Dienstag, 23. April 2024

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Bamberger Symphoniker
Brahms trifft Dvořák

Auf dem klassischen CD-Markt tummeln sich derzeit etliche Neueinspielungen der Sinfonien von Johannes Brahms. Jakub Hrůša kombiniert als Chef der Bamberger Symphoniker die Werke von Brahms mit Sinfonien von Antonín Dvořák. Nun ist die zweite Folge dieses Aufnahmeprojekts erschienen. Brahms' Dritte trifft auf Dvořáks Achte.

Am Mikrofon: Christoph Vratz | 10.06.2019
    Der Dirigent Jakub Hrůša dirigiert mit Taktstock
    Seit 2016 ist der Tscheche Jakub Hrůša Chefdirigent der Bamberger Symphoniker (Andreas Herzau)
    Brahms verbindet in seiner Dritten orchestrale Monumentalität und kammermusikalische Ökonomie, mitreißendes Pathos und einen liedhaft-schlichten Tonfall. So findet er zu einer neuartigen persönlichen Sprache, die für seinen Spätstil bezeichnend sein wird.
    Musik: Johannes Brahms: Sinfonie Nr. 3 F-Dur, op. 90
    Mit drei choralähnlichen langen Akkorden eröffnet Johannes Brahms seine dritte Sinfonie, bevor sich das erste Thema mit seufzerartigen Intervallen seinen Weg bahnt. "Allegro con brio" fordert Brahms, also, im besten Sinne eines Beethoven-Erben, "mit Feuer". Doch schnell wird klar: Der feurige Charakter klingt hier eher verhalten. Die Bamberger Symphoniker unter ihrem Chefdirigenten Jakub Hrůša nehmen den Anfang vom Tempo her moderat, vom Gestus her breit.
    Musik: Johannes Brahms: Sinfonie Nr. 3 F-Dur, op. 90
    Wenn dann die Klarinette ein neues Thema anschlägt und Brahms "grazioso" fordert, gewinnt die Sinfonie einen intim-freundlichen Charakter.
    Musik: Johannes Brahms: Sinfonie Nr. 3 F-Dur, op. 90
    Mit diesen beiden Themen sind die beiden Pole, zwischen denen die Bamberger Einspielung pendelt, klar abgesteckt. Ein groß-sinfonischer, weit ausholender Klang einerseits und ein genau aufeinander abgestimmtes, kammermusikalisches Miteinander andererseits.
    So weit so gut. Doch reicht das, um den Hörer mitzureißen? Jakub Hrůša, einer der stillen Shooting-Stars der Branche, ist seit Herbst 2016 musikalischer Chef in Bamberg und hat sich dort schnell in die Herzen der Musiker und des Publikums dirigiert. Zu Recht, wie beispielsweise seine Einspielungen von Smetanas "Mein Vaterland" und Bartóks "Konzert für Orchester" zeigen. Das aktuelle CD-Projekt erstreckt sich über mehrere Folgen und kombiniert Sinfonien von Johannes Brahms und Antonín Dvořák. Ein kluger programmatischer Schachzug, denn auf diese Weise lassen sich die gegenseitigen musikalischen Einflüsse gut nachvollziehen: der Hamburger Wahl-Wiener Brahms hier und der durch böhmisches Musikantentum geprägte Dvořák dort. Nach einer Doppel-CD mit der vierten Sinfonie von Brahms, gekoppelt mit der Neunten von Dvořák, liegt nun mit der dritten Brahms-Sinfonie und der Achten von Dvořák das nächste Doppel dieser reizvollen Paarung vor, aufgenommen im Frühjahr 2018 in der Konzerthalle von Bamberg.
    Musik: Johannes Brahms: Sinfonie Nr. 3 F-Dur, op. 90
    Mit "Andante", also gehend, hat Brahms den zweiten Satz seiner F-Dur-Sinfonie überschrieben. Hrůša entscheidet sich für eine moderate Deutung dieses Zeitmaßes. Die Klarinetten geben, flankiert von den Fagotten, die Richtung vor. Was man hier jedoch allenfalls erahnen kann, sind die Hörner, die sich mehrfach an- und abschwellend hinzugesellen.
