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Ballon über dem Pol

Physik. - Aus dem Kosmos kommt nicht nur elektromagnetische Strahlung zu uns, also zum Beispiel sichtbares Licht - auch ein Strom von Elementarteilchen trifft ständig die Erde. Diese Partikel reagieren mit den irdischen Luftmolekülen - und so haben die Forscher durchaus Mühe, an die wertvollen Informationen der kosmischen Teilchen heranzukommen. Derzeit läuft eine neue Messkampagne. Die Teilchensuche findet an einem ungewöhnlichen Ort statt: im Himmel über der Antarktis.

Von Dirk Lorenzen |
    Die US-Station McMurdo am Rand des antarktischen Kontinents, Montag früh deutscher Zeit. Im hellen Tageslicht - über der Antarktis geht in diesen Wochen die Sonne nicht unter - steigt ein riesiger Ballon in die Lüfte. Er trägt einen zwei Tonnen schweren Zylinder von eineinhalb Metern Durchmesser und zwei Metern Höhe. BESS-Polar heißt das Instrument, das zehn Tage lang über der Antarktis schweben soll, erklärt Thomas Hams, Physiker am Goddard Space Flight Center der Nasa:

    BESS ist ein Ballon-geflogenes Teilchenexperiment, das die kosmische Teilchenstrahlung am oberen Rand der Atmosphäre misst. Die Messungen werden in 40 Kilometer Höhe durchgeführt, was etwa viermal so hoch ist wie ein Transatlantikflug, der ja zehn Kilometer hoch ist. Die Winde in 40 Kilometer Höhe sind so, dass das Experiment um den Südpol sozusagen zirkuliert und auch etwa dorthin zurückkehrt, wo man es gestartet hat, so dass man es dann nachher zurückholen kann.

    BESS-Polar misst Ladung, Geschwindigkeit und Masse der Teilchen, die aus dem Kosmos in den Detektor gelangen. Das Gerät registriert etwa 2500 Einschläge pro Sekunde - und die Physiker erhoffen sich von den Daten manchen Geistesblitz.

    Kosmische Teilchenstrahlung ist Strahlung, die irgendwo in unserer Galaxie entsteht, ganz genau kennt man die Prozesse noch nicht. Um das besser zu verstehen, machen wir halt diese Messungen. Dieses Experiment, BESS-Polar, ist im besonderen interessiert an Antiteilchen.

    Antimaterie gehört zu den großen Rätseln der Physik - sie ist gleichsam ein Spiegelbild der "normalen" Materie. Treffen Materie und Antimaterie aufeinander, zerstrahlen sie. Doch offenbar bildet sich im Kosmos Antimaterie immer wieder neu.

    Unter anderem können bei solchen Prozessen, wo also Teilchen und Teilchen bei hohen Energien zusammenstoßen, Antiteilchen entstehen. Also zum Beispiel ein Proton mit hoher Energie trifft mit einem anderen Proton zusammen. Das eine ist ein geladenes schnelles Teilchen, das andere könnte zum Beispiel ein Wasserstoffatom in der Milchstraße sein und bei dieser Wechselwirkung können Antiprotonen entstehen. Das ist ein Prozess, der sehr gut verstanden ist - und auch die Messungen der Antiprotonen, die wir machen, bekräftigen das.

    Aber lassen sich Antiprotonen überhaupt in einem Detektor messen? Müssten nicht die Antiteilchen sofort mit den Teilchen des Detektors zu purer Energie zerstrahlen? Diesen "Strahlentod" erleiden nur langsame Antiprotonen - doch die Kosmische Strahlung ist sehr schnell.

    Die bewegen sich halt fast mit Lichtgeschwindigkeit. Und deswegen können die durch einen Teilchendetektor hindurchgehen und nachgewiesen werden. Sie verhalten sich dann genauso wie das Teilchen, haben aber eine andere Ladung. Das ist das umgekehrte Ladungsvorzeichen: Also ein Proton ist positiv geladen, ein Antiproton ist negativ geladen.

    Diese Antiprotonen hat BESS bereits bei Flügen in früheren Jahren gemessen - jetzt fliegt das Experiment als BESS-Polar erstmals über der Antarktis. Dort lässt das Erdmagnetfeld auch Antiprotonen mit geringerer Energie in die Erdatmosphäre gelangen - und auf die haben es Thomas Hams und sein Team abgesehen:

    Man sieht in den Messungen, dass es dort mehr gibt, als man erwartet. Und da ist halt der Vorschlag, dass es andere Prozesse geben kann, die Antiprotonen erzeugen. Und möglicherweise ist es Hawking-Strahlung, wo im Prinzip Schwarze Löcher verdampfen. Dabei können auch Antiprotonen entstehen, die eben nicht sekundär sind von irgendwelchen Wechselwirkungen, sondern die entstehen wirklich da.

    Bei der Teilchensuche über der Antarktis geht es also um ganz grundlegende Phänomene. Schießen verdampfende Schwarze Löcher mit Antiteilchen nur so um sich? Wird BESS-Polar womöglich sogar größere Partikel aus Antimaterie messen, wie etwa Anti-Helium? Das wäre ein Hinweis auf eine kosmische Parallel-Welt komplett aus Antiteilchen. Die Daten stecken vielleicht schon im Speicher an Bord von BESS-Polar - nun bangen die Physiker, dass die Instrumente nach erfolgreichem Messflug heil geborgen werden. Der Flug von BESS-Polar rund um die Antarktis soll noch gut eine Woche dauern.