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Band "Mama's Gun"
"Wir sind rastlos"

Andy Platts und Terry Lewis von der britischen Band Mama's Gun machen keinen Hehl daraus, dass ihr Sound von den Beatles inspiriert wurde, aber auch von Queen oder Stevie Wonder. Und trotzdem klingen die Songs nach etwas Eigenem. Im Corso-Gespräch sprechen die Musiker über die Kunst des Ausprobierens, billige Hotels und ihre Ausbildung am Liverpool Institute for Performing Arts.

Andy Platts und Terry Lewis im Gespräch mit Anja Buchmann |
    Ein Musiker spielt auf einer elektrischen Gitarre.
    Gitarrist Terry Lewis: "Mit 15 habe ich dann festgestellt, dass Rockmusik etwas begrenzt ist." (picture alliance / dpa / Markus Scholz )
    Andy Platts: In dieser Zeit deines Lebens – bei mir war das von 18 bis 21 – da lernst du so viele Dinge, wie du erwachsen wirst. Und in einem Musikstudium spielst Du regelmäßig mit Menschen aus der ganzen Welt zusammen, und das drei Jahre lang. Und man lernt auch all diese Hintergründe – die Musiktheorie, die -geschichte und so weiter. Man lernt es und dann verlernt man es wieder, wird es los, wenn man die Uni verlässt und findet seinen eigenen Platz in der Welt. Diese Ausbildung hilft natürlich irgendwie – aber nicht im wortwörtlichen Sinne, es ist einfach in einem selbst. Beim Studium geht es mehr um die Fähigkeiten der anderen Leute, mit ihnen zu kommunizieren und ihnen zuzuhören. Davon habe ich am meisten gelernt.
    Terry Lewis: Das sehe ich genauso. Wenn man versuchen würde, einfach mal eine Musikkarriere zu starten, ohne irgendeine Ausbildungs-Institution zu besuchen – ich wüsste nicht, wo man beginnen könnte.Denn du kennst niemanden. Und an einer Musikhochschule bekommt man all diese Kontakte zu Musikern, mit denen man vielleicht ein Leben lang zusammen arbeitet.
    Anja Buchmann: Ein Musiker sagte mir mal: Du musst alles lernen und alles wieder vergessen – dann kannst Du spielen. Das ist ähnlich wie das, was Sie, Andy Platts, gesagt haben.
    Platts: Ja, das ist so ähnlich, erst lernen und dann quasi wieder vergessen. Das macht Sinn.
    Buchmann: Haben Sie in Ihrer Band einen ähnlichen musikalischen Hintergrund? Bezogen auf die Musik, die Sie vorher gehört und gespielt haben?
    Platts: Naja, das ist gleich und unterschiedlich. Es gibt schon Musik, die wir alle lieben und die uns zusammen bringt.
    Buchmann: Welche Musik?
    Platts: Ich denke, Mama's Gun hat im Kern einen Soul-Sound, einen bluesigen Soul, der von den 70ern beeinflusst ist. Aber dann haben alle sehr verschiedene musikalische Vorlieben.Von experimentellem Avantgarde-Jazz über Weltmusik zu Latin und Heavy-Metal – es ist alles vorhanden. Und da wird es besonders interessant, wenn man diese unterschiedlichen Schattierungen zusammen bringt.
    Lewis: Es ist manchmal erstaunlich, dass das funktioniert.
    "Naja, wir mögen Coldplay..."
    Buchmann: Wer von Euch liebt experimentellen Avantgarde-Jazz?
    Platts: Ich glaube, den Bassisten interessiert es am meisten. Aber wir alle mögen verrückte Sachen. Ein bisschen Merkwürdiges ist gesund. Sonst geht man immer nur den geraden Weg in der Mitte. Naja, wir mögen Coldplay...Ich mag das erste Album, Parachutes. Aber für mich sind sie danach etwas zu glatt geworden.
    Buchmann: Als Sie am aktuellen Album "Cheap hotel" gearbeitet haben, war es ein wirklich demokratischer Prozess. Sie haben diskutiert und gestritten, um jedes Riff, jede Melodie und jeden Akkord gerungen. Beschreiben Sie mal diesen Arbeitsprozess.
    Lewis: Naja, es war anders als bei den ersten Alben. Am Anfang haben wir uns um Andy herum gruppiert, da wir seine Songs mochten. Die erste Platte bestand nur aus seinen Stücken, das Material war schon vorhanden. Dieses Mal war die Frage, was jeder einzelne beitragen kann, seien es kleine Ideen mit denen wir gearbeitet haben oder ganze Songs. Die Herangehensweise war auch bei jedem Song anders.
    Platts: Und wir haben regelmäßig abgestimmt. Wir haben an zehn Songs gearbeitet, haben Test-Aufnahmen gemacht und uns über E-Mail ausgetauscht, welche die stärksten sind. Das Ganze hat anderthalb Jahre gedauert: Aufnehmen, am Ende des Monats abstimmen. Damit haben wir auch unzählige Songs reduziert auf eine Platten-Auswahl. So funktioniert Demokratie. Irgendjemand verliert dabei, manche sind glücklich, manche weniger. Aber es ist der fairste Weg in einer Gruppe.
    Buchmann: Was ist mit den Texten? Stehen die vor oder nach der Musik? Oder ist es ein Prozess, wo eins ins andere greift?