    Brahms-Interpretation aus längst vergangener Zeit
    Daher zum Vergleich der Beginn dieses zweiten Satzes nun mit dem Musikkollegium Winterthur unter Thomas Zehetmair, die vor kurzem eine Gesamteinspielung aller vier Brahms-Sinfonien vorgelegt haben.
    Musik: Johannes Brahms: Sinfonie Nr. 3 F-Dur, op. 90
    Die Schweizer setzen die "Andante"-Vorgabe ungleich flüssiger, bewegter um und lassen zugleich die Finessen der Brahmsschen Instrumentierung klarer hervortreten. Dieser Vergleich ist stellvertretend: so solide und ausgewogen die Einspielung der Bamberger Symphoniker auch ist, sie erinnert doch an eine Zeit, die längst vergangen scheint: Brahms als der große Sinfoniker, als Klassiker, breit im Klang, ein bisschen dickflüssig in der Linienbildung.
    Doch nicht nur die Aufnahmen eines Thomas Dausgaard oder John Eliot Gardiner, sondern jüngst auch die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen unter Paavo Järvi und nun auch Thomas Zehetmair zeigen, wie diese Musik zu leuchten und zu schillern beginnt, wenn man sie wie unter dem Mikroskop betrachtet. Sobald sich die weiten Linien in ein Mosaik einzelner Segmente auflösen, tritt der stellenweise rhapsodische Charakter dieser Musik mit all ihren Nuancen ungleich deutlicher hervor. Auf diesem Hintergrund stellt sich die Frage, warum die Bamberger im dritten Satz "Poco Allegretto" fast ausschließlich einen schmerzlichen Charakter herausarbeiten.
    Musik: Johannes Brahms: Sinfonie Nr. 3 F-Dur, op. 90
    Zum Vergleich folgt nochmals das Musikkollegium Winterthur unter Thomas Zehetmair. Hier ist die Artikulation eine völlig andere. Folge: Der von Brahms geforderte "espressivo"-Charakter in den Celli tritt deutlicher hervor, und gleichzeitig setzen sich davon kontrastierend die luftigen Triolen der Geigen ab. So erscheint dieser dritte Satz eher wie ein intermezzoartiges Scherzo und erhält überdies innerhalb der Satzstruktur der Sinfonie eine viel klarere Bedeutung.
    Musik: Johannes Brahms: Sinfonie Nr. 3 F-Dur, op. 90
    Am überzeugendsten in der Bamberger Neueinspielung der dritten Brahms-Sinfonie gerät das Finale, wo der strömende Fluss, geprägt von Spielfreude, und die einzelnen pointillistischen Effekte eine gelungene Allianz bilden.
    Musik: Johannes Brahms: Sinfonie Nr. 3 F-Dur, op. 90
    "Ich sage und übertreibe nicht, dass dieses Werk seine beiden ersten Symphonien überragt; wenn auch nicht vielleicht an Größe und mächtiger Konzeption, so aber gewiss an Schönheit!" Soweit Antonín Dvořák, nachdem er erstmals die dritte Sinfonie von Johannes Brahms gehört hatte.
    Umgekehrt zeigte sich Brahms nicht sonderlich begeistert von Dvořáks achter Sinfonie. Sybillinisch monierte er, dass ihr "das Wichtigste" fehle, was auch immer er damit gemeint haben mag. Diese beiden Aussagen werden im weitesten Sinne auch im ausführlichen Beiheft-Interview mit Jakub Hrůša beleuchtet. So erklärt sich, wie spannend die Kombination dieser beiden Sinfonien wirklich ist.
    Musik: Antonín Dvořák: Sinfonie Nr. 8 G-Dur, op. 88
    Kraft, Energie und slawisches Melos
    Auch bei Dvořák ist der erste Satz mit "Allegro con brio" überschrieben. Hier jedoch zeigen die Bamberger Symphoniker schon bei der ersten Steigerung, was damit gemeint ist und was diese Sinfonie auszeichnet: Kraft und Energie, gepaart mit slawischem Melos.
