Samstag, 04. Mai 2024

Archiv

Bambuswald in Südkorea
Der Klang des wachsenden Grases

Damyang im Südwesten Südkoreas ist international als Heimat des koreanischen Bambus bekannt. Ein Viertel des gesamtkoreanischen Bambusbestandes steht hier. Die schnell nachwachsende Pflanze gehört zum Leben der Einheimischen. Er ist zentraler Bestandteil ihrer Küche und des Kunsthandwerks.

Von Bodo Hartwig | 30.03.2014
    Bambuswald
    Bambuspflanzen werden bis zu 18 Meter hoch (Deutschlandradio / Bodo Hartwig)
    Weit öffnet sich das Tal Richtung Süden. Das Grün der Berge changiert in der warmen Frühlingsluft zwischen oliv, türkis und opal. Dazwischen unzählige Felder und Gewächshausreihen, von fleißigen Händen frisch bestellt. Durch diese fruchtbare Ebene hindurch fließt eine der wichtigsten Wasseradern des Landes, der Yeong-San-Fluss. Der Sage nach wuchs hier oben in den Bergen einst ein junger Drache heran. Als er die Höhle seiner Geburt mit lautem Flügelschlag verließ, machte er die Quelle des Flusses frei, und fortan bahnte sich das Wasser seinen Weg ins Tal. Heute bildet ein künstlicher Staudamm zwischen den dicht bewaldeten Schluchten ein großes Wasserreservoir. Auf seinem weiteren, gut einhundert Kilometer langen Weg zum Gelben Meer durchquert der Yeong-San als erstes den Ort Damyang.
    Damyang. Kreisstadt des gleichnamigen Landkreises, knapp 15.000 Einwohner. In den Ladenstraßen sitzen ältere Frauen auf dem Gehweg und preisen Gemüse, Kräuter und frisch geschnittene Bambussprossen an. Die armstarken, rötlich-braun schimmernden Bambus-Triebe sehen aus wie riesige ungeschälte Maiskolben. Als Grundlage für viele traditionelle Speisen fehlen sie derzeit in keiner von Damyangs Küchen.
    Unweit des Yeong-San Flusses, an dessen Uferpromenade sich zahlreiche Imbissstuben und Restaurants angesiedelt haben, führt eine Brücke hinüber zu dem zentralen Bambuspark der Stadt. Anfang des Jahrtausends erst wurde der Hügel mit mehr als 30 Hektar grünem Bambus kultiviert. Inzwischen flanieren im sogenannten "Juk Nog Won", auf kilometerlangen, abgesteckten Wegen jährlich über eine Million Besucher durchs Gehölz.
    "Ich komme aus Seoul. Ich bin hier, um etwas Ruhe zu finden und auch lecker zu essen. Damyang ist ja berühmt für seinen Bambuswald. Also: Die Bäume sehen, die Augen entspannen und einfach erholen."
    "Ein schöner Ort für Zweisamkeit," meint diese Besucherin aus Gwangju, und ihr kanadischer Freund ergänzt: "Hier kann man gut sein Wochenende verbringen, frische Luft schnappen und Fotos von diesen herrlichen Bäumen machen. Wirklich ein toller Zufluchtsort vor der Stadt."
    "In Singapur, wo ich herkomme, sieht man wenig Bambus, daher ist es schön, hier einmal diese spezielle Szenerie zu erleben. Das Rascheln der Bambuszweige vermittelt Gelassenheit und Frieden. Andererseits fühlt man sich fast wie in einem chinesischen Martial-Arts-Film."
    "Bambus ist ja eine ganz besondere Pflanze."
    Wachstum von 1,25 Meter pro Tag
    Dr. Dirk Fündling. - 1,90, kräftige Statur, kurzes graues Haar.
    "Sieht irgendwie aus wie ein Baum, die Botaniker sagen, es ist ein Gras, aber nur sehr viel größer."
    Der 60-jährige frühere Berliner lebt schon länger in Damyang, hat sogar die koreanische Staatsbürgerschaft. Er ist ehrenamtlich in diversen Verbänden rund um den Bambus engagiert.
    "Was auffällt, ist, dass Bambus sehr viel schneller wächst, als normale Bäume, bis zu 1,25 Meter pro Tag, das muss man sich mal vorstellen, 1,25 Meter pro Tag wächst ein junger Bambusschössling bis zu einer Endhöhe dann von 17, 18 Metern."
