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Baden-Württemberg
Kritik und Zustimmung für Schulpolitik

Zweigliedriges Schulsystem, Inklusion, Ganztagsschulen: Im baden-württembergischen Schulsystem gibt es viele Baustellen; in den letzten vier Jahren hat sich so viel verändert wie davor in 40 Jahren nicht. Doch nicht alle Lehrkräfte sind mit den Änderungen zufrieden - Kultusminister Andreas Stoch stellte sich nun der Kritik.

Von Michael Brandt | 06.03.2015
    Öffentlich ist die Personalversammlung der Lehrer in Freiburg nicht, aber auch von draußen bekommt man mit, dass Kultusminister Andreas Stoch zu Beginn eine Rede hält, Applaus bekommt. Dann folgen Fragen aus der Lehrerschaft, im Tonfall eher kritisch, oft mit Applaus der Kollegen, dann die Antworten des Ministers, ausführliche Antworten, auch hier gelegentlich Applaus, aber seltener als bei den kritischen Fragen.
    "Präsentiert hat er sich gut, das kann er auch, da hört er auch zu."
    "Er hat eine sehr gute Rede gehalten."
    "Ich bin mehr oder wenige enttäuscht, also mir wär's in der anderen Richtung fast lieber."
    Natürlich ist es nur eine Personalversammlung, natürlich ist es nur ein Bruchteil der Lehrer in Baden-Württemberg, aber dennoch: Vier Jahre grün-roter Bildungspolitik sind vorbei, zwei Jahre davon unter Minister Andreas Stoch, der Anfang 2013 die glücklose Gabriele Warminski-Leitheusser ablöste, und bis zur Landtagswahl ist es noch ziemlich genau ein Jahr:
    "Es überwiegt von Anzahl der Probleme her das Negative, aber von der Gewichtung der Probleme das Positive," bilanziert Peter Fels, der örtliche Vorsitzende der Lehrergewerkschaft GEW. Das große Verdienst von Minister Stoch sei, sagt er, dass er die von Finanzminister und Ministerpräsident angekündigte Streichung von 11.400 Lehrerstellen verhindert habe.
    Deutlich kritischer ist Christoph Wolk vom Verband Bildung und Erziehung, dessen Dachverband der Beamtenbund nicht besonders gut auf die Landesregierung zu sprechen ist:
    "Für uns seitens des VBE ist wichtig, dass wir deutlich machen wollen: Es ist nicht ausreichend, ein Schulsystem zu variieren, sondern es müssen dafür auch die Finanzmittel, letztendlich Lehrerstellen, zur Verfügung gestellt werden."
    Abkehr vom dreigliedrigen Schulsystem: "Das ist das höchste Verdienst"
    Das Schulsystem variieren, - tatsächlich ist hier in Baden-Württemberg in den letzten vier Jahren mehr passiert, als in den 40 Jahren davor. Die Gemeinschaftsschule wurde eingeführt und ist dabei, die bisherigen Haupt- und Werkrealschulen abzulösen.
    Das wird von beiden Gewerkschaften und von vielen Lehrer begrüßt, aber natürlich gibt es auch Stimmen wie diese eines Lehrers einer Werkrealschule, die zu klein ist, um Gemeinschaftsschule zu werden:
    "Die Werkrealschulen werden mehr oder minder jetzt fallen gelassen und man weiß noch nicht, was mit der Schule und den Kollegen jetzt passieren wird. Das heißt, man sitzt im luftleeren Raum."
    Die größte Weichenstellung ist die vom dreigliedrigen zum zweigliedrigen Schulsystem, denn an den Gemeinschaftsschulen und an den Realschulen soll künftig sowohl der Haupt- wie auch der Realschulabschluss angeboten werden.
    Gut so, sagt ein anderer Lehrer, Grün-Rot hat eine längst überfällige Entscheidung getroffen und mit der Umsetzung begonnen:
    "Die Abkehr vom dreigliedrigen Schulsystem, das ist das höchste Verdienst, was diese Regierung hat und die muss unbedingt weitergeführt werden."
    Die Entscheidung, die Realschule weiterzuentwickeln, den Hauptschulabschluss zu anzubieten und gleichzeitig neue Lernformen einzuführen, ist erst einige Monate alt. Zurzeit beginnt die Weiterbildung für die Lehrer - aber genau das geht einigen viel zu schnell:
    "Eher unzufrieden als zufrieden, nicht weil das Konzept per se schlecht wäre, aber weil es im Hauruck-Verfahren eingeführt wird."
    "Normalerweise braucht so ein Prozess mindestens vier bis fünf Jahre, um das sauber vorzubereiten, Kollegen entsprechend vorzubereiten und nachher entsprechend umzusetzen."
    Zumal es in der Schulpolitik noch eine ganze Menge weitere Baustellen gibt. Die Einführung der Inklusion zum Beispiel, der Ausbau der Ganztagsschulen und der neue Bildungsplan, der unter dem Stichwort sexuelle Vielfalt vor einem Jahr für einen massiven Aufschrei gesorgt hatte. Immerhin bei diesem Punkt, stellt Kultusminister Stoch fest, haben sich die Wogen geglättet, in Freiburg war es, wie er nach der Versammlung berichtet, kein Thema:
    "Ich glaube, dass da wieder einiges ins Lot gekommen ist. Dass diese Diskussion auch wieder versachlicht wurde. Auch wenn es noch immer Leute gibt, die da versuchen von einer Sexualisierung der Schule sprechen. Darum ging es nie und darum wird es auch im Bildungsplan 2016 nie gehen."
    Schulpolitik bleibt Wahlkampfthema
    Dennoch: Man kann nicht sagen, dass die vier- bis fünfhundert Lehrer zufrieden aus der Personalversammlung gekommen sind. Dass sich Stoch bemüht, da stimmen alle zu; dass er die Veränderungen strukturierter angeht, als seine Amtsvorgängerin, - auch hier Übereinstimmung. Aber für einige bleibt die CDU auch nach über zwei Stunden Gespräch mit Andreas Stoch dennoch die bessere Alternative:
    "Sicherlich war in der alten Regierung auch nicht alles Gold, was geglänzt hat. An die Leute kam man nicht ran, die haben sich besser abgeschottet, aber es gab Pilotversuche, bevor man etwas Neues eingeführt hat."
    Aber immerhin, stellt der Kultusminister am Ende fest, die Stimmung in Versammlungen wie dieser in den vergangenen zwei Jahren hat sich deutlich verbessert. Die Tatsache, dass angesichts des Schülerrückgangs etwas passieren musste, ist angekommen.
    "Ich stelle fest, dass immer mehr auch deutlich wird, dass die Lehrer und die Eltern verstehen, warum bestimmte Veränderungen notwendig sind. Dass sie deswegen noch lange nicht alles gut finden, dass sie aber die Sinnhaftigkeit der Prozesse verstehen und dass sie vor allem auch verstehen, dass es kaum eine Alternative gibt."
    Was aber voraussichtlich nichts daran ändern wird, dass natürlich wieder die Schulpolitik in den kommenden zwölf Monaten ein großes Wahlkampfthema sein wird.