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Balanceakt zwischen Sicherheit und Preisdruck

Der Einsturz eines Industrie-Hochhauses in Dhaka im April hat die Welt erschüttert. Viel war danach die Rede von neuen Sicherheitsbestimmungen und besseren Arbeitsbedingungen. Doch nicht überall verändert sich die Situation zum Besseren. Die Fabrikbetreiber sind in einer Zwickmühle.

Von Kai Küstner | 03.08.2013
    Vielleicht ist es der Versuch des Lebens, wieder die Oberhand über den Tod zu gewinnen: Ein paar Meter entfernt vom Ort des Grauens, der Stelle, an der Ende April das Industrie-Hochhaus Rana Plaza in sich zusammenfiel, rumpeln auf der Hauptstraße heute wieder die Lastwagen. Hell leuchten die Reklameschilder der umliegenden Geschäfte. Aber vergessen werden die Menschen hier die schlimmste Industrie-Katastrophe in der Geschichte Bangladeschs nie:

    "Es war der schlimmste Moment in meinem Leben. Einen Monat lang schloss ich meinen Laden, es war unmöglich, zur Arbeit zu gehen","

    bekundet Nabuddin. Der - wie immer - gerade Tee ausschenkte, als das Gebäude ein paar Meter entfernt von ihm zusammenstürzte:

    ""Ein Freund von mir, ein Arbeiter, hatte Glück: Er war eine halbe Stunde vor der Katastrophe entlassen worden und überlebte auf diese Weise","

    erzählt Nabuddin.

    ""Andere, die täglich bei mir Tee tranken, sind ums Leben gekommen. Ich kann ihre Gesichter einfach nicht vergessen."

    "Die einzige Hoffnung, die wir haben, bekunden andere, ist: dass die Welt nicht so schnell vergisst. Dass diese Katastrophe allen Verantwortlichen wenigstens als eine Art Mahnmal für die Lage der Textilarbeiterinnen und Textilarbeiter in Erinnerung bleiben wird. Und sich dadurch etwas ändert."

    Dafür gibt es auch durchaus Anzeichen. Wer allerdings die junge Asma in ihrem winzigen Zimmer im Slum besucht, den dürften Zweifel befallen, dass der Wandel begonnen hat:

    Wie 18 sieht die zierliche Asma wahrlich noch nicht aus, sie behauptet aber steif und fest, volljährig zu sein. Jedenfalls hat die junge Slum-Bewohnerin Arbeit in einer von Tausenden Textilfabriken in Bangladeschs Hauptstadt Dhaka gefunden:

    "Auf neun Stockwerke und über 1000 Arbeiterinnen kommt ein einziger Notausgang. Vor allem wegen der Feuergefahr ist der Beruf lebensgefährlich."

    Wenn sie zu spät zur Arbeit komme, kürze der Chef ihr den ohnehin kärglichen Lohn, klagt Asma. Die Arbeitsbedingungen in Bangladeschs Fabriken, so der allgemeine Eindruck, unterscheiden sich von Firma zu Firma wie Himmel und Hölle. Ein Thema jedoch ärgert so ziemlich jede Näherin hier in Dhaka: die Bezahlung.

    3000 Taka, umgerechnet keine 30 Euro, bekomme sie pro Monat für ihre Arbeit, berichtet Asma. Rund einen Euro am Tag. Ein untrügliches Zeichen dafür, wie wenig Auftraggeber und Fabrik-Besitzer bislang gewillt waren, in die Arbeitsbedingungen ihrer Näherinnen zu investieren.

    Kein Zweifel: Der Arbeitsplatz von Asma steht für die eine, die dunkle Seite von Bangladeschs Textilindustrie. Es gibt jedoch durchaus auch eine andere, helle:

    In Amanullah Chaglas Fabrik rumoren parallel zum Rattern der Nähmaschinen die Ventilatoren. In einigen Stockwerken gibt es sogar Klimaanlagen. Was die Sauberkeit angeht, so kann es der Fußboden locker mit jedem deutschen Krankenhaus-OP aufnehmen. Riesige rote Pfeile weisen den Weg zu zahlreichen Notausgängen:

    "Es ist ein völlig falsches Bild, dass Textil-Arbeiter in Bangladesch nicht sicher sind. Es war einfach Pech für unser Land, dass es zuerst diese Feuer-Katastrophe gab und dann wenige Monate später den Vorfall mit dem Rana Plaza-Gebäude."

