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Bakterien als Vorkoster

Biologie.- Studenten der Universität Bielefeld wollen Bakterien dazu bringen, den Schärfestoff Capsaicin zu messen. So ließe sich eine Sauce auf Schärfe testen, ohne sie abschmecken zu müssen. In Bosten stellt das Team sein Vorhaben vor.

Von Michael Lange | 05.11.2010
    Am Anfang stand eine Idee. Wie wäre es, wenn Bakterien eine Art Geschmackssinn hätten, wie Menschen. Wenn sie zum Beispiel erkennen könnten, ob eine Sauce mild oder scharf ist. Ein solches Bakterium könnte als Biosensor eine Art Vorkoster für Schärfe sein, und hätte vielleicht Chancen beim internationalen Wettbewerb iGEM am M.I.T.. Dort konkurrieren die weltweit besten Studentenprojekte im Bereich "Synthetische Biologie". Frieder Hänisch, Masterstudent im vierten Semester, formuliert das Projektziel des Bielefelder Teams:

    "Unsere Bakterien werden Schärfe erkennen können. Der Stoff in Speisen, der die Schärfe ausmacht, heißt Capsaicin. Wir werden dann eine Probe einer Tabasco zugeben, und die Bakterien sagen uns wie ein Biosensor: Wie scharf ist das Essen, und wie viel von dem Stoff ist darin?"

    Professor Karsten Niehaus von der Universität Bielefeld, einer der Berater des Teams, begrüßt die Idee der Studenten. Denn im Grunde wisse man, wie biologische Mess-Apparaturen, sogenannte Rezeptoren, funktionieren.

    "Proteine, Eiweiße, können so etwas. Wir haben ja selbst in unserem Körper genau diese Sensoren, die interne Hormone zum Beispiel ganz spezifisch binden und dann eine Reaktion auslösen. Jetzt diesen Sensor so zu verändern, dass er etwas anderes hoch spezifisch erkennt, das ist die große Herausforderung, und das versuchen die Studierenden jetzt."

    Als Ausgangspunkt wählten die Studenten aus Bielefeld einen natürlichen Bakterien-Rezeptor. Er stammt von Agrobacterium tumefaciens, einem Bodenbakterium, das Pflanzen befällt. Mit diesem Rezeptor erkennt Agrobacterium den Pflanzenstoff Acetosyringon. Die Studenten haben diesen natürlichen Rezeptor mit einem biologischen Leuchtsignal gekoppelt. Das hatten andere bereits erfolgreich vorgemacht. Dann kam die schwierigste Aufgabe. Der Rezeptor musste so verändert werden, dass er nicht mehr auf Acetosyringon reagierte, sondern auf den Schärfe-Stoff Capsaicin.

    Bei diesem Umbau setzte man auf die gleichen Mechanismen, wie die biologische Evolution, erklärt der Student Simon Unthan:

    "Und dazu müssen wir zufällige Veränderungen eingeben in diesen Rezeptor. Und mit diesem Schritt, den ich jetzt gerade vorbereite, werden wir diese zufälligen Veränderungen einfügen. Und aus einer Bibliothek, die daraus entsteht, untersuchen wir, welche Veränderungen zu unserem Ziel geführt haben."

    Mehr als drei Monate lang haben elf Studenten aus Bielefeld täglich im Labor gearbeitet, oft auch an den Wochenenden. Einen Zwischenschritt nach dem anderen haben sie erfolgreich absolviert. Dann ist es so weit. Der gelöste Schärfestoff Capsaicin soll die Bakterien zum Leuchten bringen.

    Der Student Timo Wolf stellt die vorbereiteten Proben mit Capsaicin und den Bakterien in ein Gerät, das das Lichtsignal messen soll.

    "Wenn der Wert jetzt höher ist als bei den beiden Kontrollen, dann können wir sagen: Wir können Schärfe messen. Das werden wir jetzt überprüfen."

    Tatsächlich konnten die Studenten ein Leuchtsignal messen. Aber mit der Capsaicin-Konzentration hatte dieses Leuchten nicht zu tun. Der biologische Schärfesensor ist also nicht rechtzeitig fertig geworden.
    Kein Grund, enttäuscht zu sein, meint Professor Karsten Niehaus von der Universität Bielefeld. Das Ziel war wohl zu hoch gesteckt.

    "Man muss dazu ja folgendes sehen. Die Entwicklung eines neuen Sensors für ein Molekül, wie das, was die Schärfe in Chilis verleiht, das ist etwas, wo Pharmaunternehmen dran arbeiten, an solchen Rezeptoren. Da sind ganze Entwicklungsteams mit einem anderen Support als wir ihn hier an der Uni geben können, und die brauchen Jahre für so etwas."

    Wichtige Etappenziele haben die Studenten aus Bielefeld erreicht, die können sie nun in den USA beim internationalen Wettstreit der Biobaumeister präsentieren – und darauf freuen sie sich, denn Dabeisein ist fast alles.