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Bangen um das bisschen Wohlstand

Finanzminister und Notenbankchefs, alle gemeinsam versuchen, dem befürchteten Zusammenbruch des Finanzsystems zuvorzukommen. Denn die Folgen sind nicht abzusehen. Auch für jene nicht, die mit dem ganzen Desaster eigentlich überhaupt nichts zu tun haben: die sogenannten Entwicklungs- und Schwellenländer wie beispielsweise Jordanien. Sie sind vom Handel mit den Industrienationen ebenso abhängen wie von deren Kapital.

Von Heiner Heller |
    Der Traktor rumpelt im Schritttempo bergauf. Mehr schafft er nicht. Auf dem Anhänger türmt sich mannshoch Zucchini-Gestrüpp für die Schafe. Am Steuer sitzt Suleimann, ein ausgemergelter Bauer Ende Fünfzig. Er uns sein Traktor passen gut zusammen. Die beiden sind ein leicht abgewetztes, etwas verwegenes Gespann. Suleimann hat Futter für seine Herde geholt, Abfall von der Gemüseernte in der Gegend. Ohne den Traktor unmöglich. Welche Firma das inzwischen reichlich windschiefe Gefährt vor über 30 Jahren einmal hergestellt hat, ist nicht mehr zu erkennen. Die Lampen fehlen, der Anlasser ist hinüber und die Reifen sind schrundig und längst ohne jedes Profil.

    "So alt, wie der ist, müssen wir ihn natürlich andauernd reparieren. Dazu kaufen wir aber keine Markenware. Die Originalersatzteile wären viel zu teuer. So geht es dann meistens. Wir flicken einfach immer weiter und auch das ist eigentlich noch viel zu kostspielig. In den 90er Jahren kamen wir für den Traktor mit ungefähr fünf Dinaren im Monat hin. Jetzt sind es zwischen 35 und 40. Und die Hälfte davon geht allein auf die Preissteigerung zurück."

    Eine Villa im teuersten Neubauviertel der jordanischen Hauptstadt. Der Blick geht weit über die Hügel Ammans hinab bis zur historischen Altstadt. Ibrahim Hamarneh kommt nach Hause. Für die meisten seiner Landsleute ist er ein reicher Mann. Schwimmbecken hinter dem Haus, ein großes deutsches Auto davor. Ein Geschäftsmann, der es geschafft hat. Aber Hamarneh wirkt bedrückt. Es kommt ihm so vor, als klopfe die internationale Bankenkrise laut an seine Tür.

    "Ich habe schon damit angefangen, meiner Familie zu sagen, dass wir unsere Ausgaben im Moment auf das Nötigste beschränken müssen, so dass wir am Ende sehen, wo wir sind."

    51 Jahre ist er alt, hat drei Söhne und mit seinem Bruder zusammen den Landmaschinen- und Ersatzteilimport vom Vater übernommen. Vor 25 Jahren ist er in die Firma eingestiegen und hat den Laden groß gemacht, der seit den 50er Jahren Bauern in Jordanien mit schwerem Gerät und passenden Ersatzteilen aus aller Welt versorgt. Eigentlich krisensicher. Aber das weltweite Misstrauen, gegen Banken und alle, die für ihre Geschäfte Geld leihen müssen, macht auch ihm schwer zu schaffen.

    "Wir mussten unverzüglich handeln, um Stahl für Bulldozer einzukaufen, die wir nach Jordanien einführen wollten. Um den Preis zu halten, haben wir im Voraus bezahlt für Ware, die erst nach fünf Monaten hergestellt war. In der Zwischenzeit fiel der Euro und die Preise für Stahl und Benzin sanken. Das ergab natürlich einen unberechenbaren Verlust."

    Gegen diese Art von Verlust ist Hamarneh machtlos. Seine eigenen Mehrkosten kann er nicht in vollem Umfang an seine Kundschaft weiter geben. Er weiß, dass die Bauern, die er beliefert, noch viel weniger finanziellen Spielraum haben als er selbst.

    Ibrahim Hamarneh, Unternehmer:

    "Der Markt hat sich noch nicht angepasst. Sie können nicht die Preise erhöhen, müssen aber mehr bezahlen, um Ersatzteile zu bekommen. Ich meine, das ist das Geld für die Familien."

    Ein jordanischer Landarbeiter verdient im Monat umgerechnet 160 Euro. Suleimann, der Schafzüchter, ein wenig mehr. So genau kann er das gar nicht sagen. Die Kosten für den Traktor jedenfalls sind inzwischen eine der größten monatlichen Ausgaben der Familie. Mit seiner Frau und den fünf Kindern wohnt er dort unten, am Fuße des Berges, auf dem er seine ungefähr 50 Schafe in einem Drahtverhau hält. Ohne den Traktor könnte er sein bisheriges Leben, eine knappe Autostunde außerhalb der Hauptstadt Amman, gar nicht weiter führen. Er und seine Familien hangeln sich von Monat zu Monat, abhängig davon, wie viel der Verkauf von Milch, Käse und Fleisch auf dem Markt einbringt.

