Als der Physiker Professor Metin Tolan vor knapp zehn Jahren an die Uni Dortmund kam, da stand für ihn fest: Wohnen wollte er in Hörweite des Stadions. Denn:
"Ich bin natürlich großer Fußballfan, und ich bin Physiker von Beruf. Und als Physiker versucht man sowieso eigentlich, viele Sachen zu erklären - und da bot es sich eigentlich an, mal den Fußball zumindest zu versuchen, quantitativ zu erklären."
Und so hat Metin Tolan ein Buch über die Physik des Fußballs geschrieben. Zwar mit vielen Formeln, aber in seinen Aussagen auch für Laien gut verständlich. Ein Thema ist natürlich das Spielgerät selbst:
"Was passiert eigentlich, wenn ein Ball durch die Luft fliegt?"
Hörfunk-Reportage Manni Breuckmann: ""Agali - aus einem unmöglichen Winkel - aber er setzte den Ball dann aus diesem spitzen Winkel hinter Torhüter Thomas Ernst in den Kasten."
"Das ist ja nicht Zauberei, wenn da jemand so ein schönes Tor schießt, sondern das muss eigentlich was mit den Naturgesetzen zu tun haben."
Und dem geht Tolan auf den Grund. Etwa - "Freistoß Kaltz" - - dem Bananenflanken-Effekt: Wenn ein Ball sich im Flug dreht, dann entstehen Wirbel, und die drücken ihn aus der geraden Flugrichtung heraus. Bei einem 30-Meter-Schuss und fünf Ballumdrehungen pro Sekunde um fast zwei Meter. Allerdings entweder in der einen oder der anderen Richtung, ohne dass der Ball flattert. Denn ein Fußball hat keine glatte Oberfläche.
"Wenn der Ball völlig glatt wäre, dann würde er flattern!"
Dann ergäbe sich nämlich der kuriose Effekt, dass der Luftwiderstand bei einer gewissen Ballgeschwindigkeit nicht weiter zu-, sondern abnimmt. Beim Fußball aber bilden sich durch die Nähte auf seiner Oberfläche besondere Luftwirbel. Und die bewirken, dass der Luftwiderstand stetig immer weiter zunimmt, je schneller der Ball fliegt. Deshalb kann er nicht flattern.
"Das sehen Sie auch zum Beispiel beim 1:0 von Piotr Trochowski gegen Wales im WM-Qualifikationsspiel. Das wird auch als Flatterball verkauft, in Wirklichkeit sehen Sie aber, wie der Kameramann die Kamera bewegt. Wenn Sie sich nur auf einen Punkt konzentrieren und den Ball verfolgen, dann sehen Sie, in Wirklichkeit geht der Ball relativ gerade ins Tor! Ohne auch nur irgendwie zu flattern."
Freilich: Unwägbarkeiten gibt es im Fußball auch so, aber ein gewisses Auf und Ab ist ganz natürlich, sagt Metin Tolan. Und macht eine weitere Rechnung auf:
"Was würde eigentlich passieren, wenn wir lauter gleich starke Mannschaften in der Bundesliga hätten? Es würde eben nicht passieren, dass alle dann die gleiche Punktzahl am Ende einer Saison hätten, sondern Sie hätten eine statistische Fluktuation. Und wenn Sie so was mit dem Computer simulieren, kriegen Sie raus: Zwischen dem ersten und dem letzten Platz sind 30 Punkte Unterschied! Also: Glück und Pech in der Bundesliga hat eine Spanne von 30 Punkten!"
Man kann daraus schließen, dass das Leistungsniveau in der Bundesliga relativ ausgewogen ist. Auch wenn es 1978 beim Spiel Mönchengladbach gegen Dortmund hieß:
"In der letzten Minute, praktisch einher mit dem Schlusspfiff, erzielte Kulik das 12:0. 12:0 gewonnen - das hat es in der Bundesliga noch nie gegeben,"
Und das wäre auch ungesund für die Spannung in der Liga, wie Tolan vorrechnet:
"Dadurch, dass wenig Tore fallen, hat eben auch der Bessere noch eine hohe Wahrscheinlichkeit, das Spiel trotzdem zu verlieren. Wenn Sie Gerechtigkeit haben wollen, wollen Sie weniger Überraschungen haben."
Da müsse man auch Fehlentscheidungen in Kauf nehmen. Lothar Matthäus:
"Es ist doch eine Frechheit, was der pfeift Der pfeift doch alles gegen uns"
Beispiel Abseitsregel. Tolan zeigt: Ob jemand im Abseits steht, das kann das menschliche Auge allein kaum sehen.
