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Bankgeheimnis adé

Das bislang Undenkbare ist in der vergangenen Woche passiert: Als erste Schweizer Bank hat die UBS vertrauliche Kundendaten an die USA weitergegeben, von sich aus, um damit nicht selbst wegen Steuerhinterziehung angeklagt zu werden. Ein brisantes Thema. Wie brisant, das zeigen die beiden Schweizer Wirtschaftsjournalisten Viktor Parma und Werner Vontobel. "Schurkenstaat Schweiz" heißt Ihr Buch.

Von Sabine Weber |
    Die Schweiz - da denkt der Durchschnittseuropäer an Almwiesenidylle, gelebte Demokratie und krisensichere Währung.

    Die Autoren Viktor Parma und Werner Vontobel, wohlgemerkt beide selber Schweizer, haben hingegen ganz andere Assoziationen. Ihr Buch handelt vom Schurkenstaat Schweiz - immerhin mit Fragezeichen versehen - und nennt schon im Untertitel die Gründe für diese harsche Einschätzung. Zum einen korrumpiere sich der größte Bankenstaat der Welt selbst, da dort jede ernsthafte Diskussion um die Vor- und Nachteile der Schweizer Besonderheiten "Steuerwettbewerb" und "Bankgeheimnis" abgelehnt würden.
    Zum Zweiten führe diese Politik der Steuerschlupflöcher zur Destabilisierung anderer Länder.

    Verweigern die Besitzenden - mit Beihilfe von Schweizer Bankiers - den Regierenden das Geld, ist ein Staat über kurz oder lang dem Untergang geweiht: ob Königreich Frankreich 1789, Weimarer Republik 1933 oder Dritte Republik 1940. Dies kann den Weg für Besseres ebnen, aber auch den Absturz in die Barbarei bedeuten. Wer zuletzt lacht, ist freilich so oder anders der Schweizer Bankier.
    Anhand ausführlicher Zahlen und Fakten erläutern die Autoren Grundlagen und Folgen der Schweizer Finanzpolitik. Diese ist raffiniert und schlicht zugleich: Die 26 Kantone haben Finanzhoheit und können nahezu alle Steuern unabhängig voneinander festsetzen. Der so entstehende Steuerwettbewerb sorgt für niedrige Steuersätze, was wiederum Reiche aus dem Ausland anlockt.

    Für die Anlage ausländischen Vermögens bietet das Alpenland zahlreiche Schlupflöcher, darunter quellensteuerfreie Treuhandguthaben und Vermögensverwaltungskonten. Es lassen sich aber auch Holdingfirmen errichten, mit deren Hilfe man rechtliche und tatsächliche Unternehmensstandorte steuersparend trennen kann.

    Der Clou, der das Ganze absichert, ist das Bankgeheimnis. Bereits seit dem Ersten Weltkrieg verweigert die Schweiz jede Auskunft über angelegtes ausländisches Vermögen, leistet also anderen Staaten keine Rechtshilfe bei deren Suche nach Steuersündern.

    Auf diese Weise hat die Schweiz an der globalen Vermögensverwaltung mittlerweile einen Anteil von sage und schreibe neun Prozent - trotz niedriger Steuern eine sprudelnde Einnahmequelle. Das bringt Nachahmer hervor.

