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Baobab Books
Geschichten vom Affenbrotbaum

Fabeln mit sprechenden Tieren in Tansania, eine mythologische Geschichte aus Mexiko, eine Geschichte über Schreckensherrschaft in Iran: Baobab Books ist mehr als ein Verlag. Der gemeinnützige Verein aus der Schweiz will kulturelle Vielfalt in der Kinder- und Jugendliteratur fördern. Davon profitiert nicht nur die Zielgruppe in Europa.

Von Martina Wehlte | 30.01.2016
    Baobab
    Der Baobab, der Affenbrotbaum, ist charakteristisch für die afrikanische Savanne. (picture alliance/dpa/Matthias Tödt)
    Der eindrucksvolle Baobab, der Affenbrotbaum, ist charakteristisch für die afrikanische Savanne. Seine Früchte und sein robuster, Wasser speichernder Stamm machen ihn zu einem Lebensspender für Tiere und Menschen. Um ihn geht es auch in der Geschichte vom wunderbaren Baum. Als vor langer Zeit eine schreckliche Dürre den Boden austrocknete und die Tiere nichts mehr zu essen fanden, war er der Einzige, der pralle und herrlich duftende Früchte trug.
    "… aber sie fielen einfach nicht herunter. Alle rüttelten und schüttelten, doch der Baum gab seine Früchte nicht her."
    Sehnsüchtig blicken die großen und kleinen Tiere nach oben. Da schlägt das zierliche Hasenmädchen vor, die weise Schildkröte um Rat zu fragen. Tolle Idee, finden alle, aber zutrauen wollen sie der Häsin diese Aufgabe nicht.
    "Du bist zu klein. Du könntest dir den Rat der weisen Schildkröte ja doch nicht merken. Überlass das mal uns Großen."
    Und so ziehen sie nacheinander los, der Elefant und der Büffel, die Giraffe, das Nashorn und das Zebra, der Löwe und der Leopard. Des Rätsels Lösung ist einfach: Die Tiere müssen nur den Namen des Baumes rufen, aber keines kann ihn sich bis zur Heimkehr merken. Bis schließlich doch die Häsin loszieht und die Aufgabe löst. Noch während sie das Zauberwort ruft, fallen die Früchte zu den hungernden Tieren herab: "Wie ein heftiger Wolkenbruch - pam tapam taratapamn taratapampampam!"
    Der tansanische Künstler John Kilaka hat sich diese Fabel in seinem Nachbardorf erzählen lassen, hat sie neben vielen anderen mit dem Tonband aufgenommen und in Kisuaheli aufgeschrieben. Dass wir sie, versehen mit John Kilakas farbenfrohen Illustrationen im Stil der Tingatinga-Malerei, auf Deutsch lesen können, ist der Projektarbeit des Schweizer Verlages Baobab zu verdanken.
    Hilfsorganisationen sind Geburtshelfer
    Baobab Books ist ein gemeinnütziger Verein mit Sitz in Basel. Er ging aus einer entwicklungspolitischen Initiative in den 1970er-Jahren hervor, um die kulturelle Vielfalt in der Kinder- und Jugendliteratur zu fördern. Man trat bei verschiedenen Verlagen als Herausgeber auf, bevor es schließlich 2010 zur Verlagsgründung kam. Der heutige Verein hat hundert Mitglieder und will sich laut Satzung "für eine offene Gesellschaft, für eine respektvolle Haltung gegenüber Menschen anderer Herkunft und für Chancengleichheit sowohl in der lokalen wie globalen Gesellschaft" einsetzen. Das geschieht mittels des Mediums Buch und darauf bezogener Bildungsprojekte, die bisher vornehmlich in der Schweiz stattfinden, die aber auf den weiteren deutsch- und französischsprachigen Raum ausgedehnt werden sollen.
