Die Labore liegen hinter alten Backsteinfassaden. Drinnen wirkt alles neu und klinisch. Ein Grundrauschen ist in den Labors immer zu hören, ähnlich dem Lüfter im Büro-PC. Auch hier stehen Rechner, dazu Gerätschaften wie Gaschromatographen oder Autosampler. Der Laie versteht so gut wie nichts. Viel weißes Licht erhellt den Raum. Möbel, die einer Einbauküche ähneln, bieten Stellplatz für Flaschen mit Stopfen und blauen Verschlüssen drauf. Da ein Gerät, das man wie eine Verkaufstheke mit einer Glashaube verschließen kann. Trübe Flüssigkeiten in Glaskolben werden dahinter geschwenkt. Die Beschäftigten, viele davon Frauen, tragen blaue Handschuhe.
In einer Ecke ein vertrautes Bild: Es sieht aus wie in Tiefkühltruhe. Es ist auch eine Tiefkühltruhe. Hier liegt das Stammkapital von Organobalance: tiefgefrorene Milchsäurebakterien und Hefen. Das Biotechunternehmen sucht nach dem Potenzial dieser Stämme, will daraus mikrobielle Schutzschilde bauen für die Haut. Oder die Zähne. Oder den Magen.
Nicht mit Passwörtern öffnet sich der Schatz. Mit Handschuhen muss man sich den auf minus 80 Grad gekühlten Glasröhrchen nähern. Klaus Pellengahr fingert eine Box mit 81 Röhrchen heraus, alles mit Glyzerin überzogene, tiefgefrorene und jederzeit reaktivierbare Hefestämme. Der Mikrobiologe des Berliner Biotechnologieunternehmens erzählt:
"Wir haben also zahlreiche Boxen, um unsere 8.000 Stämme abdecken zu können. Und wenn Sie sich das weiter angucken: Das ist ein Stamm, wie er bei uns archiviert ist. Der wird bei minus 80 Grad gelagert. Das ist jetzt zum Beispiel der Stamm OB Lactobacillus Nummer 0990. Zur Sicherheit gibt es natürlich von dieser Stammkollektion eine Kopie, die woanders ist, die an einem anderen Stromkreis hängt, das ist das Kapital der Firma, mit dem alles losgeht."
Vor zehn Jahren ist es hier im Berliner Wedding losgegangen. 800 Quadratmeter Laborfläche sind inzwischen angemietet in einem Technologiepark. In den Backsteinhallen fertigte früher die AEG. Und es kamen viel Glück, professorales Netzwerken und Branchenkenntnis zusammen, dass die Organobalance-Gründerin, Professor Christine Lang, nicht bei Null anfangen musste. Sie konnte eine 1921 begonnene Sammlung von Hefestämmen übernehmen. Alles natürliche Stämme, nichts gentechnisch Verändertes dabei. Krieg, deutsche Teilung, alles haben die Stämme des früheren Instituts für Gärungsgewerbe überlebt:
"Die haben das überstanden, wohlgehütet in dieser Stammsammlung, wobei DDR war nicht nötig, weil es war ein West-Berliner-Institut, die Insellage, hat das überstanden, ist konserviert worden für die Zeit."
Nun stehen sie also hier in Wedding, eine Kopie anderswo. Und Frau Lang ist lange genug im Geschäft, um zu wissen, welchen Schatz sie da hat. Denn eine Bakterienstammsammlung aufzubauen und über Jahrzehnte am Leben zu erhalten, ist kein Kinderspiel:
"Die Stämme, die aus den 1920er-Jahren stammen, die hat man damals auf normalem Nährmedium gehalten, hat sie dann für eine Weile in den Kühlschrank gestellt und musste sie aber regelmäßig innerhalb von Wochen oder Monaten rausnehmen und prüfen: Sind sie noch lebend? Und die Lebenden daraus wieder vermehren. Das ist für den Erhalt einer Sammlung nicht ideal, weil über die Jahre können sich Veränderungen einschleichen. Und wir sind froh, dass es heute nicht mehr nötig ist, so zu arbeiten."
