Blüten. Auch Decke und Wände sind üppig verziert. Lóránt Balás allerdings geht direkt auf die Schwachstellen zu.

    Das berühmte Thermalbad für Männer. Hier ist alles original, aber zu alt, die Keramik, der Stahl.

    Am Kopfende des Bades, bei den Duschen zeigt der Direktor auf die kleinen Kacheln mit ihren unterschiedlichen Blautönen.

    Sehen sie die Dusche, die neuen Kacheln sind nicht die gleichen, wie im Original. Im nächsten Schritt müssen wir sie originalgetreu ersetzten.

    Hier der Massageraum. Ist nicht elegant genug. Nicht komfortabel, den müssen wir auch erneuern

    Die Dampfkammer auch nicht elegant genug.

    Zurück in der Eingangshalle. Der Direkter will das komplette Bild über sein Bad liefern und steuert den Keller an.


    Wo die Gäste hinkommen ist alles noch recht schön, aber man muss unter die Erde gehen, um die wirkliche Misere zu sehen.

    Mit dem Holzaufzug geht es aus der Eingangshalle ins Untergeschoss.

    Das ist ein Kessel von 1916 der müsste längst erneuert werden.

    Hier dieses Absperrventil für das Quellwasser. Das muss man von Hand bedienen. Um das Wasser aus der Quelle zu regulieren müssen an 15 Stellen im Bad Ventile gestellt werden. Eigentlich sollte das automatisch von einer Stelle aus zu bedienen sein.

    Wie viel Geld für eine gründliche Renovierung des Gellért nötig wäre, Lóránt Balás kann es nicht sagen. Er hat allerdings den Eindruck, dass sein Bad, obwohl es das Flagschiff unter den Budapester Bädern ist, nicht das Geld bekommt, das es verdient. Die Verantwortlichen für dieses Desaster sitzen ein paar Kilometer Donau aufwärts auf der Pester Seite in einem flachen schmucklosen Verwaltungsbau.

    Die Verwaltungszentrale der Budapester Bäder. Tibor Rák ist Ende 30, trägt schwarzen Anzug und schwarzen Rollkragenpullover. In der Bäderverwaltung ist er zuständig für Renovierungen und das Marketing. Wie kaum ein anderer kennt er den maroden Zustand der Bäder. Dass die Verwaltung nichts tut, will er nicht auf sich sitzen lassen

    Während des Kommunismus haben wir nicht viel Geld für Renovierung gehabt. Aber mittlerweile haben wir schon 6 bis 7 Mrd Forint oder 25 bis 30 Millionen Euro in die Bäder gesteckt. Im Széchenyi-Bad haben wir schon einiges erneuert. Jetzt ist das Rudas dran, dann kommt das Gellért an.

    Er will die Bäder attraktiver machen für Besucher aus dem Westen. Dafür muss er den Standard heben. Um zu zeigen was er meint, holt er die die Pläne für das Rudas-Bad hervor, das derzeit renoviert wird.

    Hier sehen Sie unsere Pläne für das Rudas-Bad. Das wollen wir komplett renovieren. Der Eingangsbereich wird modernisiert. Hier in den Nebenräumen wollen wir Wellness-Einrichtungen einzubauen. Aber insgesamt wollen wir die alte Substanz erhalten.

    Doch für die Arbeiten fehlt das Geld. Schon der Umbau des Rudas-Bades verzögert sich. Tibor Rák erklärt das Problem: Die Bäder können mit ihren Einnahmen gerade so für den eigenen Betrieb aufkommen. Für die Renovierung sind sie aber auf staatliche Zuschüsse angewiesen. Tibor Rák glaubt, dass die Bäderverwaltung auch die Investitionen selbst finanzieren könnte, wenn sie nur die gleichen Kompetenzen wie früher hätte. Doch eine wichtige Aufgabe hat die Stadt ihrer Bäderverwaltung vor einiger Zeit genommen – den Verkauf des Mineralwassers.

    Früher war das alles unter einem Dach. Jetzt fehlen uns die Möglichkeiten, aus dem Verkauf von Wasser Einnahmen zu erzielen. Wir dürften das Wasser nur lose verkaufen, das Recht Budapester Mineralwasser in Flaschen abzufüllen hat die Stadt an Pepsi-Cola verkauft.

    Ob das eine weise Entscheidung war, Tibor Rák will es nicht kommentieren. Für seine Bäder jedenfalls, so sagt er, hat sich bisher kein Investor gemeldet.