"Ihr Hirn braucht 0,1 Sekunden, um das zu verarbeiten und zu beurteilen. Wenn Sie jetzt Stürmer- und Abwehrreihen haben und die sich gegeneinander bewegen, kriegen Sie eine Relativgeschwindigkeit sehr leicht von zehn Metern pro Sekunde! Das heißt: Ein Spieler kann sich einen Meter im Abseits befinden und Sie können das gar nicht sehen! Wenn jetzt der Linienrichter übrigens nicht mal auf der gleichen Höhe steht wie die Angreifer, sondern nur ein bisschen von der Seite reinguckt, dann gibt es einen geometrischen Effekt, der dafür sorgt, dass der Linienrichter vielleicht einen Spieler im Abseits sieht, obwohl er sich gar nicht im Abseits befindet!"
Dennoch seien Fehlentscheidungen bei Abseits vergleichsweise selten:
"Das ist das eigentliche Mysterium: Warum Linienrichter so wenig Fehlentscheidungen machen. Und der einzige Grund kann nur sein: Die sind extrem gut ausgebildet - die können bereits aus der Bewegung der Spieler offensichtlich vernünftig vorausahnen, wie es sich entwickelt. Anders kann es nicht funktionieren!"
Noch mit vielen weiteren Fragen befasst sich das Buch. Tolan errechnet, dass eine Mannschaft nach einer Roten Karte nicht zehn Prozent Spielstärke verliert, sondern nur fünf Prozent. Warum beim Elfmeterschießen der schlechteste Schütze zuerst schießen sollte und der beste zuletzt. Man kann sogar ausrechnen, ab welcher Spielminute sich es lohnt, einen Stürmer per Notbremse zu stoppen.
"Wenn Sie sich jetzt an das letzte WM-Qualifikationsspiel Russland-Deutschland erinnern, da hat Jérôme Boateng eine Notbremse in der 68. Minute angebracht - da würde man sagen: Genau nach Lehrbuch, richtige Zeit, also, ab da hat es sich gelohnt für die deutsche Nationalmannschaft."
Natürlich kommt auch die berühmteste Szene der Fußballgeschichte zur Sprache: das Wembley-Tor von 1966. Soviel ist klar: Der Ball schlug auf der Torlinie auf, nicht vollständig dahinter:
"Die einzige Möglichkeit, die eventuell bestünde, dass der Ball doch hinter der Linie war, ist, dass er sich vielleicht in der Luft hinter der Linie befunden hat; denn: Der Ball ist von Geoff Hurst gegen die Latte gedonnert worden, ist dann in unwahrscheinlich starke Rotation versetzt worden und ein Ball, der sich schnell dreht und durch die Luft bewegt, bewegt sich gar nicht gerade durch die Luft, sondern es kommt der Bananenflanken-Effekt zum Tragen. Das heißt, der Ball bewegt sich in einem Bogen durch die Luft. Und da kann man sich ausrechnen, dass man den Ball ungefähr mit 90 Kilometern pro Stunde gegen die Latte donnern muss, damit der Ball dann wirklich einen so großen Bogen beschreibt, dass er in der Luft hinter der Linie war."
Doch das Buch schließt hier versöhnlich: Ohne dieses Tor wäre der Fußball um eine Attraktion ärmer. Was die WM 2010 angeht, hat Tolan sich auch seine Gedanken gemacht - wohlgemerkt: zutiefst augenzwinkernd.
"Also aus all meinen Berechnungen kommt immer raus, dass Deutschland Weltmeister wird. Das war auch schon vor vier Jahren so - ich habe zur Kenntnis genommen, dass Deutschland nicht Weltmeister geworden ist! Also muss mit der Formel irgendwas nicht gestimmt haben - ich hab diese Formel insofern modifiziert, als mir aufgefallen ist: Die Formel, die den Titel prognostiziert hat, die hat aber bei den drei Titeln vorher immer vier Jahre vorher den Titel angezeigt! Und deswegen kommen wir 2010 um den Titel gar nicht rum."
Die Physik in diesem Buch ist also alles andere als bierernst. Öfters würde man sich zwar noch spritzigere Formulierungen wünschen. Aber die Gedankenspiele sind eine anregende Beigabe zum Fußball-Sommer 2010.
Bundesliga-Reportage Günter Koch: ""Ich mach das nicht! Ich halt das nicht mehr aus! Ich will das nicht mehr sehen! Aber der Ball ist drin! Ich weiß nicht, wie!''
Ganz genau weiß das natürlich nicht einmal der Physiker. Aber Metin Tolan bietet ungewohnte, heiter-gelassene Blicke darauf, was so in 90 Minuten alles passieren kann.