Heute werden die Bakterienstämme, damit die Zellstruktur geschützt bleibt, in Glycerin gepackt und tief gefroren, bis man sie braucht. Etwa dafür: Es gibt einen Keim, der sich in der Magenschleimhaut ausbreitet und Magengeschwüre, schlimmstenfalls auch Magenkrebs, mit verursachen kann. Da viele Keime heute antibiotikaresistent sind, gibt es ein Therapieproblem. Organobalance hat sich auf die Suche nach einem Bakterium gemacht, das dem schädlichen Keim seine Mobilität nimmt. Der kann sich dann nicht mehr ausbreiten, nicht mehr festhalten und wird ausgespült.
Die Biotechnologie spürt bei solchen lebensrettenden Produkten kaum mehr Vorbehalte gegenüber ihrer Arbeit. Ob mit natürlichen oder mit gentechnisch veränderten Bakterien der Behandlungserfolg erzielt wird – für den Kranken, der Hilfe braucht, ist das nachrangig. In der Lebensmittelindustrie sei das anders – für Ricardo Gent, den Geschäftsführer der Industrievereinigung Biotechnologie, ein Zeichen des Protestes im Wohlstand:
"Wenn Sie in den Supermarkt gehen und sehen die vollen Regale: Warum soll ich dann etwas haben, was vielleicht ein bisschen anders ist als das, was konventionell da ist. Und solange wir diese Situation haben, werden wir Schwierigkeiten haben, diesen Nutzen unmittelbar dem Verbraucher in Europa klar zu machen. Weltweit sieht das anders aus. Da besteht ein größerer Bedarf für diese Lebensmittel, zum Teil auch wegen etwas schwierigerer Versorgungssituationen. Und da gibt es überhaupt keine Probleme mit der Akzeptanz."
Organobalance sucht nach neuen Eigenschaften bei natürlichen Stämmen. Aber wo die Natur nicht weiterkommt, wird auch mit gentechnisch veränderten Stämmen gearbeitet. Christine Lang, sagt, sie achte auf die Vorbehalte gegenüber der Gentechnik:
"Wir wissen um diese Problematik. Und wir hören es auch immer wieder von Kunden, dass die eigentlichen Verbraucher in Lebensmittel- und Kosmetikprodukten keine gentechnisch veränderten Organismen, auch Mikroorganismen wollen. Wir nehmen darauf Rücksicht."
Also alles, was in Fermentern, in geschlossenen Systemen verarbeitet wird, erlaubt auch die Gentechnik. Und die Bereiche, in denen Produkte direkt an den Kunden kommen wie: Was man isst, was man auf seine Haut schmiert, was man in der Zahnpasta hat, das ist nicht gentechnisch verändert.
Als "Steigerungsbereich" hat Organobalance, mit 29 Mitarbeitern und zwei Millionen Euro Umsatz immer noch klein, die Arbeitsfelder Tier- und Humangesundheit ausgemacht. Dafür müssen die eingelagerten Bakterienstämme immer wieder auf ihre Eigenschaften hin untersucht, "gescreent", werden. Das, sagt Klaus Pellengahr, in halbwegs erträglicher Zeit weitgehend automatisiert abzuarbeiten, das gehöre zum Wissenskapital der Firma:
"Sie kriegen so ein Peak-Muster hier. Sie interessieren sich für ein bestimmtes Stoffwechselprodukt. Und dann gucken Sie, wenn das zum Beispiel unser Stoffwechselprodukt wäre, was uns interessiert, dann gucken Sie bei tausend verschiedenen Stämmen, ob dieses Stoffwechselprodukt vermehrt gebildet wird, ja? Und was hier wichtig ist: Sie müssen das parallel machen, sie müssen das automatisiert machen, um in einer sinnvollen Zeit – wir sprechen jetzt von Stunden, Tagen oder wenigen Wochen – einfach einen besseren Stamm zu finden. Und da steckt ein großes Know-how von der Firma drin, um sicherzustellen: Wenn wir uns tausend Stämme angucken wollen für eine neue Eigenschaft, für eine neue Produktentwicklung, dann können wir das innerhalb von Tagen bewältigen."
