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Band "We are the City"
"Niemand wusste, dass es ein Fake ist"

Erst hatte die kanadische Band "We are the City" angekündigt, dass ihre Fans die Entstehung eines neuen Albums miterleben dürfen - in Form eines Social-Media-Experiments. Eine Webcam im Aufnahmeraum zeigte die Musiker nicht nur beim Musizieren, sondern auch bei allerhand anderen bizarren Tätigkeiten. Allerdings waren die vermeintlichen Live-Bilder deutlich älter und durchkonzipiert. Eine bewusste Entscheidung der Musiker.

Von Raphael Smarzoch | 14.11.2015
    Auf einmal waren We are the City weg. Die Band verschwand plötzlich aus allen sozialen Netzwerken. Einfach so, ganz ohne Vorwarnung. Ein digitaler Totalausfall, der Fans zu den abenteuerlichsten Spekulationen animierte. Hatte sich das Trio aus Kanada aufgelöst, litt es unter internen Konflikten, gönnte es sich vielleicht eine Auszeit von allem Digitalen oder war es womöglich ein Hacker-Angriff, der für die mysteriöse Leerstelle im Netz verantwortlich war.
    "Wir wollten einfach frisch von vorne beginnen. Der beste Weg dafür ist, alles zu löschen und für ein paar Wochen zu pausieren. Die Betätigung dieses Rückstellknopfs fühlte sich sehr gut an. Außerdem begannen wir in dieser Zeit, an einer neuen Idee zu arbeiten - einem social-media-Experiment", erläutert Gitarrist David Menzel. Dieses Experiment bestand in einer Live-Übertragung. Es war möglich, der Entstehung des Albums in Echtzeit beizuwohnen. Eine im Aufnahmeraum positionierte Webcam übertrug rund um die Uhr das Geschehen. Den Musikern konnte man selbst beim Schlafen zuschauen. Aber auch bei allerhand bizarren Tätigkeiten, etwa wie sie mit Einkaufswagen musizierten oder nur in Unterhosen bekleidet auf Pappkartons einschlugen, während im Hintergrund ohrenbetäubende Feedback-Schleifen lärmten. Und dann tauchte plötzlich ein wütender Vermieter auf, der das gesamte Equipment zerstörte und einen Laptop klaute. Fast schon zu verrückt, um wahr zu sein.
    "Ich möchte ein kleines Geheimnis verraten: In Wirklichkeit haben wir unser neues Album schon vor über einem Jahr aufgenommen. Wir haben das geheim gehalten und niemandem davon erzählt. Die Szenen aus der Live-Übertragung haben wir erfunden und vorher gefilmt. Das war so viel Arbeit. Insgesamt haben wir über 350 Stunden an Material aufgezeichnet. Das ist der längste Film der Welt. Niemand wusste, dass es ein Fake ist, nicht einmal unsere besten Freunde."
    Ein Fingerzeig auf die Glaubwürdigkeit des Musik-Business
    Was ist heutzutage noch authentisch, das über digitale Medien vermittelt wird? Es ist interessant, das sich eine Rockband dieser Frage widmet. Schließlich gilt doch die Rockmusik mit ihrem Fetisch für alles Analoge noch als letzte Bastion des Authentischen, der handgemachten Musik, die sich der Schnelllebigkeit und vermeintlichen Oberflächlichkeit des Digitalen mit satten Röhrenverstärkern und echten Instrumenten zu entziehen versteht.
    "Unser Experiment fragt nicht nur nach der Authentizität des Rock, sondern auch nach der Echtheit der Medien. Viele Dokumentationen oder sogenannte Reality-TV-Shows sind nicht authentisch. Der Konsument wird an der Nase herumgeführt. Die Kardashians sind nicht echt! Die Leute wären sicherlich sehr aufgebracht, wenn sie wüssten, wie viel davon schriftlich ausgearbeitet ist. Wir wollten das beleuchten und ein wenig Spaß damit haben."
    Viele der im Livestream zu hörenden Aufnahmen haben es allerdings nicht aufs Album geschafft. Lediglich in dem Song "Lovers in all Things" unterbricht plötzlich ein Techno-Beat die Musik, der aus weiter Ferne zu hören ist. Der Proberaum war angeblich über einem Nachtclub gelegen. Daher auch der Titel des Albums, "Above Club".
    Experimentell geht es auch in anderen Stücken von We are the City zu. Immer wieder hört man virtuose Arrangements, die manchmal auch ein wenig verkopft klingen und interessante Harmonien und rhythmische Versuchsanordnungen aufweisen. Das erinnert ein wenig an die Tradition des Progressive-Rock. An anderen Stellen tauchen Einflüsse aus der Elektronik auf, seltsame Geräusche, die von der Band eigenhändig entwickelt worden sind.
    David Menzel: Wir verbringen viel Zeit damit, mit Dingen rumzuspielen, die nicht mal Instrumente sind. Wir hatten dieses riesengroße, alte, kaputte Mischpult. Wenn man einen seiner Knöpfe bewegte, dann machte es ganz seltsame Geräusche, die wie aus einem Science-Fiction-Film klangen. Sie sind auf unserem Album zu hören."
    Am Ende bleibt ein ambitioniertes Album, dessen konzeptionelles Gefüge allerdings kaum einen Einfluss auf die Musik ausgeübt hat. Das ist schade, denn so wird eine unkonventionelle Idee lediglich zu einem amüsanten Beiwerk, einer unterhaltsamen Spielerei, die "Above Club" allerdings nicht spannender macht. Geboten werden nach wie vor Songs, die an Animal Collective oder Arcade Fire erinnern. Eines muss man We are the City aber zugestehen: Sie haben ein Talent für griffige Melodien mit starkem Ohrwurmcharakter.