    Musik: Antonín Dvořák: Sinfonie Nr. 8 G-Dur, op. 88
    Die Proportionen, die Jakub Hrůša zu einem organischen Ganzen fügt, stimmen. Dieser Satz tritt, trotz seiner retardierenden Momente, nie auf der Stelle. Dafür sorgen allein schon die seidigen Streicher.
    Musik: Antonín Dvořák: Sinfonie Nr. 8 G-Dur, op. 88
    Man könnte es sich jetzt einfach machen und behaupten: der in Brünn geborene Jakub Hrůša hat diese Musik im Blut. Doch alles ist dramaturgisch genau durchdacht und innerhalb der einzelnen Instrumentengruppen gut ausbalanciert. Gerade deshalb kommt das Natürliche, Selbstverständliche so klar zum Vorschein, die Gesanglichkeit und die Fähigkeit, die unterschiedlichen Farben der Themen in ihrem jeweiligen Charakter hörbar zu machen. So auch im Adagio, wenn sich die leisen, naturstimmenhaften Dreiklänge der Flöten mit dem dunkel-schwermütigen Gesang der Klarinetten abwechseln.
    Musik: Antonín Dvořák: Sinfonie Nr. 8 G-Dur, op. 88
    Prägnant wie Signalrufe schmettert im weiteren Verlauf die Trompete. Die Umschwünge leben vom Moment des Augenblicks.
    Musik: Antonín Dvořák: Sinfonie Nr. 8 G-Dur, op. 88
    Davon setzt sich kontrastreich das "Allegretto grazioso" ab: ein Walzer, so leicht und elegant und so schmerzlich zugleich. Die Bamberger Symphoniker scheinen in den Anfang dieses Satzes hineinzuschweben, bevor sich der Klang langsam verdunkelt. Wo Brahms die begleitenden Triolen im dritten Satz den Geigen anvertraut, verlegt Dvořák sie in auffallender Analogie in die Flötenstimme.
    Musik: Antonín Dvořák: Sinfonie Nr. 8 G-Dur, op. 88
    Am Beginn des Finales kommt abermals die Trompete zu einem Solo. Sie sorgt gleich für gesteigerte Aufmerksamkeit und garantiert beim Hörer eine Hab-Acht-Stellung.
    Musik: Antonín Dvořák: Sinfonie Nr. 8 G-Dur, op. 88
    In diesem Finale gehen manche Dirigenten gern aufs Ganze. Doch Hrůša lässt sich nicht verführen, zumal Dvořák nur ein "Allegro ma non troppo" fordert, also schnell, aber bitte schön, nicht zu sehr. Man muss die Emphase klug kanalisieren, sobald das erste Tutti losbricht und sich dann die Flöte solistisch aus dem Verbund herausschält.
    Musik: Antonín Dvořák: Sinfonie Nr. 8 G-Dur, op. 88
    Dieses Finale dient, wenn es gelingt, gern als Kunststück des Balance-Haltens. Einerseits verführt es zu einem entfesselten Musizieren und zu unrhythmischem Übermut. Andererseits wohnt an einigen Stellen eine gewisse Vornehmheit, ein nobler Gestus, der nicht im Temperamentsschwung untergehen darf.
    Musik: Antonín Dvořák: Sinfonie Nr. 8 G-Dur, op. 88
    Die Bamberger Symphoniker meiden jede Übertreibung, Hrůša lässt der Pracht dieser Musik zwar Raum, doch nie ungehemmt oder unkontrolliert. Strömende Eleganz und mitreißende Dynamik sind hier das Ergebnis von klug bemessener Geschwindigkeit und bezeugen ein tiefes Verständnis für Dvořáks Musik. Das macht diese Aufnahme letztlich so reizvoll und lohnend.
    Musik: Antonín Dvořák: Sinfonie Nr. 8 G-Dur, op. 88
    Johannes Brahms: Sinfonie Nr. 3 F-Dur, op. 90
    Antonín Dvořák: Sinfonie Nr. 8 G-Dur, op. 88
    Bamberger Symphoniker
    Ltg.:Jakub Hrůša
    Tudor (LC 02365) 1743
    EAN: 812973017431