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Baldurs Leidenschaft

Hört man Alphörner, denkt man in der Regel an Österreich, Bayern oder die Schweiz. Doch auch an der Ostsee-Küste in Mecklenburg-Vorpommern kann man die tiefen Hornklänge hören. Dank Baldur Beyer. Der pensionierte Sportlehrer spielt nicht nur auf Alphörnern - er baut sie auch selbst.

Von Peter Marx | 18.09.2011
    Baldur Beyer macht dicke Backen, holt tief Luft und stößt sie aus. Zwei, drei Mal ... dann beendet er seine Atemübungen, greift sich sein zweieinhalb Meter langes Alphorn, das er vor sich auf dem Holzsteg des kleinen Sees liegen hat, wiegt es kurz in der Hand, leckt mit der Zunge das Mundstück an, bläst erneut:

    Die lang gezogenen Töne klingen über das Wasser, erschreckten Vögel und Kröten, während es sich die Bewohner von Witzin auf ihren Terrassen gemütlich machen: "Unser Abendkonzert", sagen sie lachend und genießen bei Sonnenuntergang und Bierflasche in der Hand das Alphornkonzert.

    Eine alpenländische Idylle; irgendwo in Österreich, Bayern oder der Schweiz. Ganz falsch. Das Dorf Witzin liegt zwischen Rostock und Schwerin und Baldur Beyer ist kein ausgewanderter Alm-Bauer mit Heimweh, sondern pensionierter Sportlehrer aus Mecklenburg-Vorpommern mit einem für die Ostsee-Küste seltenen musikalischen Hobby:

    "Ich hatte mal Krebs und während meiner Bestrahlungsmethode habe ich vorher selbstverständlich trainiert. Ich betreibe noch Triathlon und alles mögliche, auch Hammerwerfen. Da gaben mir die Ärzte, weil sie nicht daran glaubten, dass es wieder gut wird, noch eine Chance. Dann soll er nochmals zum Wettkampf nach Inzell fahren und während der Siegerehrung spielten dort Alphörner. Das hat mich so fasziniert und ich habe mir gesagt, falls ich nochmals gesund werden sollte, dann baust du dir so ein Alphorn. Ja und ich wurde wieder gesund, dank der Ärzte."

    Nach 20 Minuten ist das Konzert beendet. Der 74-jährige Bläser zerlegt sein dank mehreren Schichten Bootslack rötlich schimmerndes Horn, verstaut die drei Teile in seiner Anglertasche.

    "Jeder wundert sich, fragt, gehst du jetzt zum Angeln. Da gibt es ja wunderbare Futterale. Sicher habe ich mir auch selbst eins genäht, aber das andere sieht professioneller aus."

    Keine 20 Meter, dann steht der Rentner in seiner Werkstatt-Laube im Garten, in der kaum Platz zum Drehen ist. An den Wänden Regale mit Werkzeugen, Maschinen, Holzlatten, Farbeimer. Baldurs Welt, die seine Frau Helga nur betritt, wenn sie nachschaut, ob er noch lebt. 15 Jahre lang hat er hier – oftmals zehn Stunden und länger - gesägt, geleimt, gegrübelt, bis er das erste Alphorn fertig hatte.

    "Und daran habe ich mich wieder erinnert und habe mir gesagt, wenn ich ein Alphorn baue, dann muss es besser klingen als die in den Alpen und ich habe mich 15 Jahre theoretisch damit auseinandergesetzt und ich muss sagen, das ist wirklich erfolgreich gewesen. Ich will nicht übertreiben, aber die Klänge sind wirklich hervorragend."

    Die Pläne hat er sich aus Broschüren kopiert, alles andere selbst angeeignet. So wie früher für den Bau von Fischerbooten:

    "Hier war ja im Norden nichts zu bekommen und wir haben einen Schweizer Schulfreund, der hat mir vor 15 Jahren ein Buch geschenkt und auch eine Schulkameradin, die auch da in der Ecke wohnt, die schrieb mir einen Brief mit ein paar Prospekten."

    Baldurs Leidenschaft! Das sind heute Alphörner. Beyers kräftige Hände zeichnen Kreise in die Luft, seine Stimme wird lauter, seine Begeisterung ist in jeder Ecke der acht Quadratmeter großen Werkstatt zu spüren. Er zeigt auf einen Holzstoß, legt ein Brett auf die Werkbank:

    "Ich suche mir aus 100 Brettern, ein, zwei Bretter heraus die klingen und das mache ich folgendermaßen. Ich sehe mir zuerst mal die Maserung an und dann halte ich das so und dann und am Nachschwingen, nicht einmal so am Klang, sondern am Nachschwingen erkenne ich ob das was Wert ist, oder nicht."

    Über Holzarten oder über die richtige Maserung kann der Senior reden wie ein Wasserfall. Und das war nur eines der vielen Probleme, die Beyer lösen musste, bis er sein erstes Alphorn fertig hatte. Beyer entwickelte extra eine neue Produktionsmethode, die er sich inzwischen sogar patentieren lies.

    "Ich brauche 1500 Einzelteile, die ich nicht alle einbauen kann. Aber die liegen hier so und die ich wegwerfe, wenn ich sie nicht gebrauchen konnte. Aber 1500 Einzelteile habe ich in Vorbereitung für ein Horn. Im Grunde genommen baue ich ein Jahr an einem Horn jetzt, nachdem ich 15 Jahre experimentiert habe."