Seit der Gründung vor zehn Jahren hat Organobalance immer Gewinne eingefahren. Mit einer Pilotanlage hat es sich nach Flensburg ausgedehnt. Dort übt das Unternehmen sozusagen, Laborprozesse in den industriellen Maßstab zu übertragen. Es profitiert davon, dass Pharmaunternehmen ihre Forschung auslagern. Und dabei kommt so viel Wissen zusammen, dass Organobalance plant, vom Zulieferer zum Hersteller zu werden. Dafür hat die erst zehn Jahre alte Mutter schon eine Tochtergesellschaft gegründet – mit Vermehrung kennt sie sich ja aus.
In einer Ecke ein vertrautes Bild: Es sieht aus wie in Tiefkühltruhe. Es ist auch eine Tiefkühltruhe. Hier liegt das Stammkapital von Organobalance: tiefgefrorene Milchsäurebakterien und Hefen. Das Biotechunternehmen sucht nach dem Potenzial dieser Stämme, will daraus mikrobielle Schutzschilde bauen für die Haut. Oder die Zähne. Oder den Magen.
Nicht mit Passwörtern öffnet sich der Schatz. Mit Handschuhen muss man sich den auf minus 80 Grad gekühlten Glasröhrchen nähern. Klaus Pellengahr fingert eine Box mit 81 Röhrchen heraus, alles mit Glyzerin überzogene, tiefgefrorene und jederzeit reaktivierbare Hefestämme. Der Mikrobiologe des Berliner Biotechnologieunternehmens erzählt:
"Wir haben also zahlreiche Boxen, um unsere 8.000 Stämme abdecken zu können. Und wenn Sie sich das weiter angucken: Das ist ein Stamm, wie er bei uns archiviert ist. Der wird bei minus 80 Grad gelagert. Das ist jetzt zum Beispiel der Stamm OB Lactobacillus Nummer 0990. Zur Sicherheit gibt es natürlich von dieser Stammkollektion eine Kopie, die woanders ist, die an einem anderen Stromkreis hängt, das ist das Kapital der Firma, mit dem alles losgeht."
Vor zehn Jahren ist es hier im Berliner Wedding losgegangen. 800 Quadratmeter Laborfläche sind inzwischen angemietet in einem Technologiepark. In den Backsteinhallen fertigte früher die AEG. Und es kamen viel Glück, professorales Netzwerken und Branchenkenntnis zusammen, dass die Organobalance-Gründerin, Professor Christine Lang, nicht bei Null anfangen musste. Sie konnte eine 1921 begonnene Sammlung von Hefestämmen übernehmen. Alles natürliche Stämme, nichts gentechnisch Verändertes dabei. Krieg, deutsche Teilung, alles haben die Stämme des früheren Instituts für Gärungsgewerbe überlebt:
"Die haben das überstanden, wohlgehütet in dieser Stammsammlung, wobei DDR war nicht nötig, weil es war ein West-Berliner-Institut, die Insellage, hat das überstanden, ist konserviert worden für die Zeit."
Nun stehen sie also hier in Wedding, eine Kopie anderswo. Und Frau Lang ist lange genug im Geschäft, um zu wissen, welchen Schatz sie da hat. Denn eine Bakterienstammsammlung aufzubauen und über Jahrzehnte am Leben zu erhalten, ist kein Kinderspiel:
"Die Stämme, die aus den 1920er-Jahren stammen, die hat man damals auf normalem Nährmedium gehalten, hat sie dann für eine Weile in den Kühlschrank gestellt und musste sie aber regelmäßig innerhalb von Wochen oder Monaten rausnehmen und prüfen: Sind sie noch lebend? Und die Lebenden daraus wieder vermehren. Das ist für den Erhalt einer Sammlung nicht ideal, weil über die Jahre können sich Veränderungen einschleichen. Und wir sind froh, dass es heute nicht mehr nötig ist, so zu arbeiten."
Heute werden die Bakterienstämme, damit die Zellstruktur geschützt bleibt, in Glycerin gepackt und tief gefroren, bis man sie braucht. Etwa dafür: Es gibt einen Keim, der sich in der Magenschleimhaut ausbreitet und Magengeschwüre, schlimmstenfalls auch Magenkrebs, mit verursachen kann. Da viele Keime heute antibiotikaresistent sind, gibt es ein Therapieproblem. Organobalance hat sich auf die Suche nach einem Bakterium gemacht, das dem schädlichen Keim seine Mobilität nimmt. Der kann sich dann nicht mehr ausbreiten, nicht mehr festhalten und wird ausgespült.