Metin Tolan: "So werden wir Weltmeister. Die Physik des Fußballspiels", Piper-Verlag, 368 S. für 16,95 Euro
"Ich bin natürlich großer Fußballfan, und ich bin Physiker von Beruf. Und als Physiker versucht man sowieso eigentlich, viele Sachen zu erklären - und da bot es sich eigentlich an, mal den Fußball zumindest zu versuchen, quantitativ zu erklären."
Und so hat Metin Tolan ein Buch über die Physik des Fußballs geschrieben. Zwar mit vielen Formeln, aber in seinen Aussagen auch für Laien gut verständlich. Ein Thema ist natürlich das Spielgerät selbst:
"Was passiert eigentlich, wenn ein Ball durch die Luft fliegt?"
Hörfunk-Reportage Manni Breuckmann: ""Agali - aus einem unmöglichen Winkel - aber er setzte den Ball dann aus diesem spitzen Winkel hinter Torhüter Thomas Ernst in den Kasten."
"Das ist ja nicht Zauberei, wenn da jemand so ein schönes Tor schießt, sondern das muss eigentlich was mit den Naturgesetzen zu tun haben."
Und dem geht Tolan auf den Grund. Etwa - "Freistoß Kaltz" - - dem Bananenflanken-Effekt: Wenn ein Ball sich im Flug dreht, dann entstehen Wirbel, und die drücken ihn aus der geraden Flugrichtung heraus. Bei einem 30-Meter-Schuss und fünf Ballumdrehungen pro Sekunde um fast zwei Meter. Allerdings entweder in der einen oder der anderen Richtung, ohne dass der Ball flattert. Denn ein Fußball hat keine glatte Oberfläche.
"Wenn der Ball völlig glatt wäre, dann würde er flattern!"
Dann ergäbe sich nämlich der kuriose Effekt, dass der Luftwiderstand bei einer gewissen Ballgeschwindigkeit nicht weiter zu-, sondern abnimmt. Beim Fußball aber bilden sich durch die Nähte auf seiner Oberfläche besondere Luftwirbel. Und die bewirken, dass der Luftwiderstand stetig immer weiter zunimmt, je schneller der Ball fliegt. Deshalb kann er nicht flattern.
"Das sehen Sie auch zum Beispiel beim 1:0 von Piotr Trochowski gegen Wales im WM-Qualifikationsspiel. Das wird auch als Flatterball verkauft, in Wirklichkeit sehen Sie aber, wie der Kameramann die Kamera bewegt. Wenn Sie sich nur auf einen Punkt konzentrieren und den Ball verfolgen, dann sehen Sie, in Wirklichkeit geht der Ball relativ gerade ins Tor! Ohne auch nur irgendwie zu flattern."
Freilich: Unwägbarkeiten gibt es im Fußball auch so, aber ein gewisses Auf und Ab ist ganz natürlich, sagt Metin Tolan. Und macht eine weitere Rechnung auf:
"Was würde eigentlich passieren, wenn wir lauter gleich starke Mannschaften in der Bundesliga hätten? Es würde eben nicht passieren, dass alle dann die gleiche Punktzahl am Ende einer Saison hätten, sondern Sie hätten eine statistische Fluktuation. Und wenn Sie so was mit dem Computer simulieren, kriegen Sie raus: Zwischen dem ersten und dem letzten Platz sind 30 Punkte Unterschied! Also: Glück und Pech in der Bundesliga hat eine Spanne von 30 Punkten!"
Man kann daraus schließen, dass das Leistungsniveau in der Bundesliga relativ ausgewogen ist. Auch wenn es 1978 beim Spiel Mönchengladbach gegen Dortmund hieß:
"In der letzten Minute, praktisch einher mit dem Schlusspfiff, erzielte Kulik das 12:0. 12:0 gewonnen - das hat es in der Bundesliga noch nie gegeben,"
Und das wäre auch ungesund für die Spannung in der Liga, wie Tolan vorrechnet:
"Dadurch, dass wenig Tore fallen, hat eben auch der Bessere noch eine hohe Wahrscheinlichkeit, das Spiel trotzdem zu verlieren. Wenn Sie Gerechtigkeit haben wollen, wollen Sie weniger Überraschungen haben."
Da müsse man auch Fehlentscheidungen in Kauf nehmen. Lothar Matthäus:
"Es ist doch eine Frechheit, was der pfeift Der pfeift doch alles gegen uns"
Beispiel Abseitsregel. Tolan zeigt: Ob jemand im Abseits steht, das kann das menschliche Auge allein kaum sehen.