    Wahrlich genug, um dabei zuzuschauen. Die Frage ist, ob ein so schnelles Wachstum nicht auch zu hören ist ...?
    Ein kleiner traditioneller Pavillon am anderen Ende des Parks. Im Schneidersitz bearbeitet Fächer-Meister Kim Dae-Seokkleine Bambusholzstreifen. Mit einem scharfen Messer kürzt er sie paketweise auf Länge und verjüngt sie dann am anderen Ende um zwei Drittel.
    "Wachstumsgeräusche habe ich bisher noch nicht gehört. Ein Rauschen in den Blättern gibt es natürlich. Aber wenn man die Sprösslinge wachsen hören will, dann müsste man wahrscheinlich einen ganzen Tag lang dort lauern. Im Vorbeigehen wird das sicher nichts."
    Der Kunsthandwerker wendet sich einem gewölbten Holzblock zu, betupft und bestreicht darauf die schmale Seite der Bambusstreifen mit Reismehl-Kleister. Stück für Stück klebt er die Fächerspeichen nun im Halbkreis auf weißes, halbrund ausgeschnittenes Maulbeerpapier, das wie eine Ziehharmonika gefaltet ist.
    "Aber warten Sie ruhig mal eine Weile im Schatten. Die Sprösslinge sind ja gerade überall frisch rausgekommen, die Sonne strahlt, und der Wind weht. Wenn dann die äußeren Schalen abfallen, könnte man vielleicht was hören ..."
    Mit gekonntem Schwung öffnet und schließt der Meister den neuen Fächer zur Probe und wendet sich dann dem nächsten Exemplar zu. Kunstgewerbliches aus Bambus wird heute überwiegend an Touristen verkauft. Und die sind an diesem herrlichen Wochenende zahlreich gekommen. Die Vorstellung, ob und wie der um sie herum sprießende Bambus vielleicht klingen mag, überrascht jedoch selbst die einheimischen unter ihnen etwas, in der Fantasie der Koreaner könnte es sich aber vielleicht so anhören:
    "Diese Besonderheit von Bambus im Wachstum, in der Art des verholzten Halmes hat die Menschen seit Jahrhunderten begeistert. Begeistert deshalb, weil Bambus sehr vielseitig verwendbar war. Ganz anders als normales Laub- oder Nadelholz, ist das Bambusmaterial sehr biegsam, sehr zäh, sehr elastisch, alles Eigenschaften, die eben ermöglichen, daraus Körbe zu flechten, Matten zu flechten etc."
    Junge Leute wollen das Handwerk nicht weiterführen
    Ein Dorf am Rande der Stadt. Hinter einem hellblauen Tor aus Blech liegt der Hof von Korbmacher Nam Sang-Bo. Gerade spaltet der drahtige Mann mit einem dicken Messer ein grünes, acht Meter langes Bambus Rohr. Etwa alle 40 Zentimeter muss er hierfür die sogenannten Nodien durchschlagen, die stabilisierenden Knoten im Halm. Das kostet Kraft, aber die Handgriffe sitzen: Erst halbieren, dann vierteln, dann achteln - immer weiter teilt der Grauhaarige die langen Streifen, bis sie schließlich nur noch wenige Millimeter stark sind.
    "Vor der Befreiung von den Japanern, gegen Ende des Zweiten Weltkrieges habe ich schon diese viereckigen Proviantboxen für die Soldaten der Luftwaffe gemacht. Die Leute haben die dann mit ins Flugzeug genommen und uns Reis dafür gegeben. Ich ging damals noch zur Schule, die Lebensmittel waren knapp und wertvoll. Ungefähr 70 Jahre müsste das jetzt her sein."
    Der heute 82-Jährige mit dem freundlichen Gesicht hat sein Sortiment seither nur wenig erweitert. Hübsche, schlichte Körbe, in verschiedener Größe mit Deckel. Das Prinzip der Herstellung in manueller Handarbeit blieb dabei stets unverändert.
    "Je nach Größe mache ich um die drei Stück pro Tag. Mit den umgerechnet 17 Euro, die ich dafür bekomme, verdiene ich allerdings so gut wie nichts. Und deshalb wollen auch die jungen Leute das Handwerk nicht fortführen."