    Geburtshelfer für Baobab waren zwei Ende der sechziger Jahre entstandene Hilfsorganisationen, Terre des Hommes, die auch heute der wichtigste Geldgeber ist, und die entwicklungspolitische Organisation Erklärung von Bern. Die Geschäftsführerin Sonja Matheson ist viel in außereuropäischen Ländern unterwegs und betreibt mit ihren Mitarbeitern gewissermaßen Feldforschung und Aufbauarbeit im Bereich mündlicher Erzähltradition, ihrer Verschriftlichung und Illustration. Auf einer ihrer Projektreisen entdeckte sie John Kilaka, der bis dahin noch kein Buch veröffentlicht hatte:
    Sonja Matheson: "Wir arbeiten in Ländern, in denen das Buch keine Selbstverständlichkeit ist. Bleiben wir vielleicht beim Beispiel Tansania und John Kilaka: Seine Bücher sind in Tansania nie erschienen. Es gibt das Verlagswesen nicht, das so ein Buchprojekt hervorbringen würde, es gibt keinen Vertrieb, es gibt kaum Buchläden, und wenn, dann richten sie sich an europäische Touristen, aber nicht an die Einheimischen. Und da haben wir gesagt, wir möchten etwas anregen. Und wir haben eine spezifische Region im Nordwesten des Landes ausgewählt und haben dort eine Pilotphase durchgeführt." Das war 2010.
    "Wir sind zusammen mit John Kilaka dorthin gegangen und haben zuerst als Multiplikatoren die Lehrerinnen und Lehrer ausgebildet. Wir haben sie einerseits daran geführt, warum das Lesen überhaupt so wichtig ist und was darin möglich ist - und sind aber einen wesentlichen Schritt weiter gegangen."
    Geschichten von Eltern oder Großeltern erzählt
    Nämlich dahingehend, die lokale orale Tradition aufzuarbeiten, zu verschriftlichen und den Weg in die Illustration zu gehen. So wie John Kilaka Jahre zuvor nur mit einem Stift und einem Blatt Papier angefangen hatte. Das Resultat:
    "In dieser Region gibt es kleine gedruckte Bücher, die lokal verfasst und produziert werden und es gibt eine Bibliothek, es ist in einem Landkreis von über 500 Kilometern die einzige Bibliothek überhaupt, und sie wird genutzt, die Leute sind stolz und John Kilaka war dazu ein Vorbild."
    Ein Vorbild auch für Kinder und Jugendliche, die dort innerhalb nur eines Jahres etwa dreitausend Geschichten aus ihren Dörfern, von Eltern oder Großeltern erzählt, aufgeschrieben haben. Da gibt es neben Sachthemen und Unterhaltsamem auch Erzählungen von Ausbeutung oder von den Massakern an den Albino. Die Schreib- und Lesefähigkeit ist hier als ein Lebensmittel im wahrsten Sinne von Eltern, Lehrern und lokalen Behörden etabliert worden. Vergleichbare Projekte gibt es mit der indigenen Bevölkerung in Taiwan, Mexiko und vielen anderen Ländern.
    Viele Bücher richten sich an die Altersgruppe ab fünf Jahren, wie das im Frühjahr 2015 erschienene zweisprachige, nämlich deutsch-spanische Bilderbuch "Der Feuerdieb", das eine mythologische Geschichte aus Mexiko erzählt; oder die aus dem Persischen übersetzte Neuerscheinung "Ein großer Freund". Darin bekommt Mutter Rabe von ihrem Töchterchen einen wahrhaft ungewöhnlichen Spielkameraden vorgestellt, einen Elefanten. Sie ist entsetzt und es folgt eine Litanei von Bedenken, Ermahnungen, Sorgen ob der großen Unterschiede.
    "Sag mal, kannst du überhaupt Elefantisch?" – "Nein, das kann ich nicht." "Wie sprichst du denn mit ihm?" "Na, mit Zeichen und mit Blicken."
