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Balzende Kunstflieger locken Kiebitz-Damen

Biologie. - Der Kiebitz ist ein auffallender Vogel, dank seiner Federhaube am Hinterkopf, seinem schwarzen Rücken und dem weißen Bauch mit dem schwarzen Brustband. Im März kann man in ländlichen Gegenden seine beeindruckende Balz beobachten Der Kiebitz ist ein höchst intelligenter und interessanter Vogel. Jetzt haben norwegische Forscher einmal das Familienleben der charakteristischen Vögel unter die Lupe genommen, und dabei auch Interessantes über deren Intelligenz gelernt.

Dagmar Röhrlich |
    Mit tief ausholenden Flügelschlägen fliegt der Kiebitz knapp über dem Acker, steigt abrupt mit raschen Schlägen fast senkrecht in die Luft, stößt laute, heisere Rufe aus. Das Männchen fliegt ein Stück geradeaus, stürzt sich dann kopfüber mit einem "Salto mortale" hinab, rollt sich auf den Rücken, schlägt laut rufend zwei, drei Purzelbäume in der Luft und fängt - mit schnellen Flügelschlägen - den Sturz kurz vor dem Bodens ab. Balzende Kiebitze sind Kunstflieger - aus gutem Grund, erläutert Ingvar Bjerkedal, Biologe an der Universität Bergen .

    Eines der ersten Dinge, die eine Kiebitz-Weibchen bei einem Revierinhaber begutachtet, sind seine akrobatischen Flugvorführungen. Seine Bewegungen gleichen denen, mit denen er Krähen verjagt. Wir haben in unserem Beobachtungsgebiet Videoaufnahmen von den Balzflügen aller Männchen gemacht. Das Ergebnis: Je akrobatischer die Flüge waren, um so mehr Weibchen konnten ein Männchen in sein Revier locken.

    Während die Hälfte der Kiebitz-Männchen so ein Weibchen für sich einnehmen können, schaffen es weitere 40 Prozent, mehr als eine Dame zu fesseln, während die übrig bleibenden zehn Prozent keine Partnerin finden und Junggesellen bleiben. Die Kiebitzweibchen sind also wählerisch, und die Flugkünste ihrer Partner bedeutet ihnen so viel, dass sie sogar als Zweit-, Dritt- oder Viertfrauen in sein Revier ziehen.

    Sie wählen dieses Männchen, denn aus seinen Flugkünsten schließen sie, wie gut ihr künftiger Partner sein Revier vor Krähen schützen kann. Es gibt tatsächlich eine gute Übereinstimmung zwischen der Fähigkeit der Männchen, Krähen zu jagen und ihrem akrobatischen Flugvermögen bei der Balz.

    Deshalb lässt sich das Weibchen auch gerne überzeugen. Aber was passiert, wenn es in einem Revier schon eine Kiebitzin gibt? Wie nimmt sie die neue Rivalin auf?

    Das Weibchen ist natürlich sehr daran interessiert, dass es dieses Männchen und die Ressourcen seines Territoriums für sich und seine Jungen alleine behält, während das Männchen seine Gene so weit wie möglich verbreiten will, denn für ihn ist es ziemlich gleichgültig, ob er ein Nest zu verteidigen hat oder vier, für ihn bleiben die Flugmanöver gleich. Wir sehen bei den Kiebitzen also den klassischen Geschlechterkampf.

    Und - wenn man so will - mit den klassischen Folgen. Becirct ihr Partner eine neue Kiebitzdame und lässt die sich dann auch tatsächlich in seinem Revier nieder, wird die "alteingesessene" sehr wütend.

    Sie greift dieses neue Weibchen sofort an und versucht sie zu verjagen. Dann passiert etwas Phantastisches: Das neue Weibchen ruft den gemeinsamen Partner zu Hilfe und der greift ein. Er schlägt seine Erst-Dame mit den Flügeln, pickt sie und behandelt sie richtig hässlich, um sie von seiner neuen Partnerin wegzutreiben.

    Von diesen ehelichen Handgreiflichkeiten abgesehen, beschränkt sich der Haremsbesitzer darauf, die Nester zu verteidigen. Brutgeschäft und Kükenaufzucht bestreiten die Damen - und dabei sind sie alles andere als kollegial zu ihren Artgenossinnen. Sie erobern für sich und ihre Küken auf dem großen Territorium ihres Partners ein kleines Unterterritorium. Sind die Küken da, darf sich keine Rivalin auf ihr Gebiet trauen. Kiebitze, so Ingvar Bjerkedal, zeigen ein sehr komplexes Verhalten - und sind immens lernfähig. In einer Saison hatten er und seine Kollegen es sich in den Kopf gesetzt, die Vögel mit Farbringen zu versehen, um sie über die Jahre einfacher erkennen zu können. Dazu stellten sie ein Netz auf, unter das sie ein Vogelnest legten und eine ausgestopfte Krähe direkt daneben setzten.

    Wir dachten, dass das Vogelpärchen das Nest verteidigt, sich dabei im Netz verfängt und wir sie beringen können. Wir waren noch nicht einmal 50 Meter von unserer Falle entfernt, als die beiden schon im Netz zappelten. Die anderen Kiebitze in der Gegend aber verstummten, kamen heran und beobachteten ganz genau, was da passierte. Wir beringten die beiden Vögel, ließen sie frei und zogen mit unserer Krähe unter dem Arm zum nächsten Nest. Wir glaubten, dass das jetzt ein einfaches Spiel wird - aber weit gefehlt - die anderen Kiebitze kamen noch nicht einmal in die Nähe des Nestes.

    Und die Biologen hatten das Nachsehen. Kiebitze können also für sich aus einer Erfahrung lernen, die andere Artgenossen gemacht haben - eine bemerkenswerte Leistung.