    Der Korbflechter geht in sein kleines Atelier. Den Strang der frischen Bambusfasern zieht er durch ein kleines Loch in der Wand zu sich herein und verarbeitet sie zu einem neuen Korb. Ein weiterer von wohl schon Zigtausenden in seinem Leben. Der Beruf hat seine Spuren hinterlassen an den Händen und Fingernägeln des alten Mannes.
    Bambuswald
    Nicht jeder Bambuswald ist begehbar. (Deutschlandradio / Bodo Hartwig)
    Etwas außerhalb der Stadt, an einer von hohen Metasequoias gesäumten Ausfallstraße befindet sich die Werkstatt von Musikinstrumentenbauer Kim Jong-Hyeok. In einem ehemaligen Ladengeschäft türmen sich Trommeln, Flötenrohlinge und Bündel aus Bambusfasern auf dem Boden und in Regalen. Der Mittvierziger in blauem Sporthemd und legerer Hose tüftelt hier an historisch überlieferten, fernöstlichen Instrumenten, wie der Saenghwang, einer Mundorgel mit 17 Bambusröhrchen oder an Eigenkreationen, wie diesem "Regenmacher" aus einem Bambus Rohr.
    Weit geläufiger in Korea sind die alten Perkussionsinstrumente "Buk" und "Janggu", denen er sich am meisten verschrieben hat. Die "Fass-" und die "Sanduhrtrommel" sind beim "Samul Nori",dem"Spiel der vier Dinge"zu hören - Tanz- und Rhythmusdarbietungen, welche ihren Ursprung in der traditionellen Musik der Landbevölkerung haben.
    "Eigentlich werden solche Trommeln ja aus dem Holz des Paulowniabaumes hergestellt, ein in Korea eher seltenes und teueres Material, das sich früher kaum jemand leisten konnte. Unsere Vorfahren hier in Damyang haben dann eine Methode entwickelt, den Korpus der Trommeln aus Bambusgeflecht nachzubilden. Ich hörte von dieser Tradition und war sofort davon angetan, fest entschlossen, diese alten Bambusklänge wiederzubeleben."
    Originalinstrumente von früher gibt es keine mehr. Das Wissen um die Trommeln aus Bambus basiert allein auf mündlicher Überlieferung und Vermutung. Dem Instrumentenbauer blieb also nur das Experiment.
    "Das Problem war natürlich, dass ein Resonanzkörper nur dann klingt, wenn er abgeschlossen ist. Bambusflechtwerk aber ist ja eine offene Struktur. Nach langer Überlegung bin ich darauf gekommen, die Innenseite des Korpus mit dickem Maulbeerpapier zu bekleben und damit abzudichten. Und das hat dann nach einigen Versuchen mit den meisten Trommeln auch überraschend gut funktioniert."
    Aber Kim Jong-Hyeok - selbst ein passionierter Samul Nori Spieler - hat den Ehrgeiz, den Klang noch weiter zu perfektionieren und zu gestalten. Dabei entwickelt er auch stetig neue Modelle und Bauformen.
    Dieses Bambustrommelkonzert im historischen Bergdorf Muwol spielen die Musikerinnen und Musiker in ihren schwarzen Schwertkämpfergewändern dann auch allesamt auf seinen Instrumenten.
    Fester Bestandteil der Küche
    Zurück in der ländlichen Peripherie von Damyang Stadt und unterwegs in einem von zahlreichen privaten Bambushainen. Dr. Fündling inspiziert in einer kleinen Gruppe aus Fachleuten das Wachstumsstadium der Sprösslinge, die auch hier gerade überall aus dem von gelblichem Laub bedeckten Boden geschossen kommen. Vielleicht ein guter Ort, um den Bambus wachsen zu hören?
    "Das heißt, hier wäre zum Beispiel eine gute Stelle, weil die über dem Punkt hinaus sind, wo sie langsam wachsen, oder umgekehrt ausgedrückt, die sind jetzt schon so weit, dass sie dieses sehr schnelle Längenwachstum erreicht haben, nicht, da sind welche, leichter Zugang ..."
    Befestigte Wege, wie im städtischen Bambus-Park gibt es hier natürlich nicht, aber der Fachmann sieht sofort, dass es sich um einen gepflegten Wald handelt.