    Der ehemalige Lehrer deutet auf rechteckige Holzstückchen, aufgeschichtet zu einem kleinen Berg. Ein Holzpuzzle, das er zu einem Alphorn zusammenleimt, später mit Bootslack streicht, alles erheblich aufwendiger als seine Schweizer Kollegen:

    "Ein Schweizer Horn wird generell in dieser Form so gebaut. Aus einem Stamm wird ein Brett herausgeschnitten und dieser Stamm hat ja Jahresringe. Und diese sogenannte Maserung ist ganz entscheidend für das Klangbrett. Und ich habe mich auch theoretisch mit dem Bau einer Geige beschäftigt. Bei einem geeigneten Holz geht die Maserung nach unten und die Jahresringe müssen zum Klang gehen. Bei mir geht das so, weil ich die Leisten so reinlege, dass die Maserung zur Mitte geht. Und das ist der große Unterschied klanglich gesehen. Sind wirklich Welten."

    Baldurs Anspruch - ist alles andere als bescheiden. Er wollte nicht nur ein Alphorn bauen, sondern das Beste auf der Welt.

    "Ja, Experten sagen, dass das Horn im Moment fast besser ist. Wir spielen lieber mit diesem Horn, klar ich kann es nicht anders sagen, als mit einem sogenannten gewickelten Schweizer Horn. Das hat bautechnische Gründe. Es klingt besser als ein Schweizer Alphorn, ohne das zu übertreiben."

    Selbst der Schweizer Alphornbauer Hans-Jürgen Sommer – quasi der Papst der Alphornbauer – gratulierte dem Mecklenburger zu seinem Norddeutschen Horn und erteilte ihm damit die Absolution für seinen- aus alpenländischer Sicht - Hornfrevel. Baldur Beyer zuckt nur mit den Schultern:

    "Es geht uns darum, die Weite des Mecklenburger Landes zu interpretieren, richtig zu erleben. Das ist eigentlich das Ziel. Mit den Bergen hat das überhaupt nichts zu tun. Und wenn wir hier draußen blasen, dann klingt das genauso wie in den Bergen. Da gibt es überhaupt keinen Unterschied. Das ist ein Irrtum, wenn man sagt, Alphorn in die Alpen beziehungsweise Haut ab oder so was. Also wir werden es hier heimisch machen."


    Baldurs Traum. Nachdem der Rentner drei Alphörner gebaut hatte, gründete er seine eigene Alphorn-Combo, zusammen mit der örtlichen Musikschule, der er ein Horn geliehen hat. Seither wollen die Kinder nicht mehr Klavier und Gitarre lernen, sondern Alphorn. Und was spielt er: Modernes – vielleicht? Baldurs Beyer Mundwinkel zuckt. Solche Fragen kratzen am Ehrgefühl des Hornbauers, entsprechend seine Antwort:

    "Damit sich überhaupt nicht beschäftigen. Wir werden den klassischen Alphornton pflegen und auf keinen Fall Hip-Hop gehen. Aber hier und da auch mal ein moderneres Stück, auch eine flotte Geschichte anbieten."

    Norddeutsches Liedgut und Shanties, das ist es, was Baldur Beyer vorschwebt:

    "Daus open dail. Das wollen wir als Erstes spielen. Mal sehen, wie das funktioniert und ein drittes haben wir. Tütelband. An der Ecke steht ein Junge mit einem Tütelband. Und die Geschichte lautet so, dass er sich darin verheddert und dann fällt er auf die Nase, aber dann jammert er aber nicht, weil ein echter norddeutscher Junge beziehungsweise. Hamburger Junge. Es ist ja ein Hamburger Stück. Und das wollen wir so umsetzen."

    Der erste öffentliche Auftritt im Juni war ein großer Erfolg. Zusammen mit bayerischen Alphornbläsern spielten die Mecklenburger direkt an der Wasserkante der Ostsee auf.

    Natürlich gab es Applaus von den Touristen. Aber noch mehr wirkte das Lob von Alois Biermeier nach, einem Alphornbläser aus Garmisch-Partenkirchen:

    "Super, die sind einfach Musikanten. Die machen das gerne. Mal soll das ja aus Freude machen und nicht wegen Geld oder Bier oder was. Die können es. Es sind auf jeden Fall Musikanten, die können Alphornblasen."

    Baldurs Heimat – ist das Dorf Witzin. Eine paar Häuserreihen auf den Hügelhöhen der Endmoränenlandschaft, eine Bushaltestelle an der Bundesstraße, eine Kirche in Backsteingotik, ein Bolzplatz für die Kinder. Auf einer Wiese- die Hammerwurfanlage für den örtlichen Hausfrauenvereins. Gründer und Trainer des Vereins: Baldur Beyer. Die Kühe auf den Weiden, die Nachbarn, die Sportfreunde: Alle haben sich inzwischen an die neuen Töne gewöhnt, wenn auch anfangs ...

    "Ja, Kopfschütteln dahin gehend, dass sie erst mal verwundert sind. Als wir das zum ersten Mal übten, kam einer mit dem Fahrrand vorbei und sagte, eh, was ist denn hier los. Diesen Klang habe ich noch nie gehört und war dann erstaunt, dass so was überhaupt hier passiert. Andere Bürger sagen im Dorf, Oh, wir haben sie heute bzw. gestern gehört. Oder man wird gefragt, warum haben sie gestern nicht gespielt. Also sie möchten es schon hören, es ist ein Wohlklang der ja auch Ruhe und Frieden ausstrahlt."

    Und so ist es auch an diesem Abend. Ehefrau Helga ruft zum Abendbrot und Baldur Beyer schließt die Werkstatt hinter sich ab. Und morgen, wenn es nicht regnet, dann spielt er wieder: auf dem Alphorn, unten am See.