    Sollten die Spartanischen deine Badegewohnheit gering schätzen, kümmere dich nicht darum und bedenke: Sparta hat nicht einen einzigen selbständig Denkenden hervorgebracht und ist - wie dem auch sei - letztendlich untergegangen. Bade mit ruhigem Gewissen. Bade mit Methode, wechsle zwischen heißen, lauwarmen und auch kalten Becken und Duschen, überlasse deinen Körper den Fäusten handfertiger Masseure, bleibe lange im warmen Wasser, erdulde, dass man dir den Kopf mit einem feuchtkalten Turban umwickelt, übergib Körper und Seele der Ruhe des warmen Wassers, der wohltemperierten Stille, gib dich den Gedanken hin, übe die Geduld des Wassers, ruhe aus. Nicht einmal im Schoße von Huris kann man so gut entspannen, wie im warmen Wasser eines Heilbades. Und bleibe niemals länger als zwei bis drei Minuten in der aufgeheizten Dampfkammer. Und gib dem Personal ein beachtliches Trinkgeld. Und wisse, dass du sterblich bist, jedoch bis dahin deinem Körper etwas schuldest; zum Beispiel den Besuch im Thermalbad, wöchentlich zwei-, höchstens dreimal.

    Dass Budapest Bäder ihren laufenden Betrieb überhaupt mit den Einnahmen decken können, hat seinen Preis: Der Eintritt kostet umgerechnet zwischen 5 und 8 Euro, das kann sich kaum ein Ungar leisten, denn das durchschnittliche Einkommen liegt bei rund 400 Euro. Allerdings besteht die Möglichkeit zwei Mal im Jahr eine Bäder-Kur auf Rezept zu bekommen. Dann kostet der Eintritt nur noch ein Euro fünfzig. Doch für einige ist auch das noch zu teuer. Ihnen würde es ohnehin schon völlig ausreichen, wenn sie eine vernünftige Waschgelegenheit hätten. Die Zeiten, in denen viele Wohnungen kein eigenes Bad hatten, sind zwar vorbei, doch dafür ist die Zahl der Obdachlosen in den vergangen 15 Jahren rapide gestiegen.

    In Budapest leben laut Schätzungen 20. 000 Menschen auf der Straße. Das sind drei Mal so viel wie in Berlin, nur das Budapest gerade man halb so groß ist wie die deutsche Hauptstadt. Auf der Straße landet man unter Umständen sehr schnell, denn als Mieter ist man fast schutzlos – kommt jemand daher, der mehr für die gemietete Wohnung zahlt, muss die Wohnung sofort geräumt werden. Auch wer zu Zeiten des Stalinismus günstig eine Wohnung kaufen konnte, kann sich den teuren Unterhalt heute häufig nicht mehr leisten.


    4. Beitrag: Tante Panni

    Budapest VI. Bezirk. Eine kleine Straße in der Nähe des Nyugati Bahnhof. Keine gute Wohngegend, aber auch nicht wirklich schlecht. Die Andrássy Straße., die Prachtstraße auf der Pester Seite, ist nur drei Blocks entfernt. Trotzdem bröckelt der Putz von den Häusern. Dort wo einst Balkone waren, ragen verrostete Stahlträger aus der Wand. Es ist grau und staubig. Ein Geruch von Braunkohle liegt über der Straße. Das Viertel von Tante Panni .

    Im Februar werde ich 76.

    Tante Panni, ihr wirklicher Namen soll nicht ins Radio, trägt Jogginghose, einen schäbigen Mantel und einen Filzhut. Sie kann nur schwer Laufen, zieht ein Bein nach. Der linke Fuß ist um den Knöchel stark geschwollen. Eine Verletzung, die sie noch aus den Bombennächten des zweiten Weltkriegs hat.

    Es ist Donnerstag 10:00 und Tante Panni ist auf dem Weg zu ihrem Badetermin. Zwei Straßen von ihrem Haus entfernt in der Bajnok Straße hat die Heilsarmee vor 10 Jahren ein Gemeindehaus gebaut. Das Gebäude sticht mit seiner goldgelben Fassade aus dem sonst graubraunen Fassaden in der Straße.

    Im Haus der Heilsarmee angekommen, quält sie sich Schritt für Schritt die Treppe hinunter in den Keller zu den Duschen.

    Nach dem beschwerlichen Weg, macht Tante Panni erst einmal ein Päuschen auf dem Treppenabsatz und unterhält sich ein wenig mit Evá Ungvarski. Die Angestellte der Heilsarmee führt heute bei den Duschen die Aufsicht.

