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Baden-württembergischer Bildungsplan
Kompromissbereitschaft klingt anders

In Stuttgart haben Gegner und Befürworter des neuen Bildungsplans der grün-roten Landesregierung auf Kundgebungen ihre Standpunkte deutlich gemacht. Die Gegensätze scheinen unüberbrückbar, trotz der Versuche von Ministerpräsident Winfried Kretschmann, die Wogen zu glätten.

Von Thomas Wagner |
    Zwei Befürworter der Aufwertung des Themas Homosexualität im Schulunterricht in Baden-Württemberg gehen über den Schlossplatz, in der Hand eine Regenbogenfahne.
    In Baden-Württemberg wird weiter heftig gestritten, wie das Thema Homosexualität künftig im Unterricht behandelt werden soll. (picture alliance / dpa / Sebastian Kahnert)
    "Wir sagen Nein zur Zwangserziehung und Umerziehung der Kinder. Wir sagen Nein, wir sagen Nein."Aufgeheizte Stimmung auf dem Stuttgarter Schlossplatz. Dort zeigt sich: Der Streit um den neuen Bildungsplan der grün-roten Landesregierung nimmt an Schärfe weiter zu - und das, obwohl Ministerpräsident Winfried Kretschmann vergangene Woche versucht hatte, die Wogen zu glätten. Über sexuelle Vielfalt im Unterricht zu reden, sei kein Versuch der staatlichen Umerziehung. Doch das nehmen ihm die Gegner an diesem Nachmittag nicht ab.
    Ganz anders dagegen die Aussagen gerade mal 400 Meter weiter, auf dem Marktplatz. Dort wollen die Befürworter des Bildungsplans der Landesregierung den Rücken stärken. "Der Landeselternbeirat begrüßt das ausdrücklich, dass das Thema sexuelle Vielfalt im neuen Bildungsplan vertreten ist."
    Demonstranten: "Bald ist Deutschland Dritte Welt"
    Wer zwischen den beiden Kundgebungen hin und her pendelt, der merkt schnell: Die Positionen stehen sich unversöhnlicher denn je gegenüber, trotz der Versuche von Ministerpräsident Kretschmann von vergangener Woche, die Wogen zu glätten. Bei den Bildungsplan-Gegnern sorgt das aber nur für eine noch entschiedenere ablehnende Haltung. Ihr Tonfall ist nun eine Spur kämpferischer als noch vor ein paar Tagen: Eine junge Frau, Anfang 30, hält ein Transparent in der Hand. Die Aufschrift: "Rette sich wer kann, Rot-Grün macht Bildungsplan. Sex statt Goethe wird bestellt. Bald ist Deutschland Dritte Welt."
    Die Frau macht eine kleine Pause, erklärt dann, was sie mit ihrem Transparent fordert: Nämlich, "dass sich die Regierung besser um die gute Bildung kümmern soll, anstatt sexualisierende Inhalte bereits in der Grundschule so zu kristallisieren und dass auch die Schulstunden damit vollgestopft werden mit den Inhalten, die nicht kindergerecht sind und auch nicht in den Bildungsinhalt gehören."
    Kompromissbereitschaft klingt anders. Und weil sich der Tonfall verschärft, wollen auch die Befürworter des Bildungsplans ein Zeichen setzen. Eine Mutter ist mit ihren zwei Kindern deshalb zur Kundgebung der Befürworter gekommen, "weil ich mit meinen eigenen Kindern darüber gesprochen habe und die von der Rückständigkeit dieser Gegner des Bildungsplans so entsetzt sind und ich hier mit den Kindern ausdrücken will, dass da eine andere Stimmung in Baden-Württemberg ist.“
    Die Bildungsplan-Gegner dagegen machen auf ihre Art Stimmung. Je weiter ihre Kundgebung voranschreitet, desto schärfer wird der Tonfall. Die Ankündigung von Ministerpräsident Winfried Kretschmann, auch mit den Bildungsplan-Gegnern über deren Sorgen und Einwände reden zu wollen, kommt dort nicht gut an. Mathias von Gersdorf ist aus Frankfurt nach Stuttgart gereist, vertritt die Aktion "Kinder in Gefahr" und entgegnet:
    "Es muss uns klar sein, wer Her Kretschmann ist und wer die Partei der Grünen ist. Seine Partei hat von Anfang an die Gegner des Bildungsplans mit Hetze und Verleumdung behandelt."
    Schülern fehlt oft Wissen
    Für die Beobachter beider Kundgebungen wird klar: Eine Einigung zwischen den Bildungsplan-Gegnern und Befürwortern ist derzeit nur schwer vorstellbar. Genauso undenkbar ist es aber für die Befürworter, dass die Landesregierung ihre Ziele durch einen Kompromiss verwässert. Clemens Luckner vom erweiterten Vorstand des Landesschülerbeirates beispielsweise sieht es als wichtiges Lernziel an, dass Schüler mehr über sexuelle Vielfalt als bisher erfahren, damit sie auch mehr Toleranz im Umgang mit homosexuellen Schülern entwickeln und das Schimpfwort "Schwule Sau" endgültig von den Schulhöfen verbannt wird.
    "Die Schüler sind da schon relativ differenziert. Es fehlt ihnen aber oft das Wissen darüber, dass sie da noch offener und vielleicht auch mal von diesem Thema weg eine Person betrachten können. Sonst reduzieren die Schüler so eine Person zu schnell auf deren Sexualität. Und das darf nicht sein."