    Skepsis scheint geboten, aber da schiebt sich der Elefantenrüssel mit einem Blümchen ins Bild und entwaffnet die Mama endgültig durch Sanftmut. Es ist der poetische, leicht skurrile Zeichenstil des Iraners Mehrdad Zaeri, der dem Mut zu dieser ungewöhnlichen Freundschaft eine spielerische Leichtigkeit gibt. Tja, wenn’s denn so einfach wäre, seufzt man da, und ist doch überzeugt, dass es mit den beiden klappen wird. Eine jugendliche Zielgruppe ab 13 Jahren spricht das australische Buch Njunjul an, dessen gleichnamige Hauptfigur, ein junger Murri, vor den Benachteiligungen der indigenen Landbevölkerung nach Sydney entflieht und dort seine persönlichen Stärken kennen lernt.
    Lesekompetenz und Emotionen
    Da sich europäische Kinder nicht ohne Weiteres in die Lebenssituation und Denkweise von Menschen ganz anderer Kulturen hineinversetzen können, stellt Baobab Books für viele seiner Neuerscheinungen kostenlos Informations- und Unterrichtsmaterial ins Netz, so dass Lehrpersonen das Buch ohne große Vorbereitung in der Klasse vorstellen können. Diese Angebote werden jährlich von einigen tausend Nutzern von der Webseite heruntergeladen. Ein aktuelles Beispiel dafür ist "Der große Schneemann", ein zweisprachiges Bilderbuch in Deutsch und Persisch aus dem Iran. Der Autor thematisiert darin die Auswüchse von Macht zu einer Schreckensherrschaft und hatte die Geschichte ursprünglich für ein erwachsenes Publikum geschrieben. Als die Zensur sie nicht passieren ließ, schrieb er sie für Kinder um und ließ sie illustrieren. So konnte das Buch 2010 in Teheran erscheinen und wurde später in Lizenz übernommen.
    In der Schweiz und jetzt auch im grenznahen Lörrach gibt es zudem das ganzjährige Angebot einer Buchpräsentation an Schulen. Sonja Matheson: "Dort kommen wir mit einem Buch in die Klasse und bleiben zwei Stunden da und arbeiten in einer partizipativen Weise spielerisch uns an das Buch heran, an die Thematik oder eben auch an die Sprache eines Buches und kommen so ins Buch hinein und beginnen mit den Kindern zu lesen; die zwei Stunden reichen natürlich nicht, und deshalb bleibt das Buch als Geschenk in der Klasse und kann von den Kindern selber oder von der Lehrerin, dem Lehrer dann fortgesetzt werden."
    Dabei geht es zum einen um die Lesekompetenz, zum anderen - und das ist die komplexere Aufgabe -, um mit dem Buchthema verbundene Fragen und aufkommende Emotionen. Aufwendiger sind punktuelle Projektwochen an Schulen, in denen ein Buch mit mehreren Klassen behandelt wird, wobei die Kinder selbst viel erarbeiten. Das kann dazu führen, dass ein eigenes Buch verfasst und auch veröffentlicht wird.
    Schließlich werden auch außereuropäische Künstler und Autoren zu Lese- und Workshop-Reisen eingeladen, wie im vergangenen November, als sich Baobab Books wieder in dieser Form an der Lörracher Kinderbuchmesse und ihrer Lesenacht beteiligte. So schwinden Berührungsängste und es ist zu wünschen, dass Baobab Books' Programm weitere Verbreitung findet.
    Babak Saberi, Mehrdad Zaeri: Ein großer Freund. 26 S., Baobab Verlag. Preis: 16,50 €. Ab 5 Jahren.
    Meme McDonald, Pryor Boori Monty: Njunjul. Ein Roman aus Australien. Aus dem australischen Englisch von Barbara Brennwald. 144 S., Preis: 15,90 €. Ab 13 Jahren.
    Ana Paula Ojeda, Juan Palomino: Der Feuerdieb – Ladron del Fuego. Ein Bilderbuch aus Mexiko. Zweisprachig Deutsch – Spanisch. Aus dem Spanischen von Jochen Weber. 32 S., Preis: 15,90 €. Ab 5 Jahren.