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Bakterien als Rechenknechte

Mithilfe gentechnisch veränderter Kolibakterien sind britische Forscher der Vision näher gekommen, Schaltkreise auf der Basis von Biomolekülen zu bauen. Die Londoner Wissenschaftler konnten ein grundlegendes Schaltelement, das sogenannte UND-Gatter, als biologisches Bauteil realisieren.

Von Frank Grotelüschen |
    Ein Labor am Imperial College in London. Professor Richard Kitney steuert den Pipettier-Roboter an - eine Maschine, bei der mechanische Arme Hunderte von Reagenzgläschen im Akkord mit Flüssigkeiten befüllen können. Der Bioingenieur holt sich eines der Reagenzgläschen aus dem Apparat und hält es gegen das Licht.

    "Nun, besonders beeindruckend sieht das nicht aus. Ganz einfach Zellen, gelöst in einer Flüssigkeit."

    Was aussieht wie ein paar Tropfen Wasser, hat es in sich. Denn die Zellen, die im Gläschen schwimmen, sind gentechnisch veränderte Kolibakterien mit einer besonderen Eigenschaft: Sie können eine Rechenoperation ausführen, wie man sie sonst von der Elektronik kennt, der Welt der Prozessoren und Mikrochips. UND-Gatter, so nennt sich die primitive Schaltung. Sie besitzt zwei Eingänge. An jedem dieser Eingänge liegt ein Signal an, entweder eine Null oder eine Eins. Das Entscheidende: Der Ausgang des UND-Gatters gibt nur dann eine Eins aus, wenn auch an beiden Eingängen eine Eins anliegt. In allen anderen Fällen ist das Ergebnis eine Null.

    "Auf dieser Art von Schaltungen basiert im Prinzip jedes elektronische Gerät. Der Prozessor eines Computers enthält mehrere Milliarden davon. In der Elektronik bestehen diese Schaltelemente aus Silizium. Doch wir haben nun ein biologisches Schaltelement gebaut. Und damit haben wir die Grundlage für biologische Mikroprozessoren und Computer geschaffen."

    Synthetische Biologie, so nennt sich das Forschungsfeld, auf dem Richard Kitney unterwegs ist. Die Basis für sein biologisches Schaltelement fand der Forscher in einem Pilz, der die Blätter von Tomatenpflanzen befällt. Ein Genabschnitt aus diesem Pilz wurde von Kitneys Team modifiziert und in Kolibakterien verpflanzt. Mit dem neuen Gen werden die Bakterien zu einem Schaltelement. Um es anzusteuern, geben die Forscher zwei Chemikalien in ein Reagenzgläschen, in denen die Kolibakterien in einer Flüssigkeit schwimmen. Dann passiert das Entscheidende: Nur wenn beide Chemikalien gleichzeitig vorhanden sind, kann das Kolibakterium das Ausgangssignal produzieren - und zwar ein Protein, das grün leuchtet, was sich von den Forschern unschwer erkennen lässt. Alles in allem nichts anderes als die Bioversion eines UND-Gatters.

    "Verglichen mit einer elektronischen Schaltung ist unser biologisches Element zwar unglaublich langsam. Es braucht Minuten für einen Schaltprozess statt Nanosekunden wie in der Elektronik. Aber das macht nichts, denn mit elektronischen Schaltungen wollen wir gar nicht konkurrieren. Denn mit unseren Bioschaltungen wollen wir Prozesse steuern, die sich in Zellen abspielen. Und die laufen nicht besonders schnell ab."

    Das Besondere an Kitneys Technik: Mit ihr lassen sich verschiedene Schaltelemente zu biologischen Schaltkreisen kombinieren. Genau daran arbeiten die Forscher nun. Doch die Herausforderungen sind nicht ohne.

    "Schaltkreise aus nur zwei oder drei Grundschaltungen ließen sich wohl in einer einzigen Zelle realisieren. Komplexere Schaltkreise aber müsste man von mehreren verschiedenen Zellen herstellen lassen."

    Eine Arbeitsteilung zwischen verschiedenen Zelltypen also, und damit sie funktioniert, müssten die Zellen miteinander kommunizieren und Signale austauschen - ein ungelöstes Problem. Dennoch hat Richard Kitney schon eine Idee, was sich eines Tages mit den Bioschaltkreisen anfangen ließe:

    "Die Idee ist, unsere Schaltkreise in den Blutkreislauf zu injizieren. Sie wären mit Sensoren ausgestattet und könnten Stellen ausfindig machen, an denen die Gefäße verkalkt sind. Dort könnten sie dann Medikamente freisetzen, die die Verkalkung zielgerichtet auflösen."

    Eine Vision, die auch in der Nanotechnologie beliebt ist. Hier sollen es winzige Roboter sein, die durch die Adern patrouillieren und nach Gefäßverkalkungen Ausschau halten. Was sich durchsetzt - elektronische Nanobots oder biologische Maschinchen, ist völlig offen.