Eine weit ausholende und kräftig zupackende musikalische "Ballade" hat Luca Francesconi vorgelegt, wobei das Neue, das er bietet, von der alten Gattungsbezeichnung nur bruchstückhaft abgedeckt wird. Man nehme das Werk als Ballade von der Lebensreise schlechthin. Der Mailänder Komponist, Jahrgang 1956, erweist sich als eloquenter Polystilist, der bei den Quellen, die er anzapft, wenig wählerisch sein mag – von raffiniert rollenden symphonischen Meereswellen bis zu schlichter Balladen-Melodie und ungarischem Hackbrett, von virtuosem Kokettieren mit Erbschaften der zweiten Wiener Schule bis zu Tango-Anklängen und einer Prise Akustischer Kunst reicht die Palette der Farben. Die wird auf originäre Weise an- und aufgemischt. Doch waltet bei der Anverwandlung der vorgefundenen Materialien unterschiedlichster Provenienz die größte Sorgfalt und wird durchaus der Wille zu einer ganz eigenen, weithin sehr leicht, ja fast lässig wirkenden Handschrift erkennbar. Wiewohl vielfältig historisch fundiert, erheben sich hier die imposanten Tonkünste, so scheint es, unmittelbar aus den Geräuschen und Betönungen des alltäglichen Lebens. Um dessen Sinn und Widersprüche, Einsamkeiten und Grenzwerte geht es in "The Rime of the Ancient Mariner" von Samuel Taylor Coleridge, einem englischen Demokraten und Parteigänger der französischen Revolution – Umberto Fiori bearbeitete die Dichtung des Literaturkritikers und Philosophen zum Libretto. Und so ergab sich für den ersten Teil die Schilderung einer halb realen, halb als Alptraum sich in Erinnerung rufenden Seefahrt mit vielfältigen metaphysischen Anspielungen, für die noch weiter ausholende zweite Halbzeit ein noch weiter hinausschweifender philosophischer Ausflug. Raureif der Glaubens- und Wissens-Kritik, kontrapunktiert von engelsschönen Sirenengesängen aus dem ersten und zweiten Rang.
Achim Freyers Inszenierung betont narrative Momente in den unzusammenhängenden von Vorgriff und Rückblenden durchschossenen Reiseerinnerungen und Traumbildern. Maria-Elena Amos zitiert bei den Kostümen englische Mode der vorvergangenen Jahrhundertwende. Der alte und der junge Seemann hängen zunächst zusammen wie siamesische Zwillinge. Jeweils einer wendet sich zum Singen oder Rezitieren dem Publikum zu. Dem Alten leuchten dabei rote Abendhimmel, fahle Morgenstimmungen oder gelber Mittag über einem zwischen hohen Klippen als Schattenriss gezeigten Hafenstädtchen. Der junge Seefahrer löst sich von seinem Alter Ego und setzt sich Richtung Äquator in Bewegung, gelangt dann noch viel weiter hinaus. In den "Ozean der Fragen". Aus den Deckluken kommentieren die Choristen. Leuchtröhren umreißen den Bug eines Schiffes, das von einer barbusigen Galionsfigur geleitet wird – zu einem theatralischen Niemandsland. Ist es nun Zeit oder doch noch nicht? Sind wir nun hier oder da? Exil oder Heimat? Erscheint das Gespensterschiff real? Oder ist alles doch nur Traum? Alles in allem findet, wie Coleridge schrieb, "a record from the dream of life" statt. Weitgehend desillusioniert.
Kazushi Ono sorgt für eine intensive Erfüllung der Francesconischen Hörräume und treibt die Musiker zu den Befreiungsschlägen an. Achim Freyers triste und feurige Himmelbilder hinterlegen das weite Feld der Metaphysik, das Coleridge anvisierte. Francesconis kompositorische Virtuosität überhöht sie. Und erdet die abgehobenen Seinserörterungen auch immer wieder auf solide Weise.