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Bandscheibenvorfall per Mausklick

Medizin. - Nicht der Tabakkonsum oder zu reichliche Ernährung sind Volksgesundheits-Feind Nummer Eins, es sind vielmehr Beschwerden, die jeder kennt, die aber manchen nicht mehr loslassen: Rückenschmerzen. Der zivilisierte Lebenswandel mit seinen endlosen Stunden am Schreibtisch, dem höchstens wenige Stunden pro Woche mit sportlicher Betätigung entgegenstehen, macht der Wirbelsäule schwer zu schaffen. Um den Schwachstellen des Rückgrates genauer auf die Spur zu kommen, entwickelten jetzt australische Forscher ein Computermodell der tragenden Säule im Körper.

Sabine Goldhahn |
    Die 33 aufeinander stehenden Knochen in unserem Rücken sind zigfach miteinander verbunden: durch 23 Bandscheiben, zwei große Längsbänder vorn und hinten sowie zahllose kleinere Bänder und Wirbelgelenke. Erschwerend kommt hinzu, dass die Form der einzelnen Wirbel auch nicht immer gleich ist. Während die Halswirbel niedrig sind und sehr grazil aussehen, kann ein Wirbel aus der Lendenregion durchaus drei Zentimeter hoch werden und kräftige Fortsätze ausbilden. Daran haften über ein Dutzend verschiedener Muskeln, die den Körper aufrecht halten, ihn nach vorn und hinten beugen oder um die eigene Achse drehen. Kein Wunder also, dass man Verletzungen der Wirbelsäule so schwer vorhersagen kann.

    Unser Problem war es, dass die meisten Verletzungen durch Kräfte passieren, die nicht einmal zu einem Knochenbruch führen. So haben die Leute nach einem Unfall Schmerzen und im Röntgenbild ist nichts zu sehen: keine Fraktur, keine Verschiebung der Bandscheibe. Aber die Schmerzen bleiben.

    Nicholas Beagley von der australischen Defence Science and Technology Organisation simuliert Wirbelsäulenverletzungen am Computer. Im Auftrag des australischen Verteidigungsministeriums möchte der Forscher herausfinden, ob Soldaten Schaden erleiden, wenn sie beispielsweise Rucksäcke oder schwere Nachtsichtgeräte tragen.
    Es ist unheimlich wichtig, die Gründe für eine Verletzung zu verstehen. Die Kraftmessung an der Wirbelsäule ist aber deshalb so schwierig, weil wir nicht einfach mit irgendwelchen Instrumenten daran herumhantieren können. Wir können nicht irgendwelche Sensoren einbauen, um Kräfte zu messen. Modelle sind daher das Beste, um Kräfte zu untersuchen, die beim Tragen schwerer Lasten oder durch Vibrationen entstehen. Nur so können wir sehen, ob sich die Menschen irgendeinem Risiko aussetzen.

    Deshalb hat Beagley gemeinsam mit seinen Kollegen ein neues Simulationsmodell für Wirbelsäulenverletzungen entwickelt, das besser sein soll als frühere Modelle. Der Trick dabei: Beagley nutzt für seinen so genannten Full Spine Simulator keine althergebrachten mathematischen Verfahren, sondern bedient sich der Fuzzy Logic. Das bedeutet, dass sein Modell ein Kontrollorgan hat, das ähnlich dem menschlichen Nervensystem agieren soll. Bewegungen werden also nicht nur vorgegeben, sondern das Modell reagiert selbständig und stabilisiert sich wieder.

    Unser Modell ist sehr anspruchsvoll, denn es repräsentiert alle kleinen Wirbelgelenke, alle 25 Gelenke. Und jedes mit sechs Freiheitsgraden. Es erlaubt also Bewegungen nach vorne und hinten, nach oben und unten sowie Drehbewegungen in jedem Einzelgelenk. Kein anderes Modell, das wir kennen, repräsentiert gleichermaßen die gesamte Wirbelsäule mit Bewegungen in jedem Gelenk. Obendrein enthält es Muskelreflexe und eine Kontrolle durch das Gehirn. Daher kann sich unser Modell selbst bewegen und wieder in eine bequeme Position bringen.

    Wenn er von seinem Modell erzählt, gerät der Australier ins Schwärmen. Dennoch: Simulationen der Wirbelsäule sind an sich nichts Neues. Seit Jahren gibt es die Crashtest-Dummys für simulierte Auto-Unfälle oder so genannte Finite-Elemente-Modelle, bei denen die Wirbelsäule am Computer in Tausende kleiner Teilchen zerlegt wird.

    Selbst die allerbesten Crashtest-Dummys repräsentieren nie die ganze Wirbelsäule, immer nur einzelne Segmente. Die Versuche werden auch an Kadavern gemacht, die keine Gehirnkontrolle und aktive Bewegungen haben. Also alles keine Situationen, die zeigen, was einem lebenden Menschen wirklich passiert.

    Diese Annahmen des australischen Forschers muss Kai-Uwe Schmitt, Biomechaniker an der ETH Zürich, doch ein wenig geraderücken.

    Aus heutiger Sicht würde man wohl sagen, dass das Modell Crash-Test-Dummys nicht ersetzt, allenfalls eine gute Ergänzung dazu darstellt. Zum einen hat man den Eindruck, dass das Modell für eine Art von Verletzung gedacht ist, die denen, die man mit den Dummys testet, sehr unterschiedlich ist.

    Der Spezialist, der Autounfälle sowohl mit Crashtest-Dummys als auch am Computer simuliert, sieht aber noch ein anderes Problem. Die Validierung des neuen Modells, also der Nachweis, dass die berechneten Verletzungen auch tatsächlich auftreten:

    Ich muss also einen Präzedenzfall schaffen, anhand dessen ich dann beweisen kann, dass die Berechnungen korrekt sind, und da ist es generell schwierig, Verletzungen im Experiment zu erzeugen und diese dann zu validieren.