    Zwei Mal die Woche können Obdachlose zur Heilsarmee in der Bajnok Straße zum Duschen kommen. Tante Panni kommt, obwohl sie gar nicht obdachlos ist. Zum Beweis zeigt sie ihren dicken Schlüsselbund.

    Ich habe eine Wohnung mit Boiler und Warmwasser, aber es ist mir zu teuer, sie zu benutzen, ich kann es mir nicht leisten. Deshalb komme ich hierher, hier gibt es doch alles Shampoo, Handtücher.

    In einen Plastikbecher füllt Evá Ungvarski ein wenig Seife ab und gibt Tante Panni ein Handtuch. Ein willkommenes Geschenk. 47.000 Forint Witwenrente erhält sie im Monat. Das sind knapp 200 Euro und entspricht etwa einer durchschnittlichen Rente in Ungarn. Und Tante Panni hat es dabei noch gut. Denn Miete muss sie keine bezahlen, aber

    Die Zentralheizung, die kann man nicht abstellen. Das sind alleine 10.000 Forint im Monat.

    Oder gut 40 Euro. Mit den restlichen 160 Euro muss sie sehen, wie sie über die Runden kommt. Manchmal isst sie einfach nur Brot und trinkt Tee - bis sie satt ist. Die Heilbäder in Budapest kann sie sich ebenfalls nicht leisten. Nicht einmal dann, wenn der Besuch vom Arzt verordnet wird.

    Da muss man dann zuzahlen und das ist einfach zu teuer.

    Die Duschen bei der Heilsarmee sind gut ausgestattet: Einzelkabinen mit Waschbecken und Toilette. Kein großer Duschsaal, in dem sich die Obdachlosen Schulter an Schulter vom Dreck der Straßen reinigen. Trotz der Luxusausstattung bei der Heilsarmee ist heute nicht viel Betrieb. Gerade einmal drei Männer und Tante Panni kommen an diesem Vormittag zum Duschen. Denn das Haus der Heilsarmee ist längst nicht mehr so beliebt.

    Früher gab es immer etwas zu essen und auch Tee. Aber seit die Schweizer weg sind, gibt es gar nichts mehr.

    Bis vor ein paar Monaten hat ein Schweizer Ehepaar das Heilsarmeehaus in der Bajnok Straße geleitet und daraus ein Gemeindezentrum für Obdachlose gemacht. mit eigener Küche, Essensausgabe und Gottesdienst am Sonntag. Auch Tante Panni ist häufig zum Essen gekommen, wenn das Geld am Ende des Monats nicht reichte. Jetzt leitet ein ungarisches Ehepaar das Haus und die wollen zum Leidwesen von Tante Panni eher das Evangelium verkünden, statt hungrige Mägen füllen.

    So geht Tante Panni sauber aber hungrig zurück nach Hause. Ihre Wohnung ist im Erdgeschoss im Hinterhof eines Altbaus.

    Das ist meine Wohnung etwa 52 qm. Das war eine Dienstwohnung, mein Mann war bei der Armee und hat viele Auszeichnungen bekommen. Als er starb, konnte ich die Wohnung kaufen.

    Billig hat die Stadt damals die Wohnungen abgegeben, damit sie sich nicht um den Unterhalt kümmern muss. Mittlerweile ist sogar der Hof frisch gestrichen. Aber neben ihrer Wohnungstür liegt ein Berg mit Schutt, den der Bauunternehmer einfach nicht abgeholt hat.

    Das schwarz-weiß gecheckte Kätzchen ist der einzige Luxus in ihrem Leben. Die Katze bekommt nur das beste Futter. Lieber stellt sie sich mit den Obdachlosen fürs Essen an, als dass die Katze darben muss.

    Früher, erzählt sie, als ihr Mann noch lebte, konnten sie sich einiges leisten. Er war Soldat und Fahrer für die Fußballmannschaft der Armee. Ein erfolgreiches Team das deshalb oft ins westliche Ausland fahren durfte.

    Am Besten war es als er mit der Fußballmannschaft ins Ausland gefahren ist, dann hat man viel Stoff gekriegt, wenn die Mannschaft gewonnen hat, noch mehr einkaufen können.

    Zigaretten, Schnaps und Kaffee – westliche Ware, die im kommunistischen Ungarn kaum zu bekommen war. Der Luxus hatten seinen Preis: Hinter vorgehaltener Hand erzählt sie, dass ihr Mann auf den Auslandsreisen seine Kameraden für den Geheimdienst ausspionieren musste. Vielleicht schweigt sie auch deshalb erst einmal auf die Frage, wann sie denn besser gelebt hat. Sie krault ein wenig ihr Kätzchen und antwortet schließlich.