Die Biotechnologie spürt bei solchen lebensrettenden Produkten kaum mehr Vorbehalte gegenüber ihrer Arbeit. Ob mit natürlichen oder mit gentechnisch veränderten Bakterien der Behandlungserfolg erzielt wird – für den Kranken, der Hilfe braucht, ist das nachrangig. In der Lebensmittelindustrie sei das anders – für Ricardo Gent, den Geschäftsführer der Industrievereinigung Biotechnologie, ein Zeichen des Protestes im Wohlstand:
"Wenn Sie in den Supermarkt gehen und sehen die vollen Regale: Warum soll ich dann etwas haben, was vielleicht ein bisschen anders ist als das, was konventionell da ist. Und solange wir diese Situation haben, werden wir Schwierigkeiten haben, diesen Nutzen unmittelbar dem Verbraucher in Europa klar zu machen. Weltweit sieht das anders aus. Da besteht ein größerer Bedarf für diese Lebensmittel, zum Teil auch wegen etwas schwierigerer Versorgungssituationen. Und da gibt es überhaupt keine Probleme mit der Akzeptanz."
Organobalance sucht nach neuen Eigenschaften bei natürlichen Stämmen. Aber wo die Natur nicht weiterkommt, wird auch mit gentechnisch veränderten Stämmen gearbeitet. Christine Lang, sagt, sie achte auf die Vorbehalte gegenüber der Gentechnik:
"Wir wissen um diese Problematik. Und wir hören es auch immer wieder von Kunden, dass die eigentlichen Verbraucher in Lebensmittel- und Kosmetikprodukten keine gentechnisch veränderten Organismen, auch Mikroorganismen wollen. Wir nehmen darauf Rücksicht."
Also alles, was in Fermentern, in geschlossenen Systemen verarbeitet wird, erlaubt auch die Gentechnik. Und die Bereiche, in denen Produkte direkt an den Kunden kommen wie: Was man isst, was man auf seine Haut schmiert, was man in der Zahnpasta hat, das ist nicht gentechnisch verändert.
Als "Steigerungsbereich" hat Organobalance, mit 29 Mitarbeitern und zwei Millionen Euro Umsatz immer noch klein, die Arbeitsfelder Tier- und Humangesundheit ausgemacht. Dafür müssen die eingelagerten Bakterienstämme immer wieder auf ihre Eigenschaften hin untersucht, "gescreent", werden. Das, sagt Klaus Pellengahr, in halbwegs erträglicher Zeit weitgehend automatisiert abzuarbeiten, das gehöre zum Wissenskapital der Firma:
"Sie kriegen so ein Peak-Muster hier. Sie interessieren sich für ein bestimmtes Stoffwechselprodukt. Und dann gucken Sie, wenn das zum Beispiel unser Stoffwechselprodukt wäre, was uns interessiert, dann gucken Sie bei tausend verschiedenen Stämmen, ob dieses Stoffwechselprodukt vermehrt gebildet wird, ja? Und was hier wichtig ist: Sie müssen das parallel machen, sie müssen das automatisiert machen, um in einer sinnvollen Zeit – wir sprechen jetzt von Stunden, Tagen oder wenigen Wochen – einfach einen besseren Stamm zu finden. Und da steckt ein großes Know-how von der Firma drin, um sicherzustellen: Wenn wir uns tausend Stämme angucken wollen für eine neue Eigenschaft, für eine neue Produktentwicklung, dann können wir das innerhalb von Tagen bewältigen."
Seit der Gründung vor zehn Jahren hat Organobalance immer Gewinne eingefahren. Mit einer Pilotanlage hat es sich nach Flensburg ausgedehnt. Dort übt das Unternehmen sozusagen, Laborprozesse in den industriellen Maßstab zu übertragen. Es profitiert davon, dass Pharmaunternehmen ihre Forschung auslagern. Und dabei kommt so viel Wissen zusammen, dass Organobalance plant, vom Zulieferer zum Hersteller zu werden. Dafür hat die erst zehn Jahre alte Mutter schon eine Tochtergesellschaft gegründet – mit Vermehrung kennt sie sich ja aus.