    Platts: Für mich kommt der Text meistens nach der Musik. Ich war anfangs nur ein Instrumentalist, bevor ich mit dem Songwriting begann. Ich brauche eine musikalische Idee, um daraus den Rest zu kreieren. Aber manchmal gibt es auch einen Satz, der mir in den Kopf kommt, Worte, die gut klingen und von dort beginne ich dann. Es gibt keine Regeln. Aber das Texten ist schon der schwierigste Teil für mich. Paul McCartney hat gesagt: Eine Melodie ist etwas, was Dich reizt, Dich anspricht, und wenn du die Musik auspackst, hast Du in der Mitte einen guten Text, der etwas aussagt. Und daran denke ich oft: Sagt der Text etwas aus? Und wie sagt er es? Aber es ist schwierig, denn Du versuchst Dinge zu sagen, die Songwriter in den letzten 100 Jahren gesagt haben. Paul McCartney weiß, wovon er spricht.
    Buchmann: Was ist das billigste Hotel, in dem Sie jemals waren?
    Lewis: Es ist ein bestimmtes, das diesen Song inspiriert hat. Das ist Andys Erfahrung.
    Platts: Ich werde den Namen nicht sagen, es war aber in Zentral-Amsterdam. Ich habe da übernachtet, es war billig, die Wände papierdünn, im Raum nebenan hatte ein Paar lauten Sex. In einem anderen schreit ein Baby, es kamen Prostituierte rein und raus., es lag Essen auf dem Flur, es gab Fliegen, es stank. Das war im Hochsommer. Ich konnte nicht schlafen, also habe ich einfach aufgeschrieben, was ich gehört habe, was ich gesehen und gerochen habe. Es ist meine Erfahrung in Raum 319.
    "Manchmal musst Du für Deine Kunst leiden..."
    Buchmann: Ah, Sie erinnern sich noch an die Nummer?
    Platts: Ja, ich habe drei oder vier Songs geschrieben, die ich in einem Ordner auf meinem Computer abgelegt habe und der hieß: Song aus 319. Aber nur das eine Stück hat es auf das Album geschafft.
    Buchmann: Also ein wahre Geschichte, die Sie inspiriert hat – dies ist dann also ein Song, der mit dem Text begann?
    Platts: Ja, das stimmt. Ich habe einfach aufgeschrieben: Baby schreit, Paar hat Sex...Also der Text stand tatsächlich am Anfang.
    Lewis: Manchmal musst Du für Deine Kunst leiden...
    Buchmann: Erinnern Sie sich noch daran, wie "Hello Goodnight" entstanden ist, mit diesem sehr Queen-mäßigen Chor-Teil?
    Platts: Ja, das ist durch verschiedene Stadien gelaufen, anfangs war es sehr an Beatles, ELO und Queen angelehnt. Wir haben dann versucht, noch mehr in Richtung Soul zu gehen. Aber wir sind alle große Fans der Beatles oder Queen. Queen war eine meiner Lieblingsbands als Jugendlicher in den 80ern.
    Buchmann: Und ELO ebenfalls?
    Platts: Ja, ELO hat viele Dinge gemacht, die ich heute auch versuche: melodischen Pop und Soul und Groove zu verbinden. Das ist oft schwer zu kombinieren. Manchmal will ein Song nur groovy sein, manchmal will ein Stück nur melodisch sein. Und daraus eine perfekte Verbindung zu schaffen, ist sehr schwierig.
    Buchmann: Und Stevie Wonder ist ebenfalls einer Ihrer Helden?
    Lewis: Ja, für mich hat Stevie Wonder meine Perspektive zur Musik geändert. Als ich 15 oder 16 war. Bis dahin gab es nur Metal und Heavy Pop Music. Mit 15 habe ich dann festgestellt, dass Rockmusik etwas begrenzt ist. Harmonisch. Und dann habe ich ein paar Platten in der Sammlung meiner Eltern gefunden – unter anderem "Songs in a key of life" von Stevie Wonder. Das war Liebe auf den ersten Blick und ich habe ein Jahr damit verbracht, die Harmonien vom Klavier auf meine Gitarre zu übertragen. Das war eine gute Ausbildung.
    Platts: In der ganzen Band ist ein hoher musikalischer Standard – aber eine Sache, die Terry besonders mitbringt, ist sein Ohr für Harmonien. Wie Akkordreihen funktionieren, auch zusammen mit Melodien. Er hat einen besonderen Blickwinkel darauf, den wir wirklich wertvoll finden.
    Lewis: Danke.
    Buchmann: Sie haben einfache Popsongs auf Ihrem Album, in denen es nur drei oder vier Akkorde gibt, aber auch welche mit komplexeren harmonischen Strukturen.
    Platts: Ja, beides. Wir haben darüber im Zug gesprochen. Wir sind rastlos, wir wollen Neue Dinge ausprobieren und uns nicht langweilen. Das ist eine unserer Stärken. Aber das könnte auch unsere Achilles-Verse sein, eine Schwäche, dass wir alles ausprobieren möchten. Vielleicht ist es manchmal besser, weniger zu machen. Aber: Bands wie Queen waren sehr abenteuerlich. Die Kritiker mochten sie nicht, weil sie immer was anderes versucht haben, jedes musikalische Genre. Ich finde das aufregend und spannend. Wenn Du immer noch wie Du selbst klingst, dann ziehe ich meinen Hut. Wir haben jedenfalls keine Angst davor, Dinge auszuprobieren.