    Jetzt ist es gut und bei Kadar war es gut. Wissen sie, mein Mann war bei der Armee und die Armee gibt es immer.

    Baden ist in Budapest nicht nur Sport oder Schachspiel - nicht nur warm oder kalt - es ist natürlich auch ein gesellschaftliches Ereignis, sehen und gesehen werden, beobachten und vergleichen fällt auch dem Schriftsteller Franz Fühmann in der Badehose leichter als auf der Straße:

    Franz Fühmann – 22 Tage oder die Hälfte des Lebens

    Ein wohlbeleibter Sechziger, vielleicht noch dicker als ich, in blauweiß gestreifter knielanger Leinenbadehose, zelebriert das Einsteigen ins Becken (kalt) als Ritual. Auf den flachen Stufen zum Bassingrund sitzend, schöpft er in die Schüssel der Handteller Wasser, schüttet es über Knie und Waden, schaut fröhlich zu, wie es rinnt und tropft und im Triefen funkelt, begießt dann die Brust und den Wulst um den Nabel und schaukelt sich auf Händen und Füßen Zoll um Zoll in die Fluten hinunter, Lust breit überm braunen Gesicht und stoßweise stöhnend.; noch wölbt sich der Bauch, da die Brust versinkt, nun tauchen die Schulten ein, der Hals, der Hinterkopf, und schon die Ohren, und im Tauchen geschmeidig wendend, stößt er sich ab und schwimmt hinaus.

    Nach der Wende kam die Marktwirtschaft und mit ihr kamen viele Ausländer aus dem Westen. Nicht nur in den Bäder räkeln sich mittlerweile mehr Touristen als Ungarn Das gleiche gilt auch für die traditionellen Kaffeehäuser, früher der Treffpunkt für Schriftsteller und Intellektuelle. Einige Zeitungen verlegten ihre Redaktionsräume gleich ins Cafehaus, dort waren alle am Puls der Zeit und die Zeit konnte man sich nebenbei mit preiswerten und gar köstlichen Kuchen versüßen. Der Schokoladenkuchen ist immer noch köstlich, aber bezahlen werden ihn heute Touristen und keine Literaten!

    Die Bäder teilen das Schicksal der Kaffeehäuser: sie sind teuer geworden und werden von vielen Touristen besucht und wenigen Budapestern. Doch diese Tendenz hat sich im Lukács- Bad nicht durchgesetzt, hier ist noch vieles beim Alten.


    5. Beitrag: Der Netzwerker

    Acht Uhr morgens am Eingang des Lukács-Bads. An der Kasse drängen sich schon jetzt die Badegäste. Es sind vor allem Rentner, die zu ihren Kuranwendungen kommen. In der Schlange steht auch Steven Carlson, der einzige, der an diesem Morgen das 60. Lebensjahr noch nicht überschritten hat.

    Eine Eintrittskarten und ein Glas Wasser bitte.

    Steven Carlson ist Amerikaner, er lebt seit über 15 Jahren in Budapest und ist Stammgast in den Bädern. Als Student ist er 1988 hierher gekommen. Hat die Wende und die Einführung des Kapitalismus erlebt.

    Vor dem Bad noch ein Krug Thermalwasser, lauwarm mit leichtem Schwefelgeschmack. Das Lukács ist eigentlich nicht sein Stammbad. Er geht normalerweise einmal die Woche ins Rudas-Bad, das etwas flussabwärts am Budaer Donauufer liegt. Doch das ist wegen Renovierung geschlossen. Budapest ohne zu baden ist für ihn nicht vorstellbar. Die Bäder waren schon immer sein ganz persönlicher Schlüssel zur ungarischen Kultur.

    Im Bad habe ich mein erstes Ungarisch gelernt, indem ich von den Schildern gelesen habe. "Bitte Badeschlappen zurückbringen", "Maximale Verweildauer 15 Minuten.

    Vom Trinkhaus geht es durch den Hof zum Eingang des Bades.

    Es gibt überall diese Apparate, mit denen jetzt der Einlass kontrolliert wird, alles schön automatisch. Aber trotzdem sitzt noch ein Mensch daneben und hilft dir sie zu bedienen. Also Personal sparen sie so nicht.

    Die Heilbäder als Seismograph, wie weit es Ungarn auf dem Weg in die Marktwirtschaft gebracht hat. Steven Carlson sucht nach solchen Zeichen.