    Behauptet selbstbewusst und trotz des katastrophalen Gebäude-Einsturzes vor Kurzem mit über 1100 Toten der Direktor der Firma Padma Textiles. Zu dessen Kunden zählen unter anderem Aldi, Tommy Hilfiger und Zara. Die Frage aber ist: Warum sind andere Manager in Dhaka dann so nervös? Warum ist Chagla der einzige, der dem ARD-Hörfunkstudio Südasien seine Fabriktore öffnet? Nervös sind jedenfalls auch die europäischen Kunden:

    "Nach all den Gerüchten wegen des Gebäudeeinsturzes mögen die gedacht haben, dass alle Fabriken so sind in Bangladesch. Die haben jemanden geschickt und wir haben ihnen alles gezeigt."

    Das zumindest hat die schwerste Industrie-Katastrophe in Bangladeschs Geschichte bewirkt: Die großen Marken schicken nun Gesandte nach Dhaka, um sich vor Ort ein Bild zu machen. Schließlich haben wichtige europäische und US-Firmen sich ja per Abkommen verpflichtet, für Sicherheit zu sorgen:

    "Wenn die sich ernsthaft daran halten, ist das gut. Aber die müssen dann auch selber dafür zahlen. Wenn sie das tun, ohne uns weiter bei den Preisen unter Druck zu setzen, ist das OK."

    Sogar bei einem selbstbewussten Manager wie Chagla schwingt in jedem Satz die Angst mit, das Etikett ‚Made in Bangladesh’ könne so besudelt worden sein durch die jüngsten Vorfälle, dass die Kunden nach China, Indien, Kambodscha abwandern. Umso wichtiger wäre es, alle Arbeitsplätze hier sicher zu gestalten.

    Bei all dem darf man nicht vergessen: Weit mehr als die Hälfte aller Fabriken, schätzen Experten, entsprächen bereits europäischen Standards. Will man aber alle schwarzen Schafe ermitteln und aussortieren, dann kostet das Geld. Geld, das man aber dringend ausgeben muss, meint der Politikexperte Syed Abul Maksud:

    "Unsere Textil-Industrie durchlebt eine schwere Krise. Jetzt ist die Zeit, die Probleme zu lösen. Sonst werden wir in den nächsten zehn Jahren die Folgen zu spüren bekommen."

    Mehrere Millionen Menschen ernährt der wichtigste Industrie-Zweig des Landes. Das Grundproblem besteht nach wie vor: Auf der einen Seite drücken die westlichen Kunden die Kosten. Sie sind ja überhaupt erst nach Bangladesch gekommen, weil sich hier billig nähen lässt. Und die Fabriken machen das mit, weil sie keine Aufträge verlieren wollen. Auf der anderen Seite gilt es, für Sicherheit und menschenwürdige Arbeitsbedingungen zu sorgen. Ein Balanceakt. Manager Chagla erinnert die westlichen Bekleidungsriesen an ihre Verantwortung. Wichtig sei, dass alle sich an den Maßnahmen zur Verbesserung beteiligten:

    "Wenn nur vereinzelt hier und da ein Kunde das macht, dann wird das alles langsam wieder verblassen. Genau wie die Erinnerung an die Rana Plaza Katastrophe. Nach einer gewissen Zeit verschwindet das wieder. Und dann sind wir zurück am Ausgangspunkt."

    Es gibt in Bangladesch Anzeichen, dass genau das diesmal nicht passiert. Zu sehr hat die Katastrophe vom April das Land, die Welt und auch die westlichen Konsumenten aufgerüttelt. Wenn es jemals eine Chance für einen echten Wandel geben soll, dann besteht die genau jetzt.