    Ihrem Beispiel folgten bis zu 70 Zwerg-, Klein-, Insel- und Stadtstaaten sowie Städte rund um den Erdball, darunter die Cayman-Inseln, Bermuda, Libanon, Liberia, Liechtenstein, Luxemburg - mit oder ohne Doppelbesteuerung, mit oder ohne Rechtshilfe, mit oder ohne Geldwäsche, mit oder ohne Korruption, die meisten aber mit Bankgeheimnis.
    Diese Vielzahl an Steuervermeidungsmöglichkeiten lässt Steuerzahlers Herz ja nicht gleich bluten. Im Gegenteil: Häufig genug wird Steuerhinterziehung sogar als Nachweis höherer Intelligenz betrachtet. Doch Vontobel und Parma legen eindrucksvoll dar, welche Folgen diese Art der Steueroptimierung in großem Ausmaß hat. Soliden Schätzungen zufolge entgehen allein der Europäischen Union 200 bis 250 Milliarden Euro Steuern pro Jahr - wie viel es weltweit gesehen ist, lässt sich nur vermuten. Ein unkalkulierbares Risiko, wie sich zeigte.
    Die steuerfreien Milliarden aus den Oasen überschwemmten die Realwirtschaft und blähten sie zur Schuldenwirtschaft auf. Die anonymen Geldströme wurden zum Risiko für die globale Finanzstabilität. Erstens nahmen sie den Industriestaaten die wirtschaftspolitische Handlungsfähigkeit. Die Regierungen der großen Staaten verloren die Möglichkeit, die Finanzmärkte zu beeinflussen und auf realwirtschaftliche Ziele abzustimmen. Zweitens verschärften die Steueroasen die Finanzkrise 2008 deutlich. In rasendem Tempo verkauften die in Steueroasen ansässigen Hedgefonds, gezwungen durch die jähe Verteuerung der Kredite und die Panik der Anleger, Aktiva in Höhe von gigantischen 500 bis 600 Milliarden Dollar - einer der Hauptgründe für den Kollaps des Finanzsystems.
    Bis zur Drucklegung des Buches haben Regierungen und Notenbanken 5000 Milliarden Euro ausgegeben oder garantiert, um das globale Finanzsystem zu stabilisieren. Die Autoren resümieren:

    Das Bankgeheimnis und der globale Steuerwettbewerb, die wir in unserem Buch anprangern, sind an der globalen Systemkrise gewiss nicht allein schuld. Aber sie sind Auslöser und Antreiber in einem sich selbst verstärkenden Rückkoppelungsmechanismus, der die Arbeitseinkommen geschwächt und die Kapitaleinkommen vergrößert und damit auch die Kapitalmärkte aufgebläht hat. Bis zum Platzen.
    Ohne Zweifel ist Werner Vontobels und Viktor Parmas Buch höchst aktuell und bringt die neuesten Zahlen, Fakten und Hintergründe. Leider aber merkt man dem Buch auch an, dass es in kürzester Zeit entstanden ist. Die Autoren präsentieren sich in deutlich unterschiedlichen Schreibstilen; und auch der allzu lässige Umgang mit wörtlichen Zitaten ist zu bedauern, die zuweilen ohne jede Quellenangabe in den Text eingeflochten werden. Am meisten aber vermisst man eine generelle Struktur. Sie hätte geholfen, aus all den zeitlich und inhaltlich munter durcheinander wirbelnden Episoden, Personen, Zahlen, Voraussetzungen und Auswirkungen ein bei aller Komplexität überschaubares Gesamtbild zu formen.

    Dennoch ragt aus der manchmal schwer verdaulichen Fülle Einiges als besonders lesenswert heraus - so etwa die Analyse des bundesdeutschen Arbeitsmarktes. Das Augenmerk der Autoren gilt dem dort betriebenen Lohndumping mit seinen negativen Folgen wie etwa der Notwendigkeit der staatlichen Bezuschussung niedriger Einkommen und dem dadurch überproportional steigenden Unternehmensgewinn, der häufig genug wieder unversteuert im Ausland angelegt wird.

    Alles in allem bietet "Schurkenstaat Schweiz" unzweifelhaft wichtige Hintergrundinformationen zur aktuellen desolaten Weltwirtschaftslage.

    Und es zeigt die Schweiz - zumindest als Finanzplatz - als eine Stätte der rücksichtslosen Geldgier und des kurzsichtigen Eigennutzes mit verführerischem Vorbildcharakter. Das relativierende Fragezeichen hinter dem Titel hätten die Autoren also getrost weglassen können.

    Das Buch "Schurkenstaat Schweiz? Steuerflucht: Wie sich der größte Bankenstaat der Welt korrumpiert und andere Länder destabilisiert" ist im C. Bertelsmann Verlag erscheinen, die Autoren sind Viktor Parma und Werner Vontobel. 224 Seiten für 19 Euro 95. Gelesen hat es für uns Sabine Weber.