    Von der Umkleide geht es durch einen langen Gang ins Thermalbad. Vor der Tür ein Schild: Rasieren und spitze Gegenstände verboten. Im Bad ist es dämpfig und laut. Es gibt vier Becken mit verschiedenen Temperaturen und Größe, alle in einem Winkel des Raumes versteckt. Von der Decke tropft Kondenswasser. An den Rohrleitungen blühen Mineralien aus. An den Wänden, direkt neben den Becken sind die Duschen. Mehrere Türen ohne Hinweis, führen in einen Dampfraum und die Trockensauna. Dort lesen einige Badegäste Zeitung. Die Stimmung, erklärt Steven Carlson, erinnert ihn an die kommunistische Vergangenheit des Landes.

    Man sieht, wie die Leute uns schon etwas verdächtig anschauen. Das ist hier eine Art Geheimgesellschaft von Leuten, die sich seit 20 Jahren kennen. Und die Akustik schafft eine Form von Privatheit, niemand kann ein Gespräch belauschen. Selbst Politiker kommen regelmäßig hierher um sich zu besprechen.

    Ich fange gerne mit heiß an und gehe von heiß nach kalt. Das ist alles was für mich wichtig ist.

    Draußen am Kiosk genießt er nach dem Bad einen Apfelstrudel und einen Cafe.

    Dann im Taxi zur Arbeit. Steven Carlson ist im Hauptberuf Marketingberater für ein Unternehmen, das Software fürs Internet entwickelt und es versteht sich fast von selbst, dass er auch die Bäder zu einem Internetthema gemacht hat.

    Die Ottomanische Gesellschaft, na ja, das ist nicht viel mehr als eine Newsgroup. Aber es ist so etwas wie eine Institution geworden. Ein Treffpunkt für Bäderbegeiserte Wir sind fast alle Ausländer und die meisten leben nicht mehr in Budapest. Aber wer immer Samstag in der Stadt ist, der kann sicher sein, uns im Rudas-Bad zu treffen.

    Eine Viertelstunde später sitzt Steven Carlson an seinem Arbeitsplatz. Eine Büroetage in einem schäbigen Industriegebiet im Nordosten von Budapest. Ein Großraumbüro mit einem Duzend Schreibtischen.

    Mit seiner ungarischen Kollegin geht er Kundenanfragen durch. Diese ungarische Firma ist 100 Prozent in der Marktwirtschaft angekommen. Das Unternehmen hat 15 Mitarbeiter. Sie haben eine Software entwickelt, die das Verhalten von Internetnutzern analysiert. Neben Steven Carlson leistet die Firma sich noch zwei weitere Experten aus Westeuropa fürs Marketing.

    Das Produkt verkauft sich eigentlich von selbst, ich die beiden sind nur hier, um es ein wenig aufzupolieren.

    Der Eigentümer ist Ungar, 25 Jahre. Seit drei Jahre führt er die Firma, macht mittlerweile eine Million Euro Umsatz, vor allem in den USA und Westeuropa.

    Am Abend dann noch ein weiterer Termin des umtriebigen Steven Carlson. Das Cafe Gerbaud, eine der feinsten Adressen in der Pester Innenstadt. In der Bar im Keller des Cafe Gerbaud trifft sich an diesem Abend der First Tuesday. First Tuesday, der erste Dienstag im Monat, das war während des Internet-Booms Ende der 90er Jahre der Tag, an dem in fast jeder Stadt eine Geschäftsbörse rund ums Internet stattfand. Der First Tuesday in Budapest hat jetzt einen anderen Schwerpunkt.

    Den Vortrag hält Steve Carlson, er ist der Gründer des First Tuesday in Budapest. Nach dem Internet-Hype sieht er im EU-Hype das neue Geschäft.

    Es scheint, dass die neue Party die EU ist, die dann hoffentlich ein wenig rationaler abläuft.

    Steven Carlson ist ein professioneller Netzwerker und ein guter Selbstvermarkter. Sein neues Ziel: ungarische Kleinunternehmen mit Partnern aus den anderen Beitrittsstaaten zusammenbringen, damit die sich gemeinsam auf EU-Projekte bewerben. Er selbst weiß, wie das neue System funktioniert. First Tuesday in Budapest wird gemeinsam mit First Tuesday in Bratislava und Brünn als Kontaktbörse bereits von der EU finanziert. Wissen es die Ungarn schon?

    Sie lernen schnell. Das Problem mit Ungarn im Allgemeinen ist, dass es hier an Vertrauen fehlt. Wo ich herkomme, vertrauen sich die Leute mehr. Diese höhere Schwelle versuche ich abzubauen. Das ist es was ich mache.