    "Normalerweise, wenn das wilder wäre, da kommt man gar nicht rein. Ein wilder Bambuswald ist nicht begehbar. Da stehen die also im Abstand von zehn Zentimetern oder so, da kommt keine Maus durch. Es ist stockfinster da drin, weil das Licht alles von oben abgehalten wird, und als Mensch hat man da keine Chance reinzukommen. Deshalb, überall wo der Bambuswald genutzt wird, da wird sehr viel herausgeschnitten, damit er halt etwas lockerer steht, so, dass man da auch durchgehen kann und zum Beispiel die Bambussprossen ernten kann."
    Doch außer ein paar Kühen im Tal ist hier an diesem windstillen Tag kaum etwas zu hören. Zumindest nichts, was mit dem unmittelbaren Wachstum von Bambus in Verbindung stehen könnte.
    Ein Forstarbeiter ist mit dem Zerkleinern von frisch geernteten Sprossen beschäftigt.
    "Man halbiert sie längs, macht die Schale ab, kocht sie dann ungefähr eine Stunde vor, und dann lässt man sie noch zwei, drei Stunden im Wasser liegen. Danach kann man sie entweder direkt verzehren, zum Beispiel mit rohem Fisch, oder einlegen als Beilage, oder einen kräftigen Sojabohnen Eintopf davon machen, und vieles andere mehr."
    Emsiges Treiben im Waldrestaurant "Jug Lim Won", die halbe Belegschaft ist bei der Vorbereitung des sogenannten "Drachen-Menüs". Rund zwanzig Gäste sitzen bereits an einer zwölf Meter langen Festtafel, inmitten eines wahrhaftigen Märchenwalds aus riesigem Bambus. Zwei sechs Meter lange Bambusrohre, die in einem länglichen Ofen schmoren, müssen jetzt herausgenommen und serviert werden. Eine duftende Dampfwolke entweicht. Vier Leute hieven das 300 Grad heiße Schmorgut hinüber zu den Tischen, von wo aus die Blicke der Kundschaft schon erwartungsvoll auf das lange Kochutensil gerichtet sind.
    Mit dem Akkuschrauber wird die obere Hälfte des zweigeteilten Stammes entfernt. Was dann zum Vorschein kommt, lässt Gourmetherzen höher schlagen. Jedes Segment der fast zwanzig Zentimeter starken Röhre beherbergt eine von zehn verschiedenen traditionellen Speisen, allesamt über dem Holzfeuer gegart.
    Restaurantbetreiber Choi Kyeong-Nam:
    "Also, hier drin haben wir Rippchen, Oktopus, Krebse, Abalonen, Trockenfisch, Muscheln, eingelegtes Rindfleisch, Hühnerfleisch, Eier, und Bambusreis. Das Ganze zwei Stunden lang im eigenen Saft geschmort, und angereichert mit den Aromen und Mineralien dieser Bambusröhre verschafft ein unvergleichliches Geschmackserlebnis. Letztlich entsteht aber auch durch das gemeinsame Essen hier aus diesem exotischen Gefäß eine kommunikative und gesellige Atmosphäre. Es macht einfach Spaß. Und das mögen die Leute."
    Der Klang des wachsenden Grases
    Das gastronomische Gesamtkonzept des "Jug Lim Won"steht also ganz im Zeichen des Bambus, und davon gibt es hier wahrlich genug. Für den Betrieb seines Restaurants rodet der Wirt um die 3000 Bäume im Jahr. Aber jeder gefällte Baum macht Platz für zehn neue, sagt er. Und die wachsen ja bekanntlich schnell nach.
    Zur Feier des Tages bringt der 58jährige ein besonderes Stück Bambus-Rohr und schüttelt es stolz: Bamboo Wine. Ein 2000er Jahrgang. Das geschlossene Rohr lagerte in 20 prozentigem Alkohol. Über die Jahre ist dieser in die Hohlräume des Bambus hinein diffundiert und nahm dabei seine Aromen und Mineralien auf. Der Geschmack des bräunlichen Getränks soll an Eichenholzfass und Whisky erinnern, ist natürlich nur "viel gesünder" - und darauf stößt man jetzt an.
    Während sich die Gäste in der Nacht vom Feiern erholen dürften, wachsen im Wald die Sprossen ein ganzes Stück weiter. Und wer früh genug aufsteht, der kann ihn dann hören, den "Klang des wachsenden Grases".