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"Bählamms Fest" bei der "Ruhrtriennale"
Das Sterben der Lämmer

Eine wilde, verstörende Komödie schrieb die Künstlerin Leonora Carrington mit ihrem "Fest des Lamms". 1999 vertonte die Komponistin Olga Neuwirth das Theaterstück. Eine Neuinszenierung ihrer Oper "Bählamms Fest" feierte nun Premiere in der Jahrhunderthalle Bochum.

Von Torsten Möller | 16.08.2021
In einer sehr großen, dunklen Industriehalle erkennt man links in einem beleuchteten Teil ein sitzendes Kammerorchester vor Notenpulten, im rechten Bildteil steht als Bühnenbild eine kleine Hütte, an deren frontale Seite ein Bild von einem Wolf in grün-braunen Farbtönen angestrahlt wird.
Das Regie-Duo "Dead Center" inszenierte Olga Neuwirths Oper in der Bochumer Jahrhunderthalle. (Ruhrtriennale / Volker Beushausen)
Das Paradies stellt man sich anders vor: In der Tiefes des Raumes der Jahrhunderthalle Bochum steht eine Hütte. Drumherum eine karge, in Kunstnebel eingehüllte Steppenlandschaft mit einem kleinen Teich. Schafe in Menschengestalt wandeln umher; es könnten auch geisterhafte Untote aus einem Horrorstreifen sein. Nach einem unwirklichen Aufschrei zu Beginn kommt der Blick ins Innere der Hütte: Dort trifft sich die Familie – und man spürt: in Ordnung ist hier nichts. Die alte Mrs. Carnis ist ein Hausdrachen, ihr geliebter Sohn Philip ein Säufer, der seiner armen Frau Theodora von seinen Trieben gesteuert zu nah kommen will.
Eine Holzhütte mit offener Front steht in einer Halle als Bühnenbild, zwei Personen befinden sich in der Hütte, zwei rechts neben ihr. Außerhalb der Hütte leuchtet dunkelblaues Licht als Nachtstimmung.
Kein friedliches Zuhause: das gruselige Bühnenbild von "Bählamms Fest". (Ruhrtriennale / Volker Beushausen)
Zur kaputten Familie kommen allerhand weitere Figuren: Da wäre zum Beispiel Jeremy, eine Art Zwitter aus Mensch und Wolf. Er will die gute Theodora entführen aus der kaputten Bürgerlichkeit. Gelingen wird es nicht. Weiter tyrannisiert Mrs. Carnis, weiter hetzt sie selbstgerecht gegen alle anderen, weiter sterben die Lämmer eins nach dem anderen vor der Tür.

Kein Licht am Ende des Tunnels

Elfriede Jelinek schrieb das Libretto zu "Bählamms Fest". Wie in ihren Romanen gibt es Kritik an einer von Männern dominierten Gesellschaft. Zugleich auch: wenig Hoffnung auf Besserung, kein Licht am Ende des Tunnels. An manchen Stellen schlägt die Musik von Olga Neuwirth zwar versöhnliche Töne an. Aber es klingt eher grotesk. Die stark an Gustav Mahler erinnernden Passagen klingen einfach zu schön, um wahr zu sein. Es sind surreale Traumbilder, ein Zurücksehnen in Kinderzeiten, wo die Welt noch in Ordnung war, nun ja, vielleicht.
Olga Neuwirth hat nicht nur ein Faible für die Groteske. Sie denkt durch und durch musiktheatralisch. Ihre Musik zu "Bählamms Fest" ist insgesamt klanglich sehr vielfältig. Zur unwirklichen Welt passt das wie aus anderen Welten klingende Theremin mit seinen singenden Sinus-Schwingungen. In den 1990er Jahren, als Neuwirth "Bählamms Fest" schrieb, experimentierte sie viel mit Live-Elektronik. Mit dem sogenannten Morphing kann sie Menschenstimmen mit Tierlauten mischen. Auch dadurch verstärkt sie das Surreale, das schon im Sinne Leonora Carringtons und ihrer Theaterfassung der Geschichte war.

Exzellentes Ensemble

Bereits bei der Wiener Premiere von "Bählamms Fest" im Jahr 1999 spielte das Ensemble Modern. Nun zeigt es unter der Leitung von Sylvain Cambreling wieder seine Ausnahmestellung. Trotz viel live-elektronischer Zuspielungen und unter widrigen akustischen Bedingungen einer riesigen Industriehalle bleibt der Klang stets transparent. Lob gilt auch dem gesamten Gesangs-Ensemble: Sowohl sprechend wie singend überzeugten insbesondere die belgische Sopranistin Katrien Baerts als Theodora und Hilary Summers als Mrs. Carnie; nicht nach standen ihnen die Solisten Dietrich Henschel als Philip und – eine Spur zu künstlich exaltiert – der Werwolf Jeremy in Form des englischen Countertenors Andrew Watts.
Zwei Frauen stehen direkt hintereinander mit geöffneten Mündern zum Singen. Sie werden rötlich-pink angeleuchtet und stehen vor einem dunkelblauen Hintergrund.
Der Brite Andrew Watts als Jeremy und die Belgierin Katrien Baerts als Theodora. (Ruhrtriennale / Volker Beushausen)
Allein, trotz aller musikalischer Höchstleistung: So richtig gefangen nimmt einen dieses "Bählamms Fest" nicht. Der nicht mehr als freundliche Applaus erklärt sich weniger durch einen fehlenden Handlungsstrang. Eher ist es die Opulenz und fehlende Stringenz, die zunehmend zum Problem wird. Schon die psychopathologische Vorlage von Leonora Carrington ist komplex genug, erfordert feinste Figurenzeichnung. Kommen eine sperrige Musik dazu, viele Video-Einblendungen, auch der unübersehbare Aktualisierungswunsch des Stoffes durch das irische Produzenten-Duo "Dead Centre" – dann gerät das Subtile ins Hintertreffen. Sicher kann man "Bählamms Fest" als Einspruch lesen gegen Chauvinisten, auch gegen Intoleranz und Sexismus. Am Ende aber wollte man offenbar zu viel: Auf Kosten eines konzentrierten Sogs, damit auch einer Atmosphäre, die zum Denken anregt. Schließlich war es gerade das, was Olga Neuwirth und Elfriede Jelinek wollten: aus der Verstörung etwas mitnehmen. Oder: aus der Zerstörung lernen, um es in Zukunft besser zu machen.