    "Ich selbst kann die Preise nicht anheben. Die richten sich nur danach, was der Markt hergibt. Im Moment bewegt sich der Preis für Schafe und Ziegen, anders als im vorigen Jahr. Das heißt, die Preise sinken auch manchmal, so dass wir gar keinen Verdienst haben. Unsere Arbeit ist Saisongeschäft. Ist die Nachfrage stark, können wir unsere Situation halten. Ist die Nachfrage schlecht, verschlechtert sich auch unsere Situation."

    Grundnahrungsmittel aus eigener landwirtschaftlicher Produktion sind in Jordanien, wie alles, in den letzten zwei Jahren teurer geworden. Der Staat fährt in großem Ausmaß seine Subventionen zurück. Einfache Leute wie Suleimann sind von dieser hausgemachten Krise im Land doppelt betroffen. Ihr Einkommen sinkt, weil sie weniger verkaufen, gleichzeitig steigen ihre Ausgaben mit dem allgemeinen Preisniveau an.

    Jetzt gerät die jordanische Wirtschaft durch die Weltfinanzkrise zusätzlich unter Druck. Den spüren zuerst alle jene, die international Geschäfte machen, wie Ibrahim Hamarneh. Er kann die Preise nicht in dem Umfang anheben, wie er das gerade tun müsste.

    Andererseits verlangt seine jordanische Bank in letzter Zeit immer mehr Sicherheiten und mischt sich viel stärker als früher in seine Geschäfte ein. Bevor heute kurzfristig Geld für ein internationales Geschäft fließt, muss Hamarneh nachweisen, dass das Risiko auch für die Bank überschaubar bleibt. Bis vor kurzem hat ihn niemand danach gefragt, welche Ware er wo einkauft und auch nicht, zu welchen Konditionen er sie dann anbieten will. Voller Sorge betrachtet er die Finanzkrise. Denn die Lage auf dem Markt für Landmaschinen hat inzwischen dazu geführt, das er sein Haupteinkommen nicht mehr mit der Firma erwirtschaft, sondern mit internationalen Wertpapieren. So muss er sich ausgerechnet in diesen Zeiten auf ein Aktienpaket stützen. Das zermürbt.

    "Ängstlich ist der falsche Ausdruck in meinem Fall. Ich bin erschöpft, ich beobachte, ich muss das Risiko abwägen, ich habe ein Auge auf das Internet. Manchmal ist das sinnvoll, manchmal nicht. Im Moment kann ich mich nicht entscheiden. Ob ich meine Verluste bezahlen soll und aussteige, oder ob ich noch höhere Verluste hinnehme, falls die Märkte weiter einbrechen."

    Schrumpfende Märkte und Angst. Hammoudeh kennt das seit ein paar Wochen. Seit 31 Jahren repariert er am Rande der Autobahn in Richtung Syrien Traktoren aller Art. Seine drei Söhne sind mit im Geschäft, das senkt die Personalkosten. Die vier dengeln an einem alten Motor herum. Gezielte Schläge mit dem Schraubenschlüssel sollen ihn wieder zum Leben erwecken. Möglichst ohne, dass dafür teure Ersatzteile verbaut werden müssen. Die bezieht er inzwischen längst aus der Türkei, europäische Originalware ist ihm viel zu teuer. Die Weltwirtschaftskrise hat seine kleine Werkstatt erreicht, ohn, dass er das so sagen würde.

    " In den 70er und 80er Jahren gab es viel zu tun. Jeden Tag haben wir zehn, manchmal fünfzehn Traktoren repariert. Heute meist nur einen, oft gar keinen. Der Landbau schrumpft. Der steigende Dieselpreis hat eine Talfahrt der Landwirtschaft ausgelöst. Jeder, der eine Farm hat, muss Wasser aus den Quellen pumpen und deshalb jede Menge für Diesel bezahlen. Viele haben ihre Farmen schon aufgegeben."

    Die Weltweite Krise hat Jordanien noch nicht voll erwischt. Aber schon jetzt ist der Wirtschaftskreislauf hier empfindlich gestört. Der jordanische Geschäftsmann, verliert sein Geld auf dem internationalen Markt. Der Mechaniker seine Kundschaft, weil Ersatzteile zu teuer sind und der Viehzüchter seine ganze Existenz, wenn der alte Traktor eines Tages endgültig stehen bleibt.