Uraufführung "Der gelbe Klang"
Von fünf intensiv gelben Riesen träumte der russische Maler Wassily Kandinsky, so groß wie irgend möglich sollten sie sein, so groß, wie es die Bühnenmaße des Theaters eben zuließen. 1912 beschrieb er im "Blauen Reiter" genau, wie er sich sein theatrales Gesamtkunstwerk vorstellte. "Der Gelbe Klang" hieß seine einaktige Oper, durch die ein Kind und eine dunkle Gestalt wandern sollten, Verkörperungen von Leben und Tod.
Thomas von Hartmann improvisierte zu Kandinskys Einfällen auf dem Klavier, es kam ein Tänzer dazu, Alexander Sacharoff – alles sollte synästhetisch miteinander verschmelzen, Malerei, Musik und Bewegung.
Hatte Kandinsky selbst nie eine Aufführung seines handlungslosen Dramas für Farbe, Ton und Geste erlebt, - der Ausbruch des Krieges 1914 verhinderte die Premiere – so haben sich in den vergangenen 100 Jahren immer wieder Theaterleute am "Gelben Klang" ausprobiert.
Geschenkt, denkt man dann allerdings leider nach Michael Simons Zugriff auf die Vorlage, die der Bühnenbildner, Regisseur und Lichtdesigner jetzt mit dem Bayerischen Staatsballett umsetzte.
Eigentlich rennen da eine halbe Stunde lang nur Tänzer umher und tragen bunte Pappen an Stangen von links nach rechts. Das sind vielleicht Ausschnitte aus Bildern Kandinskys. Das Programmheft jedenfalls zeigt Regisseur Simon mit dem Pinsel in der Hand beim Anfertigen der Puzzleteile. Wenn er Bilder Kandinskys sehe, höre er Musik von Frank Zappa, so Simon.
Im Münchner Nationaltheater spielt das Bayerische Staatsorchester unter der Leitung von Myron Romanul gut gelaunt einige von Zappas Orchesterkompositionen.
Kandinskys Traum von den fünf gelben Riesen aber wartet weiterhin auf seine Verwirklichung. In München gibt es nur einen watscheligen gelben Gummimann und ein weißes Nachtgespenst mit überdimensionalem Babypuppenkopf und viele Tänzer mit farbigen Federn auf dem Kopf, einige Augäpfel auf Beinen und einen laufenden Mund. Unglaublich langweiliges Pseudotheater, das ausgebuht wurde.
Uraufführung von "Spiral Pass"
Mit den anderen beiden Uraufführungen des ambitionierten Ballettabends erging es dem Publikum nur unwesentlich besser. Russell Maliphants "Spiral Pass" zu den einschläfernden Elektro-Klängen des DJ-Komponisten Mukul entfaltete nicht den radikalen Zauber früherer Choreografien des Briten.
Hier meint man, am Ende immer nur gesehen zu haben, wie der prächtige Supermann Marlon Dino die kleine zarte Superballerina Lucia Lacarra längs über seine gut ausgebildete Schultermuskulatur legt, als wäre sie eines dieser wohltuenden Gymnastikgummibänder. Nicht einmal dem Genie-Lichtdesigner Michael Hulls fiel zu diesem Ich-dehn-mich-nach-dir-Ballett etwas ein, das seinen früheren magischen Lichträumen gleich gekommen wäre.
Uraufführung von "Konzert für Violine und Orchester"
Mit Spannung wurde die transatlantische Choreographin Aszure Barton in München erwartet. "Konzert für Violine und Orchester", benannt nach der dazu erklingenden nimmermüden Musik des jungen amerikanischen Komponisten Mason Bates, ist Bartons erste Uraufführung für eine europäische Compagnie. Das Publikum feierte die bravourös athletischen Tänze mit ihren vielen Hebungen und Drehungen und ihrem schicken Post-Forsythe-Ära-Stil und es feierte die bayerischen Tänzer, die in ihren lässigen Pyjama-Looks trotz des hohen Tempos nicht einmal Schweißperlen zeigten. Was jetzt an diesem – ach, Broadway, Jazz, Postneoklassik, Whathaveyou vermischenden Glattgetanze so mitreißend sein soll? Eigentlich war es nur Business-as-usual: Wer Tanz gut international verkaufen will wie Aszure Barton, muss die Tänzer gut aussehen lassen und das Leben auf der Bühne easy.
Es liegt womöglich gar nicht am Bayerischen Staatsballett, wenn der Abend so uninspiriert wirkte. Dramaturgin Bettina Wagner-Bergelt hatte absolut recht, die Frage nach der Synästhesie und dem Beginn der Moderne als Auftrag herauszugeben. Leider muss sie und muss ihr Publikum nun mit den Ergebnissen leben.