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Baden-Württemberg
Debatte über Homosexualität im Schulunterricht

Baden-Württemberg hat das Thema "sexuelle Vielfalt" in den Bildungsplan 2015 aufgenommen. Dies soll Toleranz gegenüber Homosexuellen vermitteln. Viele Eltern und Lehrer prangern nun das "Propagieren einer neuen Sexualmoral" an und sehen die "Werte des Grundgesetzes" in Gefahr.

Von Thomas Wagner | 07.01.2014
    "Wenn man die Liebesgedichte des Dichters Catull liest, aus dem ersten vorchristlichen Jahrhundert, dann gibt es Gedichte, wo er beschreibt, wie schön es ist, seine Freundin zu küssen. Aber es gibt genauso Liebesgedichte, da sagt er, wie schön es ist, seinen Freund Juventus zu küssen. Wir würden heute sagen: Catull war bisexuell. Aber in der Antike hat man sich über diesen Unterschied gar keinen Kopf zerbrochen."
    So Tilmann Bechtold-Hengelhaupt, Latein- und Ethiklehrer am Graf-Zeppelin-Gymnasium Friedrichshafen. Heute sorgt das Thema Homosexualität offenbar für erheblich mehr Kopfzerbrechen als vor knapp 2000 Jahren. Beispiel: die für 2015 angedachte Bildungsplanreform der baden-württembergischen Landesregierung. Darin soll das Thema "sexuelle Vielfalt" verankert werden. Vor allem geht es um Toleranz gegenüber Schwulen und Lesben; gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften sollen als gleichwertige Alternative zum Zusammenleben zwischen Frau und Mann im Unterricht dargestellt werden. Kaum wurde der Bildungsplan bekannt, ließ der Protest nicht lange auf sich warten: Mehrere Tausend Eltern und Lehrer wandten sich in einer Online-Petition gegen das Bildungsziel "sexuelle Vielfalt." Die Petition fordert unter anderem,
    "…den Erhalt des vertrauensvollen Verhältnisses zwischen Schule und Elternhaus und den sofortigen Stopp einer propagierenden neuen Sexualmoral, die Orientierung an den Werten unseres Grundgesetzes, das den Schutz von Ehe und Familie als demokratische Errungenschaft verteidigt."
    "Es muss einfach rein"
    Während sich die Petition gegen die geplante Verankerung von "sexueller Vielfalt" ausspricht, sehen das viele betroffene Schüler genau andersherum.
    "Zu der Idee, den Bildungsplan umzuschreiben - ich finde das fantastisch. Das war notwendig. Es ist notwendig. Es muss einfach rein. Es muss einfach klar sein, dass es das gibt. Und dass es ein wichtiger Teil des Lebens ist."
    Glaubt Jonathan Haßler, Schülersprecher am Graf-Zeppelin-Gymnasium Friedrichshafen. Und Luis Zehrer, zweiter Schülersprecher im Bund, bekräftigt diese Forderung mit dem Argument, das Thema Homosexualität werde im Unterricht gerne ausgespart.
    "Ich finde, wir haben noch in keinem Unterricht darüber gesprochen, dass es so etwas gibt, Homosexualität im Allgemeinen. Die Toleranz muss von früh an trainiert werden, sodass für jedes Kind, das aufwächst, klar wird, dass es Schwule gibt, dass es Lesben gibt, dass die normale Menschen sind, dass das etwas ganz Normales ist."
    "Noch nie eine eigene Unterrichtseinheit dazu gemacht"
    Homosexualität im Schulunterricht friste allenfalls ein Nischendasein - ein Argument, das Latein- und Ethiklehrer Tilmann Bechtold-Hengelhaupt so aber nicht stehen lassen will. Er verweist auf den Ethik-Unterricht.
    "Da war es immer schon ein Thema. Da hätte man schon ziemlich die Augen und Ohren zumachen müssen, um zu sagen, das wird nie behandelt. Also eine eigene Unterrichtseinheit zu dem Thema habe ich noch nie gemacht. Aber beim Thema Toleranz, beim Thema Gleichberechtigung - da kann es durchaus vorkommen. Oder Thema Liebe. Da, denke ich, wäre es ungewöhnlich, wenn das jemand ausspart."
    Während die Unterzeichner der Online-Petition bei ihrer ablehnenden Haltung bleiben, bekommt die baden-württembergische Landesregierung Rückenwind von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft. Aus Sicht der Landesvorsitzenden Doro Moritz besteht dringender Handlungsbedarf:
    "Das belegen auch Umfragen, dass zwei Drittel aller Schülerinnen und Schüler Homosexualität ablehnen. Insofern ist es wichtig, die Toleranz und Akzeptanz in der Schule zu stärken. ‚Voll schwul‘ ist ein Schimpfwort."
    "Das gemeinsame Gespräch suchen"
    Und mehr noch: Bis zum heutigen Tag müssten Schüler massive Diskriminierung fürchten, wenn sie sich als Lesben oder Schwule outen, glaubt Schülersprecher Luis Zehrer:
    "Angst haben sie meiner Meinung nach schon noch, von der Familie her. Sich da outen - das ist schwer für sie. Und unsere Gesellschaft hat noch nicht die Toleranz, die sie haben müsste, damit sich Homosexuelle problemlos outen können."
    Andreas Wagener, der am Graf-Zeppelin-Gymnasium Friedrichshafen Philosophie und katholische Religionslehre unterrichtet, sieht das ähnlich. Gerade deshalb eigne sich "Homosexualität im Schulunterricht" ganz und gar nicht als Streitthema.
    "Ich glaube auch, weil wenige Fälle in der Öffentlichkeit bekannt sind, die ersten Fälle einen schwierigen Stand hätten. Und deshalb wäre das gemeinsame Gespräch aller Beteiligten untereinander ohne vorgefertigte Meinungen und Haltungen wichtig am Anfang."