"Ihr Hirn braucht 0,1 Sekunden, um das zu verarbeiten und zu beurteilen. Wenn Sie jetzt Stürmer- und Abwehrreihen haben und die sich gegeneinander bewegen, kriegen Sie eine Relativgeschwindigkeit sehr leicht von zehn Metern pro Sekunde! Das heißt: Ein Spieler kann sich einen Meter im Abseits befinden und Sie können das gar nicht sehen! Wenn jetzt der Linienrichter übrigens nicht mal auf der gleichen Höhe steht wie die Angreifer, sondern nur ein bisschen von der Seite reinguckt, dann gibt es einen geometrischen Effekt, der dafür sorgt, dass der Linienrichter vielleicht einen Spieler im Abseits sieht, obwohl er sich gar nicht im Abseits befindet!"
Dennoch seien Fehlentscheidungen bei Abseits vergleichsweise selten:
"Das ist das eigentliche Mysterium: Warum Linienrichter so wenig Fehlentscheidungen machen. Und der einzige Grund kann nur sein: Die sind extrem gut ausgebildet - die können bereits aus der Bewegung der Spieler offensichtlich vernünftig vorausahnen, wie es sich entwickelt. Anders kann es nicht funktionieren!"
Noch mit vielen weiteren Fragen befasst sich das Buch. Tolan errechnet, dass eine Mannschaft nach einer Roten Karte nicht zehn Prozent Spielstärke verliert, sondern nur fünf Prozent. Warum beim Elfmeterschießen der schlechteste Schütze zuerst schießen sollte und der beste zuletzt. Man kann sogar ausrechnen, ab welcher Spielminute sich es lohnt, einen Stürmer per Notbremse zu stoppen.
"Wenn Sie sich jetzt an das letzte WM-Qualifikationsspiel Russland-Deutschland erinnern, da hat Jérôme Boateng eine Notbremse in der 68. Minute angebracht - da würde man sagen: Genau nach Lehrbuch, richtige Zeit, also, ab da hat es sich gelohnt für die deutsche Nationalmannschaft."
Natürlich kommt auch die berühmteste Szene der Fußballgeschichte zur Sprache: das Wembley-Tor von 1966. Soviel ist klar: Der Ball schlug auf der Torlinie auf, nicht vollständig dahinter:
"Die einzige Möglichkeit, die eventuell bestünde, dass der Ball doch hinter der Linie war, ist, dass er sich vielleicht in der Luft hinter der Linie befunden hat; denn: Der Ball ist von Geoff Hurst gegen die Latte gedonnert worden, ist dann in unwahrscheinlich starke Rotation versetzt worden und ein Ball, der sich schnell dreht und durch die Luft bewegt, bewegt sich gar nicht gerade durch die Luft, sondern es kommt der Bananenflanken-Effekt zum Tragen. Das heißt, der Ball bewegt sich in einem Bogen durch die Luft. Und da kann man sich ausrechnen, dass man den Ball ungefähr mit 90 Kilometern pro Stunde gegen die Latte donnern muss, damit der Ball dann wirklich einen so großen Bogen beschreibt, dass er in der Luft hinter der Linie war."
Doch das Buch schließt hier versöhnlich: Ohne dieses Tor wäre der Fußball um eine Attraktion ärmer. Was die WM 2010 angeht, hat Tolan sich auch seine Gedanken gemacht - wohlgemerkt: zutiefst augenzwinkernd.
"Also aus all meinen Berechnungen kommt immer raus, dass Deutschland Weltmeister wird. Das war auch schon vor vier Jahren so - ich habe zur Kenntnis genommen, dass Deutschland nicht Weltmeister geworden ist! Also muss mit der Formel irgendwas nicht gestimmt haben - ich hab diese Formel insofern modifiziert, als mir aufgefallen ist: Die Formel, die den Titel prognostiziert hat, die hat aber bei den drei Titeln vorher immer vier Jahre vorher den Titel angezeigt! Und deswegen kommen wir 2010 um den Titel gar nicht rum."
Die Physik in diesem Buch ist also alles andere als bierernst. Öfters würde man sich zwar noch spritzigere Formulierungen wünschen. Aber die Gedankenspiele sind eine anregende Beigabe zum Fußball-Sommer 2010.
Bundesliga-Reportage Günter Koch: ""Ich mach das nicht! Ich halt das nicht mehr aus! Ich will das nicht mehr sehen! Aber der Ball ist drin! Ich weiß nicht, wie!''
Ganz genau weiß das natürlich nicht einmal der Physiker. Aber Metin Tolan bietet ungewohnte, heiter-gelassene Blicke darauf, was so in 90 Minuten alles passieren kann.
Metin Tolan: "So werden wir Weltmeister. Die Physik des Fußballspiels", Piper-Verlag, 368 S. für 16,95 Euro